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11.11.2015, 13:44 Uhr
Luise Maier
AutorInnen-Blog

Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (3)

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© annilove / flickr / CC BY SA 2.0

Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Heute schreibt wieder Luise Maier, geboren 1991 in Oberösterreich, aufgewachsen in Niederbayern. Sie lebt in Biel. Ihren ersten Roman hat sie eben abgeschlossen. Im Juni 2015 war sie Stipendiatin des Literaturkurses in Klagenfurt. Dort lernte sie auch Lara Hampe kennen.

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                                                                  11.11.2015

Meine liebe Lara,

Ich habe deinen Brief viermal gelesen. Die ersten zwei Mal am Bildschirm, dann habe ich ihn, weil der Drucker hier kaputt ist, in dem kleinen Büchergeschäft oben am Stadtplatz ausdrucken lassen, um ihn näher zu haben. Ich bin an die Vils gegangen und habe mich dort zwischen das schlammbraune Wasser, das immernochgrüne Gras und das maisgelbe Laub auf die Steinstufen der Treppe gesetzt und habe ihn zwei weitere Male gelesen. Der Schwindel zwang mich dann wieder nach Hause ins Bett.

Das Drüsenfieber ist hinterhältig. Seit sechs Wochen bin ich jetzt bei meiner Mutter in Vilshofen. Sie ist mittlerweile auch krank geworden (und ich hoffe sehr, dass es nur eine Grippe ist). Du solltest uns sehen, wie wir uns durch die Stadt schleppen: zwei Großmütterchen, die sich gegenseitig stützen und die paar Trippelschritte von der Wohnung zur Donau machen, um dort die Flussfahrtschiffe, die Schwäne, den Wald und seine Spiegelung auf dem Wasser zu beobachten, bevor wir uns nach Hause schleichen, um wieder zu liegen. (Wir wechseln uns ab: Wer darf ins Bett, wer auf die Couch? Und zwischendurch stand ein orangefarbener Kübel zwischen uns, weil eine Magen-Darm-Grippe im Anflug war, zum Glück aber nicht gelandet ist.) Manchmal lugt die Gesundheit hervor und lässt mich wissen, dass es sie auch noch gibt. Das sind dann freilich die besten Tage, aber sie verschanzt sich bald wieder hinter der Krankheit und lässt sich für ein paar Tage nicht mehr blicken, und so lerne ich das Warten.

Ich habe dir ja schon mal gesagt, dass ich denke, dass das Schreiben auch mit Bewegung zusammenhängt; wenn ich mich nicht bewege, fließt nichts. Dass ich malen kann, darüber bin ich eher froh als euphorisch. Froh, dass ich überhaupt etwas gefunden habe, mit dem ich meine Innenwelt nach außen stülpen kann. Bilder kommen im Liegen, Texte meistens beim Gehen. Aber das Glücksgefühl, das mir das Malen beschert, ist viel kurzfristiger als das, das mir das Schreiben gibt. Nur hat das eben seine Umkehrseite: Wenn ich nicht malen kann, macht mir das nicht halb so viel aus, wie wenn ich nicht schreiben kann.

Eine Freundin von mir sagte mal, dass sie nichts so aufleben und niederwerfen könne wie eine Liebesbeziehung. Wenn das so ist, dann führe ich mit dem Schreiben eine Liebesbeziehung, und die hat mich gerade mit aller Macht auf den Boden geworfen.

Du fragst mich viel, ich versuche zu antworten.

Das Geheime: Ich weiß, du schreibst eher von den Erfolgen, ob groß oder klein, und wie man darüber spricht. Für mich ist das Geheime im Schreiben selbst viel wichtiger als in den Schreiberfolgen. Vor etwa einem Jahr war ich abends mit einer Freundin etwas trinken, ein Gedanke kam mir und wollte notiert werden, also tat ich es. Mir ist es meistens unangenehm, in Gesellschaft etwas zu notieren, und versuche das dann zu verstecken; damals hatte ich keinen Stift dabei, also fragte ich Clara nach einem. Sie ist ein sehr impulsiver Mensch, der auf alle Bäume und Mauern klettert, die ihr auf ihrem Weg begegnen, und die alle Worte und Sätze ausspricht, die ihr Hirn gerade formt; natürlich fragte sie, was ich notiert hatte. Ich verweigerte ihr einen Blick in mein Notizheft. Ich meine: genau deswegen schreibe ich ja! Weil ich meine Gedanken erst einmal für mich behalten will. Würde ich alles, was mir in den Sinn kommt, aussprechen, ginge das Geheime ja gerade verloren. Ich glaube, bei mir hat das sehr viel mit Scham zu tun: Ich will mir meiner Gedanken und meiner Sprache erst sicher sein, bevor ich sie nach außen gebe.

