Logen-Blog [305]: Noch einmal in Kassel und damit bei einer vergessenen Dichterin
Ein Mann reist nach Kassel. Der Mann hat eine Frau dabei: seine Frau, ohne die er nicht nach Kassel gereist wäre. Man braucht Gründe, um nach Kassel zu reisen; es hat sich nicht geändert, auch wenn auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass das Kassel der Vergangenheit – das Kassel der Landgrafen, des napoleonischen Königs Jérôme (also des „König Lustik“), der Gebrüder Grimm, der Kapellmeister Louis Spohr und Gustav Mahler, der Karlsaue und der Königsstraße – genauso prachtvoll ist wie das Kassel der Documenta, der 50er- und 60er-Jahre-Bauten, des Staatstheaters und der stillen, betörend verschneiten, winterlichen Ecken, das irgendwann den Besucher in den Bann zieht, der glaubte, dass man nur ungern wieder und immer wieder kommen würde.
Jean Paul reist nach Kassel. Der Ehemann hat eine Ehefrau dabei: Caroline, ohne die er nicht die Leute in Kassel kennengelernt hätte. In der letzten Septemberwoche des Jahres 1801 checkt er hier ein, im Gasthof König von Preußen. Vorbei vergessen, wie es bei Ringelnatz so schön und so melancholisch heißt. Nicht erst der Krieg, der die Stadt so grausam geschlagen hat, hat, glaube ich, dem Gasthof den Garaus gemacht. Der Erzähler kann sich irren, aber man hat vielleicht das alte Gebäude – links von der rechts befindlichen Hauptpost, an der linken Seite des Königsplatzes, wenn man aus südwestlicher Richtung von der Oberen Königsstraße kommt – schon vor dem WK II abgerissen.
Würde Jean Paul heute aus dem Fenster seines Hotels schauen, hätte er diesen Blick. Damals sah er im Gasthof einige interessante Herr- und Frauschaften. Besonders aber
Arnoldine Charlotte Henriette Wolf, kurz:
Arnoldine Wolf
„Wer ist das nun schon wieder?“ Eine interessante Frau.
Besser als der Blogger kann der Verleger und Wolf-Kenner Robert Eberhardt – wohl der Einzige, der diesen Ehrentitel tragen darf – über diese Schriftstellerin berichten, die nicht wenig zum literarischen Profil des 19. Jahrhunderts beigetragen hat. Wolf befindet sich inmitten eines „langfristigen Forschungsprojekts“, das nichts weniger als die Biographie und eine (kommentierte!) Werkedition der vergessenen Dichterin Arnoldine Wolf umfasst. 2012 sollte die Edition erscheinen, bislang hat nichts davon das Licht der Welt erblickt[1].
Bei und durch Eberhardt also erfahren wir Folgendes über die Frau:
Es sind die Irr- und Umwege der Literatur, die ausgegrenzten Nebenstrecken der Tradition, die noch immer Unbekanntes verbergen, wie Arnoldine Wolf (1769-1820), eine vergessene Dichterin der Goethezeit.
Als Tochter des Prokurators der Regierung in Kassel und Syndikus der Universität Marburg, Johann Karl Alexander Weissel, wurde Arnoldine Wolf am 21. Januar 1769 in der Altstadt Kassels geboren. Während einer geheimnisvollen Hautkrankheit begann die 18-jährige Kasseler Bürgerstochter zu dichten. Nach eigenen Angaben verlebte sie 26 Wochen fast ohne Schlaf.
Nach ihrer Genesung heiratete sie im Januar 1795 in Kassel den aus Seligenthal bei Schmalkalden stammenden Georg Friedrich Wolf. Er wurde später Bergrat der hessen-kasselischen Exklave Schmalkalden.
Als siebenfache Mutter und Frau Bergrätin verfasste Arnoldine Wolf meist unbeachtet Gedichte aus unterschiedlichen Anlässen. Während der Freiheitskriege betätigte sie sich als eifrige Verfasserin patriotischer Gedichte.
Die Freundschaft mit dem Dichter Karl von Münchhausen ließ sie mit Seume zusammentreffen, als dieser seinen Freund beim Rückweg seines Spaziergang nach Syrakus in Schmalkalden besuchte. Kontakt fand sie auch zu Jean Paul und in das klassische Weimar. Dort pflegte sie freundschaftliche Beziehung mit der Familie des Generalsuperintendenten Vogt, der u.a. die Trauerreden für Herzogin Anna Amalia und Friedrich Schiller hielt. Er führte sie an einem Nachmittag des Jahres 1813 auch in den Salon Johanna Schopenhauers ein, wo sie August von Goethe kennenlernte.
