Logen-Blog [531]: In Sachen „Loge“: Jean Paul schreibt an Goethe
Hof in Vogtland
d 27. März 1794
Jean Paul Richter
Mit einer namenlosen Empfindung schreib' ich dieses Blatt, das diese Löschenkohlische Gruppe von Schattengestalten zum Dichter des Tasso begleitet. Dass es erst ein Jahr nach ihrem Druck geschieht, ist vielleicht eine – Entschuldigung mehr. Wie Nachtgeister arbeiten und poltern die Menschen in ihrer Nacht, und am Morgen ist nichts getan – wie Blei in den heiligen Nächten wird die warme Seele in Fluss gebracht und ausgegossen und abgekühlt und eine unbekannte Macht hat den Guss zu Blumen oder Klumpen gebildet.
Gewisse Menschen erinnern an die ganze Menschheit, wie große Begebenheiten ans ganze Leben; Sie werden daher dieser für mich großen Minute jene Betrachtung so wie meiner unaussprechlichen Liebe für den Mann, er über mein Herz wie ein guter Genius waltet, die Übersendung meiner Blei-Konfigurationen verzeihen.
Und über diesem von so vielen Tausenden geliebten Genius schwebe die Wolke des Lebens noch lange mit sanft spielenden Lichtern und Schatten – und erst abends wenn die ganze Sonne in sie hineingeflossen ist, ziehe sie leuchtend herab und ziehe unsern Geliebten auf und steige mit ihm in die zweite so weit zurückliegende Welt zurück, die für unsere arme Hoffnung nur die Parallaxe einer Sekunde hat!
Ein Jahr liegt der Roman schon im Druck vor, der wesentlich umfangreichere Hesperus ist bereits fast vollendet – da nimmt sich der Autor ein Herz und schreibt einen Brief an Goethe. Jean Paul schickt das Blatt nach Weimar, zusammen mit der Loge, die 1793 nach Berlin gesandt worden war, wo sie sofort „ankam“. Diesmal erhält der Dichter keinen post- und schicksalswendenden, begeisterten Brief, wie ihn Karl Philipp Moritz verfasst hatte. Diesmal bleibt das Schreiben unbeantwortet.
Muss man sich darüber wundern? Hätte Goethe wirklich auf einen Brief antworten sollen, der derart jeanpaulisch dahergeflogen kam? Musste Goethe, schon eingeschworen auf eine andere ästhetische Doktrin, nicht erschrecken vor dem Wesen des Mannes aus Hof in Vogtland? Goethe hat auch andere Post nicht beachtet; berühmt wurde der Fall Schubert, aus dem man ihm keinen Strick drehen sollte: er hätte zu tun gehabt, jegliche Post eines unbekannten Autors zu studieren. Allerdings wäre es, für den Literatur- und den Goethe- und den Jean Paul-Freund, doch schön, hätten wir wenigstens ein privates Zeugnis, das uns darüber Auskunft gibt, wie Goethe die Loge glossiert hat. Ein derartiges Zeugnis gibt es nicht, die erste Äußerung Goethes über Richter aus Hof fällt in das Jahr 1796: Goethe schreibt am 20. Juni an Johann Heinrich Meyer, dass Richter der allzubekannte Verfasser des Hesperus sei, der nun nach Weimar gekommen ist. Es ist ein guter und vorzüglicher Mensch, dem eine frühere Ausbildung wäre zu gönnen gewesen; ich müsste mich sehr irren, wenn er nicht noch könnte zu den Unsrigen gerechnet werden.
Wenn er nicht noch könnte zu den Unsrigen gerechnet werde... Goethe sollte sich täuschen, auch was die Ausbildung betrifft. Ersten freundlichen Annäherungsversuchen, die, auch von Seiten Schillers, auf eine respektvolle Distanz schließen lassen, folgten regelrechte Anfeindungen der strengen wie missgelaunten Dioskuren. Jean Paul wiederum wusste, dass seine Kunst mit der des Weimarer Gottes nicht viel zu schaffen hatte, mochte er auch Goethe gegenüber wesentlich unpolemischer eingestellt sein als Goethe und Co. dem Herrn Richter aus Hof, diesem Chinesen in Rom, wie die berüchtigte Formel lautet.
