Büchersendung: Brigitta Rambeck über Anatol Regnier, Schriftsteller und Enkel von Frank Wedekind
In diesen Tagen erscheint die Kulturzeitschrift Literatur in Bayern zum zweiten Mal in ihrem 30. Jahr. Die noch druckfrische Ausgabe enthält neben Beiträgen von Gerd Holzheimer – der auch Herausgeber ist –, Hans Pleschinski und Doris Dörrie diese einführende Betrachtung der Münchner Künstlerin und Autorin Brigitta Rambeck über den Schriftsteller Anatol Regnier und sein jüngstes Buch Wir Nachgeborenen (C.H. Beck Verlag, 2014). Darin schreibt dieser auch über seinen Großvater Frank Wedekind. Brigitta Rambeck, die unter anderem mit dem Schwabinger Kunstpreis augezeichnet wurde, leitet seit Jahren den literarischen Seerosenkreis in München.
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Wir Nachgeborenen: Schon der Titel des Buches weist auf die ganz persönliche Motivation und Ausrichtung hin. Der Standpunkt des Autors ist klar: Als Enkel von Frank Wedekind und Sohn von Charles Regnier und Pamela Wedekind spricht Anatol Regnier auch aus eigener Erfahrung. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit seinen berühmten Eltern, bei der er als Berichterstatter zu seiner Freude „den Grad der Offenheit selbst bestimmen kann“, geht der Autor noch weiter zurück in seine Familiengeschichte mit all ihren Verästelungen und Verknüpfungen mit anderen inzwischen in die Kulturgeschichte eingegangenen Persönlichkeiten – Richard Strauß, Gottfried Benn, den Familien Mann, Wedekind, Sternheim etc. Er betritt hier vertrautes Terrain, kann aufbauen auf Recherchen und Erkenntnissen, die bereits in seine beiden vorangegangenen Bücher eingeflossen sind: Du auf deinem höchsten Dach – Tilly Wedekind und ihre Töchter (2003) und Frank Wedekind – eine Männertragödie (2008). So intensiv taucht Anatol Regnier in die Familienkonflikte aus längst vergangener Zeit ein, dass man glauben könnte, er sei Augenzeuge gewesen, und auch ihm selbst erscheint es mitunter schon so – waren die geschilderten Persönlichkeiten doch „Teil der Atmosphäre, in der ich aufgewachsen bin, so dass eine Art familiärer Nähe entstanden ist.“
Wirklich begegnet ist er dann früh schon Größen wie Gustav Gründgens („Kinderfeind Nummer eins“), Erika Mann und Adolf Wohlbrück, die im Elternhaus aus- und eingingen. Unmittelbarer eigener Kontakt verband ihn schließlich mit einigen Kindern prominenter Künstler der Elterngeneration: so mit der Schulkameradin Diana Kempff, der Tochter des Pianisten Wilhelm Kempff, oder mit dem Jugendfreund Benedikt Hoppe, Sohn des Theater- und UFA-Stars Marianne Hoppe. Nicht einfach für den Chronisten Anatol Regnier, hier die Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden und glaubhaft und spannend zu berichten, ohne Partei zu ergreifen oder in Indiskretionen zu verfallen. Viel Fingerspitzengefühl forderten auch die Kapitel, die anhand von Interviews in jüngster Vergangenheit entstanden: u.a. mit den Nachkommen von Hans Fallada, Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Prey, Robert Graf oder auch von den „lustigen Vätern“ Peter Frankenfeld oder Heinz Erhardt.