1817 wurde Arnoldines einziger Gedichtband von ihrem Freund Christoph Wiß, Rektor des Gymnasiums ins Rinteln[2], veröffentlicht. Ein umfangreiches Subskriptionsverzeichnis mit über 300 Namen gibt Aufschluss über ihren Bekanntenkreis im hessischen und thüringischen Raum. Der Brief, mit dem sie Goethe um eine Subskription bittet, ist erhalten. Einige ihrer Gedichte fanden Eingang in literarische Zeitschriften und Almanache der Zeit.
Arnoldine Wolf starb am 5. März 1820 in Schmalkalden.
Eberhardt findet zum Schluss:
Leben und Werk ist geprägt von den Turbulenzen ihrer bewegten Epoche: Kassels absolutistischer Glanz, der Schock der Französischen Revolution, Jérôme Bonapartes Herrschaft im Königreich Westphalen, die Befreiungskriege sowie schließlich die kompromisslose Restauration des hessischen Kurfürsten.
Alles in allem klingt das so interessant, dass es sich lohnen würde, die Sache zu vertiefen.
Kontakt fand sie auch zu Jean Paul...
Wir wissen nun, wann und wo sie diesen Kontakt fand: just in jenem September 1801. Sie selbst hat darüber berichtet[3]:
An einer glänzenden Mittagstafel, zu welcher sich eine Menge Verehrer drängten, um ihm Weihrauch zu streuen, sprach sich der gerade Sinn dieses originellen Mannes dadurch sehr treffend aus, dass er taub schien gegen all den Schwall glänzender Ehrenbezeugungen, mit denen man ihn überhäufte; schlicht und anspruchsvoll suchte er jeder Übertreibung auszuweichen und würzte ganz ungesucht seine Unterhaltung mit so feinem Witze, dass man sich versucht fühlte, jedes seiner Worte zum ewigen Denkmal dieser schönen Stunde aufzuzeichnen.
Sie hat tatsächlich und glücklicherweise eines dieser Worte für eine gebannt starrende Nachwelt festgehalten:
Madame, ich habe zuweilen einen prophetischen Geist; sind Sie nicht Dichterin?
Sie, schrieb die Dichterin, errötete und leugnete. Bescheiden genug, streitet sie in dieser Gesellschaft die Ehrenbezeugung ab, „weil sie Kleinigkeiten von mir gelesen hatten“; Jean Paul ist es unangenehm, sich geirrt zu haben[4]. Dies ist alles, was sie berichtet, doch nach sechs Wochen besuchte sie der Dichter in Schmalkalden, da er uns dann durch seine unbeschreibliche Anmut im Umgang einige glückliche Tage schuf.
Übrigens war sie wirklich eine Kollegin des Meisters, denn wie er veröffentlichte sie ihre Zeilen im Morgenblatt für gebildete Stände und im Taschenbuch der Liebe und Freundschaft.
Und wie hört sich nun die Lyrik der Frau Wolf an? So:
Blick zur Ewigkeit
Wenn das Herz in stiller Trauer
Tief verschloss'nen Kummer nährt,
Wehmuth und Erinn'rungsschauer
Jedes Frohgefühl zerstört:
O dann schwebt das Bild vorüber,
Das entfloh'ne Freuden hebt,
Und die Zukunft malt sich trüber,
Die in düst'rer Ferne schwebt.
Wenn der Leidenschaften Menge
Schweren Kampf mit uns beginnt,
Unter lastendem Gedränge
Unser Tropfen Zeit verrinnt;
Wenn oft uns're Schritte gleiten
Auf der Eisbahn dieser Zeit:
Dann kann nichts uns Trost bereiten,
Als ein Blick zur Ewigkeit.
Fragt den Weisesten hienieden,
Sitzt er gleich dem Glück im Schooß,
Doch ist ungestörter Frieden
Hier auf Erden nie sein Loos.
Kronen selbst sind gold'ne Fesseln,
Deren Schimmer oft uns trügt,
Sorgen haben ihre Nesseln
Auch um's Fürstenhaupt geschmiegt.