Vermutlich hätte man, wenn man sie genau studiert hätte (und vielleicht tat man es ja), an der Ilm auch die Loge als „Tragelaph“ bezeichnet, also als monströses Fabelwesen. In den Xenien, die seit Ende 1795 entstanden und 1796 von Goethe und Schiller gemeinsam zum Druck gegeben wurden, hat man, bei aller Kritik, eine wesentliche Eigenschaft der Dichtungswerke Jean Pauls erkannt und zutreffend benannt: gewissermaßen mit beschränkter Haftung.
Jean Paul Richter
Hieltest du deinen Reichtum nur halb so zu Rate wie jener
Seine Armut, du wärst unsrer Bewunderung wert.
Was folgte, war eine literaturpolitische Schlammschlacht, in der unser Mann aus Hof die bessere Figur machte – aber vergessen wir nicht, dass Goethe sich noch spät – in den Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans – bei Jean Paul, den er einst zu den „kranken“ Romantikern gerechnet hatte, gleichsam entschuldigt:
Ein so begabter Geist blickt, nach eigentlichst orientalischer Weise, munter und kühn in seiner Welt umher, erschafft die seltsamsten Bezüge, verknüpft das Unverträgliche, jedoch dergestalt, dass ein geheimer ethischer Faden sich mitschlinge, wodurch das Ganze zu einer gewissen Einheit geleitet wird.
Womit auch die Loge aus Goethescher Sicht genau genug charakterisiert wird.
An Johann Heinrich Meyer, Goethes „Kunst-Meyer“, ging die erste Mitteilung Goethes, Jean Paul betreffend. Meyer malte auch, irgendwann zwischen 1792 und 1795, das Aquarell, das Goethe in Lebensgröße zeigt: ein dick gewordener Mann, der gerade bei der Lektüre unterbrochen wurde. Blättert der Leser in der Unsichtbaren Loge? Es ist unwahrscheinlich – auch wenn der missmutige Gesichtsausdruck darauf schließen lassen könnte.
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[1] Jener: Gemeint ist Wieland.
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Hof in Vogtland
d 27. März 1794
Jean Paul Richter
Mit einer namenlosen Empfindung schreib' ich dieses Blatt, das diese Löschenkohlische Gruppe von Schattengestalten zum Dichter des Tasso begleitet. Dass es erst ein Jahr nach ihrem Druck geschieht, ist vielleicht eine – Entschuldigung mehr. Wie Nachtgeister arbeiten und poltern die Menschen in ihrer Nacht, und am Morgen ist nichts getan – wie Blei in den heiligen Nächten wird die warme Seele in Fluss gebracht und ausgegossen und abgekühlt und eine unbekannte Macht hat den Guss zu Blumen oder Klumpen gebildet.
Gewisse Menschen erinnern an die ganze Menschheit, wie große Begebenheiten ans ganze Leben; Sie werden daher dieser für mich großen Minute jene Betrachtung so wie meiner unaussprechlichen Liebe für den Mann, er über mein Herz wie ein guter Genius waltet, die Übersendung meiner Blei-Konfigurationen verzeihen.
Und über diesem von so vielen Tausenden geliebten Genius schwebe die Wolke des Lebens noch lange mit sanft spielenden Lichtern und Schatten – und erst abends wenn die ganze Sonne in sie hineingeflossen ist, ziehe sie leuchtend herab und ziehe unsern Geliebten auf und steige mit ihm in die zweite so weit zurückliegende Welt zurück, die für unsere arme Hoffnung nur die Parallaxe einer Sekunde hat!
Ein Jahr liegt der Roman schon im Druck vor, der wesentlich umfangreichere Hesperus ist bereits fast vollendet – da nimmt sich der Autor ein Herz und schreibt einen Brief an Goethe. Jean Paul schickt das Blatt nach Weimar, zusammen mit der Loge, die 1793 nach Berlin gesandt worden war, wo sie sofort „ankam“. Diesmal erhält der Dichter keinen post- und schicksalswendenden, begeisterten Brief, wie ihn Karl Philipp Moritz verfasst hatte. Diesmal bleibt das Schreiben unbeantwortet.
