Eine Fluchtgeschichte (2): aufgeschrieben von der Schriftstellerin Dagmar Leupold
Im Vorfeld des Literaturfests München hat eine Reihe von Münchner Autorinnen und Autoren Flüchtlinge kennengelernt und gemeinsam mit ihnen ihre Fluchtgeschichten aufgeschrieben. Die Hoffnung im Gepäck hieß in der zweiten Festivalwoche die darauf aufbauende Veranstaltungsreihe des forum:autoren, und es ist zugleich der Titel einer Anthologie, die auf Anregung von REFUGIO München im Allitera Verlag erschienen ist. Darin finden sich Texte u.a. von Albert Ostermaier, Tilman Spengler, Friedrich Ani, Lena Gorelik, Doris Dörrie oder Uwe Timm. Die entstandenen Porträts, Reportagen, Interviews und Berichte wurden vom 23. bis 27.11.2015 im Lyrik Kabinett vorgestellt, meist auch mit Beteiligung der Geflüchteten. Wir publizieren einen Auszug aus dem Beitrag der Schriftstellerin Dagmar Leupold.
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Mamadou: Eine Geschichte mit Diamanten, ungeschliffen
Markt Wallersdorf liegt im Landkreis Dingolfing-Landau, hat knapp 7000 Einwohner und zwei Autobahnausfahrten: Wallersdorf West und Wallersdorf Nord. Weiterhin hat es den niederbayerischen Wettbewerb um die Ansiedlung eines riesigen BMW-Logistikzentrums für sich entschieden, im Oktober ist Baubeginn. Der Landrat lobt den Standort und beweist mit folgender Metapher poetischen Wagemut: die schönste Braut, mit Vorzügen, die sonst niemand hat. Ein weiterer Kommentar hebt hervor, wie sehr die Infrastruktur und der Arbeitsmarkt von dieser Entscheidung profitieren werden: 6-spuriger Ausbau der A92, 2000 neue Arbeitsplätze, Ausbau der Bahnstrecke München-Plattling.
Der Leser, zumal derjenige aus Oberbayern, kann da nur nicken, sehr erfreulich diese Promotion einer vernachlässigten Region zum wirtschaftlichen Bedeutungsträger. Auf der Homepage des Markts Wallersdorf erfährt man außerdem von der Existenz eines Wallersdorfer Netzwerkes, das für die Bürgerinnen und Bürger bzw. für (aus deren Mitte) „genau ausgewählte kinderreiche Familien und alte Menschen“ da sein möchte. Unter dem Stichwort „Anliegen“ liest man:
Es ist das Anliegen des Wallersdorfers Netzwerkes mit der Unterstützung aller Bürgerinnen und Bürger unserer Großgemeinde, unsere Gemeinde lebenswerter und liebenswerter zu machen und niemanden, der es nicht selbst will, ins Abseits der Gesellschaft rutschen zu lassen.
In Wallersdorf lebt Mamadou. Seit Februar 2014. Genauer: er haust in der „Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber des Regierungsbezirks Niederbayern“. Die Bewohner dieses ehemaligen Stalls fallen vermutlich nicht unter Bürgerinnen und Bürger, eher – mein Eindruck nach einem Besuch dort – in die Kategorie derer, die ins Abseits rutschen wollen und folgerichtig der Unterstützung in Sachen lebenswerteres und liebenswerteres Leben nicht teilhaftig werden. Möglicherweise ist die Selbstauskunft des Netzwerkes in Sachen Selbstverständnis einfach nur unglücklich formuliert, aber besonders freundlich und aufgeschlossen wirkt der Ort bei unserem sonntäglichen Spaziergang wahrlich nicht. Bisher – wir treffen uns regelmäßig seit anderthalb Jahren – haben wir uns immer in München, in einem Café oder bei mir zu Hause getroffen; jetzt, wo es um seine Geschichte geht, von der ich noch wenig weiß, schlug Mamadou vor, dass ich ihn besuche.
Der aktuelle Schweinestall liegt der Unterkunft schräg gegenüber, es stinkt erbärmlich nach Gülle. An der vorderen Hausfront ist noch die Spur eines dilettantischen Brandanschlags vom Hochsommer (nicht des einzigen) zu sehen, bei dem niemand zu Schaden kam. Wir sitzen unter dem Dach, in einem Raum, den Mamadou mit drei weiteren jungen Männern, einem Fahrrad, einem Kühlschrank, sauberem und schmutzigem Geschirr, einem Tisch, zwei Sofas und mehreren spindartigen Schränken teilt. Ein einziges Fenster im Dach lässt Licht und frische Luft ein. Sofern Güllegestank frische Luft genannt werden kann.