Ebenso bin ich bei „Erfolgen“ eher zurückhaltend. Als ich im Sommer nach Klagenfurt eingeladen wurde, habe ich es niemandem vom Institut erzählt. Es ist dann doch irgendwie zu den anderen durchgesickert. Ein paar meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen standen vor dem Institut, als ich herauskam, ich stellte mich unschuldig zu ihnen, auf einmal hieß es: „Luise ist in Klagenfurt eingeladen!“ Ich war mir dessen, was ich „erreicht“ hatte, bis dahin gar nicht bewusst. Ich habe mich dann so schnell wie möglich aus dieser Traube entfernt, die alles wissen wollten, was ich selbst ja noch gar nicht wusste. Manchmal habe ich mir gewünscht, nicht unter anderen Schreibenden zu sein, um auch mal Gespräche zu führen, die das Schreiben und Lesen nicht im Geringsten berühren und dem Gespräch auch nicht als Hintergrund dienen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich selbst einem Dialog oft hinterherhinke oder mich nicht so schnell artikulieren kann, wie es das Gespräch verlangt. Wenn ich ein Redebedürfnis habe, wende ich mich an enge Freunde. Die Freundschaften, die ich im Laufe der drei Jahre am Institut geschlossen habe, werden auch darüber hinaus bestehen, zu den anderen habe ich keinen oder kaum Kontakt.

Der Neid: Hört das Glück nicht dort auf, wo das Vergleichen anfängt? Suchen wir Schreibende nicht auch ein bisschen nach diesem Unglück? Ich glaube, dass wir uns ja nur im Unglück selbst Fragen stellen und uns abtasten (was für das Schreiben ja unerlässlich ist). Wer, der glücklich ist, stellt sich schon selbst in Frage? Natürlich bin ich neidisch!

Bei der Freiheit bin ich mir nicht sicher, ob ich dir da zustimme oder ob ich dich richtig verstehe. Wenn man sich künstlich Grenzen setzt, fängt dann nicht das Konstruieren, also eigentlich das Unkünstliche an? Ich mag allzu konstruierte Texte nicht. Bei mir muss das Schreiben einfach in erster Linie aus dem Bauch heraus kommen und erst dann, in zweiter Linie, darf ich da technisch herangehen, also konstruieren. So war es jedenfalls bisher. Aber vielleicht bin ich auch einfach noch nicht soweit, die Dimension der Konstruktion zu erkennen und zu schätzen. Du weißt, wie viel mir die Freiheit und vor allem die Freiheit im Schreiben bedeutet, also: denkst du wirklich, dass du freier bist, wenn du dir selbst Grenzen setzt? Dass George Perec also genau wegen dieser Einschränkung die Grenzen überwunden hat? Schreiben also sozusagen als Befreiungsakt?

Liebe Lara, es ist gut, dass du jetzt zehnmal weniger weißt als vor einem Jahr! Das bedeutet, dass du mittendrin steckst. Schreiben ist ja immer ein Suchen, ein Werden, und suchen kannst du nur, wenn du eben nicht genau weißt, wo es lang geht. Aber ich weiß, wie sich diese Verwirrung anfühlt. Das ewige Lernen: das Wichtigste und Nötigste aus dem großen Meinungsteppich von Dozenten, Mentoren, Mitmenschen, Büchern und Texten herausfiltern, um sein Eigenes daraus zu kreieren. Ich zweifle jedenfalls keinen Moment an deinem Können und an deinem Machen. Was ist das Thema, sind die Themen deines Romans? (Oder willst du es lieber noch ein wenig verborgen halten?) Und, wie hast du’s mit dem Zweifeln?