Was das nun in Buchform vorliegende Gewirk unterschiedlichster Lebensläufe und Konstellationen zusammenhält, ist einerseits Anatol Regniers locker-unterhaltsamer Erzählton: präzise, bildhaft, unprätentiös, gewürzt mit einer kräftigen Prise Humor und Selbstironie, jedoch stets den jeweils heiter bis tragischen Windungen der beschriebenen Schicksale Rechnung tragend. Dazu kommt ein strukturierender Kunstgriff, der die Spannung des Lesers von Anfang bis Ende aufrecht erhält: In locker eingeflochtenen Kapiteln erzählt Anatol Regnier seine eigene abenteuerliche Lebensgeschichte mit ihren zahlreichen Stationen; vom Malvenhaus bei Sankt Heinrich über München, Israel, Wolfsburg, Australien und – immer wieder – Ambach. „Ambach ist schmerzhaft schön“, heißt es da einmal, und ein Teil des Buches liest sich wie eine Liebeserklärung an diesen Ort, dessen Magie sich durchaus nicht nur aus den Ingredienzien Bierbichler und Achternbusch erklärt.
(c) C.H. Beck
In der Jurybegründung für den Schwabinger Kunstpreis an Anatol Regnier (2012) heißt es: „Enkel des berühmten Frank Wedekind zu sein, ist kein leichtes Los“ – eine Behauptung, die Anatol Regnier zurückweist. Viele Türen hätten sich ihm nicht geöffnet ohne den Schlüssel des ererbten Namens. Sein früher leidenschaftlicher – und durchaus nicht von den Eltern gelenkter – Wunsch, ein bedeutender Gitarrist zu werden, führte ihn dank mütterlicher Vermittlung direkt zu seinem Idol Andrés Segovia und dann nach London zu John Williams in die Royal Academy of Music. Er wird dort zwar kein zweiter Segovia, aber von London aus setzt sich seine Lebensodyssee als Gitarrist fort – zunächst in Israel, wo er die damals berühmte Sängerin Nehama Hendel kennenlernt und heiratet. Mit Frau und Kindern lebt er später 10 Jahre in Australien – und erkennt: „Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nicht Sohn oder Enkel von jemandem, sondern nur ich selbst. Die Erfahrung ist ungewohnt, aber irgendwie auch erfrischend.“ In Sidney entscheidet sich dann unvermutet sein weiterer Weg: Er trifft die Brüder Grünschlag, Holocaust-Überlebende, die aus demselben polnischen Ort stammen wie Nehamas Familie, und zeichnet anhand von Gesprächen ihr Schicksal auf. Wieder zurück in Deutschland schreibt Anatol Regnier sein erstes Buch Damals in Bolechów – eine jüdische Odyssee. Es wird ein großer Erfolg.
Anatol Regnier glaubt nicht an Zufälle. Alles, was er erlebt hat, sollte dorthin führen, wo er heute angekommen ist – in Deutschland, als Schriftsteller: „Die Hinwendung zur Sprache hat mein Leben verändert. Fast meine ich, dass ich damit überhaupt erst zu leben begonnen habe. Die Unsicherheit, die ich auf der Gitarre gespürt hatte, war wie weggeblasen, ich war sicher und angstfrei. Ich lernte Menschen kennen, die ich sonst nie getroffen hätte, bewegte mich in Kreisen, die mir vorher verschlossen waren. Es war wie ein Nachhausekommen. Generationen meiner Familie haben sich mit Sprache beschäftigt, jetzt hatte ich mich eingereiht. Und merkwürdig: Kaum hatte ich die Gitarre losgelassen, kam sie freiwillig zurück.“
Florian Prey, Sohn des berühmten Sängers Hermann Prey, stellte Anatol Regnier im Verlauf ihrer Gespräche die Frage: „Gibt es einen Sinn des Lebens, ja oder nein?“ Darauf Anatol Regnier: „Ich meine ja. Man muss tun, was der eigenen Natur entspricht."
Das letzte Kapitel ist seinem Vater Charles Regnier gewidmet. Er hätte 2014 seinen 100. Geburtstag gefeiert, Großvater Frank Wedekind den 150. Wir Nachgeborenen – ein Buch zum Jubiläum? Das war nicht geplant – aber: Gibt es einen Zufall?