Muss man sich darüber wundern? Hätte Goethe wirklich auf einen Brief antworten sollen, der derart jeanpaulisch dahergeflogen kam? Musste Goethe, schon eingeschworen auf eine andere ästhetische Doktrin, nicht erschrecken vor dem Wesen des Mannes aus Hof in Vogtland? Goethe hat auch andere Post nicht beachtet; berühmt wurde der Fall Schubert, aus dem man ihm keinen Strick drehen sollte: er hätte zu tun gehabt, jegliche Post eines unbekannten Autors zu studieren. Allerdings wäre es, für den Literatur- und den Goethe- und den Jean Paul-Freund, doch schön, hätten wir wenigstens ein privates Zeugnis, das uns darüber Auskunft gibt, wie Goethe die Loge glossiert hat. Ein derartiges Zeugnis gibt es nicht, die erste Äußerung Goethes über Richter aus Hof fällt in das Jahr 1796: Goethe schreibt am 20. Juni an Johann Heinrich Meyer, dass Richter der allzubekannte Verfasser des Hesperus sei, der nun nach Weimar gekommen ist. Es ist ein guter und vorzüglicher Mensch, dem eine frühere Ausbildung wäre zu gönnen gewesen; ich müsste mich sehr irren, wenn er nicht noch könnte zu den Unsrigen gerechnet werden.
Wenn er nicht noch könnte zu den Unsrigen gerechnet werde... Goethe sollte sich täuschen, auch was die Ausbildung betrifft. Ersten freundlichen Annäherungsversuchen, die, auch von Seiten Schillers, auf eine respektvolle Distanz schließen lassen, folgten regelrechte Anfeindungen der strengen wie missgelaunten Dioskuren. Jean Paul wiederum wusste, dass seine Kunst mit der des Weimarer Gottes nicht viel zu schaffen hatte, mochte er auch Goethe gegenüber wesentlich unpolemischer eingestellt sein als Goethe und Co. dem Herrn Richter aus Hof, diesem Chinesen in Rom, wie die berüchtigte Formel lautet.
Vermutlich hätte man, wenn man sie genau studiert hätte (und vielleicht tat man es ja), an der Ilm auch die Loge als „Tragelaph“ bezeichnet, also als monströses Fabelwesen. In den Xenien, die seit Ende 1795 entstanden und 1796 von Goethe und Schiller gemeinsam zum Druck gegeben wurden, hat man, bei aller Kritik, eine wesentliche Eigenschaft der Dichtungswerke Jean Pauls erkannt und zutreffend benannt: gewissermaßen mit beschränkter Haftung.
Jean Paul Richter
Hieltest du deinen Reichtum nur halb so zu Rate wie jener
Seine Armut, du wärst unsrer Bewunderung wert.
Was folgte, war eine literaturpolitische Schlammschlacht, in der unser Mann aus Hof die bessere Figur machte – aber vergessen wir nicht, dass Goethe sich noch spät – in den Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans – bei Jean Paul, den er einst zu den „kranken“ Romantikern gerechnet hatte, gleichsam entschuldigt:
Ein so begabter Geist blickt, nach eigentlichst orientalischer Weise, munter und kühn in seiner Welt umher, erschafft die seltsamsten Bezüge, verknüpft das Unverträgliche, jedoch dergestalt, dass ein geheimer ethischer Faden sich mitschlinge, wodurch das Ganze zu einer gewissen Einheit geleitet wird.
Womit auch die Loge aus Goethescher Sicht genau genug charakterisiert wird.
An Johann Heinrich Meyer, Goethes „Kunst-Meyer“, ging die erste Mitteilung Goethes, Jean Paul betreffend. Meyer malte auch, irgendwann zwischen 1792 und 1795, das Aquarell, das Goethe in Lebensgröße zeigt: ein dick gewordener Mann, der gerade bei der Lektüre unterbrochen wurde. Blättert der Leser in der Unsichtbaren Loge? Es ist unwahrscheinlich – auch wenn der missmutige Gesichtsausdruck darauf schließen lassen könnte.
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[1] Jener: Gemeint ist Wieland.