Ich werde mich wohl erst trauen, mich eine Schriftstellerin zu nennen, wenn mein Manuskript publiziert worden ist und vielleicht auch danach noch nicht, erst wenn ich am nächsten Text sitze und danach am nächsten und danach am nächsten und danach ... Ich weiß, dass sind hohe Anforderungen, aber ich schätze, die muss ich mir stellen, wenn ich weiterschreiben will. Ich will wieder schreiben, finde aber keinen Weg dorthin: Mich interessiert so viel, aber ich weiß so wenig, hab so wenig gesehen; ich habe für den ersten Roman so viel gegeben, vielleicht alles, was ich hatte. Ich bin leer, als hätten sie mir den Magen ausgepumpt.

Wie du siehst, bin ich zurzeit ziemlich verunsichert. Fragen treiben mich um. Fragen wie: Wo ist mein Platz in der Literatur? (Habe ich, ohne nennenswerte Publikation, überhaupt schon einen?) Was ist die Aufgabe der Literatur in dieser Postpostmoderne, in der es so viele Strömungen, aber scheinbar nichts Neues mehr gibt? Radikal-autobiografisch-exzessive Texte, ganz nach Knausgard-Manier, hervorzubringen oder doch lieber politische Themen essayistisch bearbeiten, ganz nach Bärfuss-Art? Eine fantasievolle Gegenwelt zur Realität schaffen oder die Realität wahrheitsgetreu abbilden? Die Welt hasserfüllt betrachten wie Bernhard oder voller Humor wie Lenz (Siegfried)? Was ist mein ganz eigener Blick auf die Welt?

Ich habe eine lange Liste erstellt, wieso ich schreibe, sie hat viele Punkte, und sie sind alle widersprüchlich.

Wieso, liebe Lara, schreibst du? Wie bist du zum Schreiben gekommen? Und was treibt dich an? War für dich klar, dass du ans DLL gehst, oder bist du da eher so reingerutscht?

Dein Job jedenfalls klingt hip und so, als würden demnächst alle Ladies, die etwas auf sich halten, in ganz Sachsen in ancleboots in used look durch die kommende Modesaison stapfen! Dass du von einer Vergewaltigung der Sprache sprichst, klingt heftig, aber nachvollziehbar. Ich war für ein paar Monate beim Bieler Tagblatt als Lektorin tätig (alle Artikel der Ausgabe für den nächsten Tag auf Fehlerchen untersuchen und von ungelenken Helvetismen befreien (was mir besonders Spaß machte)); in der Zeit konnte ich selbst nicht so gut arbeiten: Irgendwie verschlang der Job meine eigene Spracharbeit. Ich glaube, ich muss mich nebenher mit etwas Unsprachlichem beschäftigen, um wieder zu meiner Sprache zu finden. Allerdings habe ich bis jetzt auch noch keinen guten Nebenerwerb gefunden (nein, kein Job in Aussicht), und die Antwort wegen des Werkbeitrags lässt auch noch auf sich warten. Auch hier: Warteschleife.

Dunkeldeutschland: du sagst es; du schlägst dabei einen ganz anderen Ton an, als ich ihn sonst von dir kenne. Du hast Recht, viel Platz für Optimismus bleibt in diesen Tagen nicht, und die Tage werden zu Wochen, zu Monaten werden. Wie ist die Stimmung in Leipzig: färbt die pegidistische Bewegung die Stadt auch schon so ein, wie sie es in Dresden getan hat? Ist die Flüchtlingskrise Thema bei euch am Institut? Werden Texte darüber verfasst, oder gibt es sogar einen Kurs, bei dem politische Texte im Mittelpunkt stehen? Bei uns gab es mal so einen Kurs, aber der war auf Französisch und je justement parles francais une petit peu (oder so), und das war’s dann auch schon wieder.

Ich denke zuviel, aber gern an dich. Bis bald, ich freue mich auf deine Antwort!

Mit Umarmung: Luise

 

 

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