Mamadou hat gekocht, Hühnchen in Kartoffeln und Reis mit einer scharfen Tomatensoße. Eigentlich heißt er gar nicht Mamadou, sondern Mohamad, aber irgendeine Behörde auf dem langen Weg nach Wallersdorf hat ihn umgetauft. Und ihm auch kurzfristig den Nachnamen gestrichen, den zweiten Vornamen dafür gehalten. Jetzt hat er seinen Nachnamen zurück und einen Ausbildungsplatz im nahen Dingolfing. Damit geht seine Erzählung los: Er versteht die Kollegen nicht, die alle Bayrisch sprechen, nur seinen Vorgesetzten, einen Rumänen, den versteht er gut. Aber nett sind sie alle. Und er ist begeistert von der Mechatronik, von Autos, auch wenn er keinen Führerschein besitzt. Auch in Conakry, der Hauptstadt Guineas, hat er, mit 16, 17, nachmittags in einer Autowerkstatt gearbeitet, morgens ging er zur Schule, Collège. Aber der Reihe nach.
Mamadou kommt 1990 in Kono, einem Distrikt in Sierra Leone zur Welt, der wegen seiner Diamantenmine zu den am stärksten vom blutigen Diamanten(bürger)krieg (1991–2002) betroffenen Gebieten zählt. Seine Mutter stirbt kurz nach der Geburt, der Vater wenig später – vermutlich in Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen. Mamadous Familie gehört zu der Ethnie der Fula, traditionell die Ethnie, die, wenn sie nicht als Nomaden mit ihren Herden umherziehen, Handel mit Diamanten betreibt.
Ein Onkel bringt den Vollwaisen aus Sierra Leone nach Guinea, wo er zunächst in Pita, der Hauptstadt einer bergigen Region, bei seiner Großmutter lebt, bis diese stirbt, ein tiefer Einschnitt. Mit 12 oder 13 holt ihn der Onkel zu sich nach Conakry, auch er handelt, wie schon Mamadous Vater, mit Diamanten. Zum Haushalt gehören weiterhin die Tante und ein wesentlich jüngerer Cousin. Als Mamadou in der zehnten Klasse ist, stirbt auch der Onkel bei einem mysteriösen Unfall und zwar genau an dem Tag im Dezember 2010, als das manipulierte Wahlergebnis bekannt wird, das den Kandidaten der Mandingo, einer Volksgruppe, die seit jeher mit den Fula verfeindet ist, Alpha Condé zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der Kandidat Cellou Dalein Diallo, ein Fula, auf dem die Hoffnungen derer lagen, die Befriedung und Aufschwung wünschten, musste aufgeben.
Dagmar Leupold und Mamadou bei der Lesung der Fluchtgeschichten im Lyrik Kabinett © Juliana Krohn
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Im Vorfeld des Literaturfests München hat eine Reihe von Münchner Autorinnen und Autoren Flüchtlinge kennengelernt und gemeinsam mit ihnen ihre Fluchtgeschichten aufgeschrieben. Die Hoffnung im Gepäck hieß in der zweiten Festivalwoche die darauf aufbauende Veranstaltungsreihe des forum:autoren, und es ist zugleich der Titel einer Anthologie, die auf Anregung von REFUGIO München im Allitera Verlag erschienen ist. Darin finden sich Texte u.a. von Albert Ostermaier, Tilman Spengler, Friedrich Ani, Lena Gorelik, Doris Dörrie oder Uwe Timm. Die entstandenen Porträts, Reportagen, Interviews und Berichte wurden vom 23. bis 27.11.2015 im Lyrik Kabinett vorgestellt, meist auch mit Beteiligung der Geflüchteten. Wir publizieren einen Auszug aus dem Beitrag der Schriftstellerin Dagmar Leupold.
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Mamadou: Eine Geschichte mit Diamanten, ungeschliffen
Markt Wallersdorf liegt im Landkreis Dingolfing-Landau, hat knapp 7000 Einwohner und zwei Autobahnausfahrten: Wallersdorf West und Wallersdorf Nord. Weiterhin hat es den niederbayerischen Wettbewerb um die Ansiedlung eines riesigen BMW-Logistikzentrums für sich entschieden, im Oktober ist Baubeginn. Der Landrat lobt den Standort und beweist mit folgender Metapher poetischen Wagemut: die schönste Braut, mit Vorzügen, die sonst niemand hat. Ein weiterer Kommentar hebt hervor, wie sehr die Infrastruktur und der Arbeitsmarkt von dieser Entscheidung profitieren werden: 6-spuriger Ausbau der A92, 2000 neue Arbeitsplätze, Ausbau der Bahnstrecke München-Plattling.
Der Leser, zumal derjenige aus Oberbayern, kann da nur nicken, sehr erfreulich diese Promotion einer vernachlässigten Region zum wirtschaftlichen Bedeutungsträger. Auf der Homepage des Markts Wallersdorf erfährt man außerdem von der Existenz eines Wallersdorfer Netzwerkes, das für die Bürgerinnen und Bürger bzw. für (aus deren Mitte) „genau ausgewählte kinderreiche Familien und alte Menschen“ da sein möchte. Unter dem Stichwort „Anliegen“ liest man:
Es ist das Anliegen des Wallersdorfers Netzwerkes mit der Unterstützung aller Bürgerinnen und Bürger unserer Großgemeinde, unsere Gemeinde lebenswerter und liebenswerter zu machen und niemanden, der es nicht selbst will, ins Abseits der Gesellschaft rutschen zu lassen.