Ach! und mehr noch sind die vielen
Schlingen uns'rer Sorge werth,
Wenn mit seinen Gaukelspielen
Uns das eig'ne Herz bethört;
Glühte nicht der Reiz der Jugend,
Nicht der Sinnlichkeit Gefühl,
O dann wäre uns're Tugend
Nur ein leichtes Kinderspiel.
Kämpfet muthig! Kränze winden
Dort sich in des Dulders Haar,
Wo wir Alles wieder finden,
Was einst hier uns theuer war;
Blickt getrost in jene Welten,
Wo uns nach des Grabes Nacht
Unter friedlichen Gezelten
Reiner jede Freude lacht.
Jean Paul hätte, alles in allem, die letzte Zeile vielleicht unterschrieben. Vielleicht sogar im König von Preußen.
Fotos: Frank Piontek, 5.11. 2013
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[1]Dieser Zustand ist leider normal – denn welche Edition hält wirklich den Zeitplan ein, zumal dann, wenn es sich um ein Ein-Mann-Projekt eines engagierten Ein-Mann-Verlags handelt? Mit dem wunderbaren Saint-Pol-Roux, der vom Bayreuther Panizza-Blogger Joachim Schultz herausgegeben wird, verhält es sich ja genauso: die angekündigte Edition von 16 Bänden strandete nach vielen Jahren beim 8. Band, ein neunter – Geschwindigkeit – kam nun bei einem anderen Verlag heraus. Das ganze Projekt wird ein Fragment, ja: eine geborne Ruine (wenn auch eine wunderbare) bleiben.
[2] Er war der erste Direktor des 1817 gegründeten Gymnasium Ernestinum, dort in Rinteln, an das der Blogger leider, obwohl er in den tiefen 80er Jahren mit dem zweitlangsamsten aller Fortbewegungsmittel, dem gangschaltungsfreien Fahrrad, hier auf einer Wesertour durchritt, leider keine Erinnerung mehr hat; das benachbarte Bückeburg ist ihm, dank Bach und Herder und Schloss, immer noch näher. Christoph Wiß' Rintelner Bruder Andreas war als Dichter ein Kollege Arnoldine Wolfs:1816 verstarb er mit nur 27 Jahren in Schmalkalden. Robert Eberhardt hat sich 2008 mit einer verdienstvollen (so sagt man wohl, und so sagt man es richtig) Edition auch um sein Werk gekümmert – ich lese im Netz, genauer: auf der Seite des Schaumburger Wochenblatts: „26 Gedichte sind von Andreas Wiß erhalten, von denen er einige während seiner Studienzeit in Rinteln verfasste. In der Elegie beim Abschied von Rinteln beschäftigt er sich etwa mit der Gefahr eines Einzugs in die westphälische Armee. Auch für ein Lehrgespräch über den Sinn des Lebens nutzt er die Landschaft seiner Studienzeit als Szenerie. In Versuch einer christlichen Idylle lässt er den Hirtenjungen Theobald beim Anblick des Wesertales mit dessen Vater Ziddai wichtige Lebensfragen besprechen.“
[3] Wir finden die Stelle in der einen zeitgenössischen Sammlung ihrer Gedichte: Gedichte von Arnoldine Wolf, geb. Weissel, mit dem Leben und einer merkwürdigen Krankengeschichte derselben.
[4] Denn Jean Paul, so Berends Anmerkung, „glaube es den Leuten ansehen zu können, wenn sie dichterisches Talent besaßen“.
Logen-Blog [305]: Noch einmal in Kassel und damit bei einer vergessenen Dichterin>
Ein Mann reist nach Kassel. Der Mann hat eine Frau dabei: seine Frau, ohne die er nicht nach Kassel gereist wäre. Man braucht Gründe, um nach Kassel zu reisen; es hat sich nicht geändert, auch wenn auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass das Kassel der Vergangenheit – das Kassel der Landgrafen, des napoleonischen Königs Jérôme (also des „König Lustik“), der Gebrüder Grimm, der Kapellmeister Louis Spohr und Gustav Mahler, der Karlsaue und der Königsstraße – genauso prachtvoll ist wie das Kassel der Documenta, der 50er- und 60er-Jahre-Bauten, des Staatstheaters und der stillen, betörend verschneiten, winterlichen Ecken, das irgendwann den Besucher in den Bann zieht, der glaubte, dass man nur ungern wieder und immer wieder kommen würde.