Büchersendung: Brigitta Rambeck über Anatol Regnier, Schriftsteller und Enkel von Frank Wedekind>
In diesen Tagen erscheint die Kulturzeitschrift Literatur in Bayern zum zweiten Mal in ihrem 30. Jahr. Die noch druckfrische Ausgabe enthält neben Beiträgen von Gerd Holzheimer – der auch Herausgeber ist –, Hans Pleschinski und Doris Dörrie diese einführende Betrachtung der Münchner Künstlerin und Autorin Brigitta Rambeck über den Schriftsteller Anatol Regnier und sein jüngstes Buch Wir Nachgeborenen (C.H. Beck Verlag, 2014). Darin schreibt dieser auch über seinen Großvater Frank Wedekind. Brigitta Rambeck, die unter anderem mit dem Schwabinger Kunstpreis augezeichnet wurde, leitet seit Jahren den literarischen Seerosenkreis in München.
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Wir Nachgeborenen: Schon der Titel des Buches weist auf die ganz persönliche Motivation und Ausrichtung hin. Der Standpunkt des Autors ist klar: Als Enkel von Frank Wedekind und Sohn von Charles Regnier und Pamela Wedekind spricht Anatol Regnier auch aus eigener Erfahrung. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit seinen berühmten Eltern, bei der er als Berichterstatter zu seiner Freude „den Grad der Offenheit selbst bestimmen kann“, geht der Autor noch weiter zurück in seine Familiengeschichte mit all ihren Verästelungen und Verknüpfungen mit anderen inzwischen in die Kulturgeschichte eingegangenen Persönlichkeiten – Richard Strauß, Gottfried Benn, den Familien Mann, Wedekind, Sternheim etc. Er betritt hier vertrautes Terrain, kann aufbauen auf Recherchen und Erkenntnissen, die bereits in seine beiden vorangegangenen Bücher eingeflossen sind: Du auf deinem höchsten Dach – Tilly Wedekind und ihre Töchter (2003) und Frank Wedekind – eine Männertragödie (2008). So intensiv taucht Anatol Regnier in die Familienkonflikte aus längst vergangener Zeit ein, dass man glauben könnte, er sei Augenzeuge gewesen, und auch ihm selbst erscheint es mitunter schon so – waren die geschilderten Persönlichkeiten doch „Teil der Atmosphäre, in der ich aufgewachsen bin, so dass eine Art familiärer Nähe entstanden ist.“
Wirklich begegnet ist er dann früh schon Größen wie Gustav Gründgens („Kinderfeind Nummer eins“), Erika Mann und Adolf Wohlbrück, die im Elternhaus aus- und eingingen. Unmittelbarer eigener Kontakt verband ihn schließlich mit einigen Kindern prominenter Künstler der Elterngeneration: so mit der Schulkameradin Diana Kempff, der Tochter des Pianisten Wilhelm Kempff, oder mit dem Jugendfreund Benedikt Hoppe, Sohn des Theater- und UFA-Stars Marianne Hoppe. Nicht einfach für den Chronisten Anatol Regnier, hier die Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden und glaubhaft und spannend zu berichten, ohne Partei zu ergreifen oder in Indiskretionen zu verfallen. Viel Fingerspitzengefühl forderten auch die Kapitel, die anhand von Interviews in jüngster Vergangenheit entstanden: u.a. mit den Nachkommen von Hans Fallada, Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Prey, Robert Graf oder auch von den „lustigen Vätern“ Peter Frankenfeld oder Heinz Erhardt.