In Wallersdorf lebt Mamadou. Seit Februar 2014. Genauer: er haust in der „Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber des Regierungsbezirks Niederbayern“. Die Bewohner dieses ehemaligen Stalls fallen vermutlich nicht unter Bürgerinnen und Bürger, eher – mein Eindruck nach einem Besuch dort – in die Kategorie derer, die ins Abseits rutschen wollen und folgerichtig der Unterstützung in Sachen lebenswerteres und liebenswerteres Leben nicht teilhaftig werden. Möglicherweise ist die Selbstauskunft des Netzwerkes in Sachen Selbstverständnis einfach nur unglücklich formuliert, aber besonders freundlich und aufgeschlossen wirkt der Ort bei unserem sonntäglichen Spaziergang wahrlich nicht. Bisher – wir treffen uns regelmäßig seit anderthalb Jahren – haben wir uns immer in München, in einem Café oder bei mir zu Hause getroffen; jetzt, wo es um seine Geschichte geht, von der ich noch wenig weiß, schlug Mamadou vor, dass ich ihn besuche.
Der aktuelle Schweinestall liegt der Unterkunft schräg gegenüber, es stinkt erbärmlich nach Gülle. An der vorderen Hausfront ist noch die Spur eines dilettantischen Brandanschlags vom Hochsommer (nicht des einzigen) zu sehen, bei dem niemand zu Schaden kam. Wir sitzen unter dem Dach, in einem Raum, den Mamadou mit drei weiteren jungen Männern, einem Fahrrad, einem Kühlschrank, sauberem und schmutzigem Geschirr, einem Tisch, zwei Sofas und mehreren spindartigen Schränken teilt. Ein einziges Fenster im Dach lässt Licht und frische Luft ein. Sofern Güllegestank frische Luft genannt werden kann.
Mamadou hat gekocht, Hühnchen in Kartoffeln und Reis mit einer scharfen Tomatensoße. Eigentlich heißt er gar nicht Mamadou, sondern Mohamad, aber irgendeine Behörde auf dem langen Weg nach Wallersdorf hat ihn umgetauft. Und ihm auch kurzfristig den Nachnamen gestrichen, den zweiten Vornamen dafür gehalten. Jetzt hat er seinen Nachnamen zurück und einen Ausbildungsplatz im nahen Dingolfing. Damit geht seine Erzählung los: Er versteht die Kollegen nicht, die alle Bayrisch sprechen, nur seinen Vorgesetzten, einen Rumänen, den versteht er gut. Aber nett sind sie alle. Und er ist begeistert von der Mechatronik, von Autos, auch wenn er keinen Führerschein besitzt. Auch in Conakry, der Hauptstadt Guineas, hat er, mit 16, 17, nachmittags in einer Autowerkstatt gearbeitet, morgens ging er zur Schule, Collège. Aber der Reihe nach.
Mamadou kommt 1990 in Kono, einem Distrikt in Sierra Leone zur Welt, der wegen seiner Diamantenmine zu den am stärksten vom blutigen Diamanten(bürger)krieg (1991–2002) betroffenen Gebieten zählt. Seine Mutter stirbt kurz nach der Geburt, der Vater wenig später – vermutlich in Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen. Mamadous Familie gehört zu der Ethnie der Fula, traditionell die Ethnie, die, wenn sie nicht als Nomaden mit ihren Herden umherziehen, Handel mit Diamanten betreibt.
Ein Onkel bringt den Vollwaisen aus Sierra Leone nach Guinea, wo er zunächst in Pita, der Hauptstadt einer bergigen Region, bei seiner Großmutter lebt, bis diese stirbt, ein tiefer Einschnitt. Mit 12 oder 13 holt ihn der Onkel zu sich nach Conakry, auch er handelt, wie schon Mamadous Vater, mit Diamanten. Zum Haushalt gehören weiterhin die Tante und ein wesentlich jüngerer Cousin. Als Mamadou in der zehnten Klasse ist, stirbt auch der Onkel bei einem mysteriösen Unfall und zwar genau an dem Tag im Dezember 2010, als das manipulierte Wahlergebnis bekannt wird, das den Kandidaten der Mandingo, einer Volksgruppe, die seit jeher mit den Fula verfeindet ist, Alpha Condé zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der Kandidat Cellou Dalein Diallo, ein Fula, auf dem die Hoffnungen derer lagen, die Befriedung und Aufschwung wünschten, musste aufgeben.
Dagmar Leupold und Mamadou bei der Lesung der Fluchtgeschichten im Lyrik Kabinett © Juliana Krohn