Jean Paul reist nach Kassel. Der Ehemann hat eine Ehefrau dabei: Caroline, ohne die er nicht die Leute in Kassel kennengelernt hätte. In der letzten Septemberwoche des Jahres 1801 checkt er hier ein, im Gasthof König von Preußen. Vorbei vergessen, wie es bei Ringelnatz so schön und so melancholisch heißt. Nicht erst der Krieg, der die Stadt so grausam geschlagen hat, hat, glaube ich, dem Gasthof den Garaus gemacht. Der Erzähler kann sich irren, aber man hat vielleicht das alte Gebäude – links von der rechts befindlichen Hauptpost, an der linken Seite des Königsplatzes, wenn man aus südwestlicher Richtung von der Oberen Königsstraße kommt – schon vor dem WK II abgerissen.
Würde Jean Paul heute aus dem Fenster seines Hotels schauen, hätte er diesen Blick. Damals sah er im Gasthof einige interessante Herr- und Frauschaften. Besonders aber
Arnoldine Charlotte Henriette Wolf, kurz:
Arnoldine Wolf
„Wer ist das nun schon wieder?“ Eine interessante Frau.
Besser als der Blogger kann der Verleger und Wolf-Kenner Robert Eberhardt – wohl der Einzige, der diesen Ehrentitel tragen darf – über diese Schriftstellerin berichten, die nicht wenig zum literarischen Profil des 19. Jahrhunderts beigetragen hat. Wolf befindet sich inmitten eines „langfristigen Forschungsprojekts“, das nichts weniger als die Biographie und eine (kommentierte!) Werkedition der vergessenen Dichterin Arnoldine Wolf umfasst. 2012 sollte die Edition erscheinen, bislang hat nichts davon das Licht der Welt erblickt[1].
Bei und durch Eberhardt also erfahren wir Folgendes über die Frau:
Es sind die Irr- und Umwege der Literatur, die ausgegrenzten Nebenstrecken der Tradition, die noch immer Unbekanntes verbergen, wie Arnoldine Wolf (1769-1820), eine vergessene Dichterin der Goethezeit.
Als Tochter des Prokurators der Regierung in Kassel und Syndikus der Universität Marburg, Johann Karl Alexander Weissel, wurde Arnoldine Wolf am 21. Januar 1769 in der Altstadt Kassels geboren. Während einer geheimnisvollen Hautkrankheit begann die 18-jährige Kasseler Bürgerstochter zu dichten. Nach eigenen Angaben verlebte sie 26 Wochen fast ohne Schlaf.
Nach ihrer Genesung heiratete sie im Januar 1795 in Kassel den aus Seligenthal bei Schmalkalden stammenden Georg Friedrich Wolf. Er wurde später Bergrat der hessen-kasselischen Exklave Schmalkalden.
Als siebenfache Mutter und Frau Bergrätin verfasste Arnoldine Wolf meist unbeachtet Gedichte aus unterschiedlichen Anlässen. Während der Freiheitskriege betätigte sie sich als eifrige Verfasserin patriotischer Gedichte.
Die Freundschaft mit dem Dichter Karl von Münchhausen ließ sie mit Seume zusammentreffen, als dieser seinen Freund beim Rückweg seines Spaziergang nach Syrakus in Schmalkalden besuchte. Kontakt fand sie auch zu Jean Paul und in das klassische Weimar. Dort pflegte sie freundschaftliche Beziehung mit der Familie des Generalsuperintendenten Vogt, der u.a. die Trauerreden für Herzogin Anna Amalia und Friedrich Schiller hielt. Er führte sie an einem Nachmittag des Jahres 1813 auch in den Salon Johanna Schopenhauers ein, wo sie August von Goethe kennenlernte.
1817 wurde Arnoldines einziger Gedichtband von ihrem Freund Christoph Wiß, Rektor des Gymnasiums ins Rinteln[2], veröffentlicht. Ein umfangreiches Subskriptionsverzeichnis mit über 300 Namen gibt Aufschluss über ihren Bekanntenkreis im hessischen und thüringischen Raum. Der Brief, mit dem sie Goethe um eine Subskription bittet, ist erhalten. Einige ihrer Gedichte fanden Eingang in literarische Zeitschriften und Almanache der Zeit.
Arnoldine Wolf starb am 5. März 1820 in Schmalkalden.
Eberhardt findet zum Schluss:
Leben und Werk ist geprägt von den Turbulenzen ihrer bewegten Epoche: Kassels absolutistischer Glanz, der Schock der Französischen Revolution, Jérôme Bonapartes Herrschaft im Königreich Westphalen, die Befreiungskriege sowie schließlich die kompromisslose Restauration des hessischen Kurfürsten.