Was das nun in Buchform vorliegende Gewirk unterschiedlichster Lebensläufe und Konstellationen zusammenhält, ist einerseits Anatol Regniers locker-unterhaltsamer Erzählton: präzise, bildhaft, unprätentiös, gewürzt mit einer kräftigen Prise Humor und Selbstironie, jedoch stets den jeweils heiter bis tragischen Windungen der beschriebenen Schicksale Rechnung tragend. Dazu kommt ein strukturierender Kunstgriff, der die Spannung des Lesers von Anfang bis Ende aufrecht erhält: In locker eingeflochtenen Kapiteln erzählt Anatol Regnier seine eigene abenteuerliche Lebensgeschichte mit ihren zahlreichen Stationen; vom Malvenhaus bei Sankt Heinrich über München, Israel, Wolfsburg, Australien und – immer wieder – Ambach. „Ambach ist schmerzhaft schön“, heißt es da einmal, und ein Teil des Buches liest sich wie eine Liebeserklärung an diesen Ort, dessen Magie sich durchaus nicht nur aus den Ingredienzien Bierbichler und Achternbusch erklärt.
(c) C.H. Beck
In der Jurybegründung für den Schwabinger Kunstpreis an Anatol Regnier (2012) heißt es: „Enkel des berühmten Frank Wedekind zu sein, ist kein leichtes Los“ – eine Behauptung, die Anatol Regnier zurückweist. Viele Türen hätten sich ihm nicht geöffnet ohne den Schlüssel des ererbten Namens. Sein früher leidenschaftlicher – und durchaus nicht von den Eltern gelenkter – Wunsch, ein bedeutender Gitarrist zu werden, führte ihn dank mütterlicher Vermittlung direkt zu seinem Idol Andrés Segovia und dann nach London zu John Williams in die Royal Academy of Music. Er wird dort zwar kein zweiter Segovia, aber von London aus setzt sich seine Lebensodyssee als Gitarrist fort – zunächst in Israel, wo er die damals berühmte Sängerin Nehama Hendel kennenlernt und heiratet. Mit Frau und Kindern lebt er später 10 Jahre in Australien – und erkennt: „Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nicht Sohn oder Enkel von jemandem, sondern nur ich selbst. Die Erfahrung ist ungewohnt, aber irgendwie auch erfrischend.“ In Sidney entscheidet sich dann unvermutet sein weiterer Weg: Er trifft die Brüder Grünschlag, Holocaust-Überlebende, die aus demselben polnischen Ort stammen wie Nehamas Familie, und zeichnet anhand von Gesprächen ihr Schicksal auf. Wieder zurück in Deutschland schreibt Anatol Regnier sein erstes Buch Damals in Bolechów – eine jüdische Odyssee. Es wird ein großer Erfolg.
Anatol Regnier glaubt nicht an Zufälle. Alles, was er erlebt hat, sollte dorthin führen, wo er heute angekommen ist – in Deutschland, als Schriftsteller: „Die Hinwendung zur Sprache hat mein Leben verändert. Fast meine ich, dass ich damit überhaupt erst zu leben begonnen habe. Die Unsicherheit, die ich auf der Gitarre gespürt hatte, war wie weggeblasen, ich war sicher und angstfrei. Ich lernte Menschen kennen, die ich sonst nie getroffen hätte, bewegte mich in Kreisen, die mir vorher verschlossen waren. Es war wie ein Nachhausekommen. Generationen meiner Familie haben sich mit Sprache beschäftigt, jetzt hatte ich mich eingereiht. Und merkwürdig: Kaum hatte ich die Gitarre losgelassen, kam sie freiwillig zurück.“
Florian Prey, Sohn des berühmten Sängers Hermann Prey, stellte Anatol Regnier im Verlauf ihrer Gespräche die Frage: „Gibt es einen Sinn des Lebens, ja oder nein?“ Darauf Anatol Regnier: „Ich meine ja. Man muss tun, was der eigenen Natur entspricht."
Das letzte Kapitel ist seinem Vater Charles Regnier gewidmet. Er hätte 2014 seinen 100. Geburtstag gefeiert, Großvater Frank Wedekind den 150. Wir Nachgeborenen – ein Buch zum Jubiläum? Das war nicht geplant – aber: Gibt es einen Zufall?