Alles in allem klingt das so interessant, dass es sich lohnen würde, die Sache zu vertiefen.
Kontakt fand sie auch zu Jean Paul...
Wir wissen nun, wann und wo sie diesen Kontakt fand: just in jenem September 1801. Sie selbst hat darüber berichtet[3]:
An einer glänzenden Mittagstafel, zu welcher sich eine Menge Verehrer drängten, um ihm Weihrauch zu streuen, sprach sich der gerade Sinn dieses originellen Mannes dadurch sehr treffend aus, dass er taub schien gegen all den Schwall glänzender Ehrenbezeugungen, mit denen man ihn überhäufte; schlicht und anspruchsvoll suchte er jeder Übertreibung auszuweichen und würzte ganz ungesucht seine Unterhaltung mit so feinem Witze, dass man sich versucht fühlte, jedes seiner Worte zum ewigen Denkmal dieser schönen Stunde aufzuzeichnen.
Sie hat tatsächlich und glücklicherweise eines dieser Worte für eine gebannt starrende Nachwelt festgehalten:
Madame, ich habe zuweilen einen prophetischen Geist; sind Sie nicht Dichterin?
Sie, schrieb die Dichterin, errötete und leugnete. Bescheiden genug, streitet sie in dieser Gesellschaft die Ehrenbezeugung ab, „weil sie Kleinigkeiten von mir gelesen hatten“; Jean Paul ist es unangenehm, sich geirrt zu haben[4]. Dies ist alles, was sie berichtet, doch nach sechs Wochen besuchte sie der Dichter in Schmalkalden, da er uns dann durch seine unbeschreibliche Anmut im Umgang einige glückliche Tage schuf.
Übrigens war sie wirklich eine Kollegin des Meisters, denn wie er veröffentlichte sie ihre Zeilen im Morgenblatt für gebildete Stände und im Taschenbuch der Liebe und Freundschaft.
Und wie hört sich nun die Lyrik der Frau Wolf an? So:
Blick zur Ewigkeit
Wenn das Herz in stiller Trauer
Tief verschloss'nen Kummer nährt,
Wehmuth und Erinn'rungsschauer
Jedes Frohgefühl zerstört:
O dann schwebt das Bild vorüber,
Das entfloh'ne Freuden hebt,
Und die Zukunft malt sich trüber,
Die in düst'rer Ferne schwebt.
Wenn der Leidenschaften Menge
Schweren Kampf mit uns beginnt,
Unter lastendem Gedränge
Unser Tropfen Zeit verrinnt;
Wenn oft uns're Schritte gleiten
Auf der Eisbahn dieser Zeit:
Dann kann nichts uns Trost bereiten,
Als ein Blick zur Ewigkeit.
Fragt den Weisesten hienieden,
Sitzt er gleich dem Glück im Schooß,
Doch ist ungestörter Frieden
Hier auf Erden nie sein Loos.
Kronen selbst sind gold'ne Fesseln,
Deren Schimmer oft uns trügt,
Sorgen haben ihre Nesseln
Auch um's Fürstenhaupt geschmiegt.
Ach! und mehr noch sind die vielen
Schlingen uns'rer Sorge werth,
Wenn mit seinen Gaukelspielen
Uns das eig'ne Herz bethört;
Glühte nicht der Reiz der Jugend,
Nicht der Sinnlichkeit Gefühl,
O dann wäre uns're Tugend
Nur ein leichtes Kinderspiel.
Kämpfet muthig! Kränze winden
Dort sich in des Dulders Haar,
Wo wir Alles wieder finden,
Was einst hier uns theuer war;
Blickt getrost in jene Welten,
Wo uns nach des Grabes Nacht
Unter friedlichen Gezelten
Reiner jede Freude lacht.
Jean Paul hätte, alles in allem, die letzte Zeile vielleicht unterschrieben. Vielleicht sogar im König von Preußen.
Fotos: Frank Piontek, 5.11. 2013
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[1]Dieser Zustand ist leider normal – denn welche Edition hält wirklich den Zeitplan ein, zumal dann, wenn es sich um ein Ein-Mann-Projekt eines engagierten Ein-Mann-Verlags handelt? Mit dem wunderbaren Saint-Pol-Roux, der vom Bayreuther Panizza-Blogger Joachim Schultz herausgegeben wird, verhält es sich ja genauso: die angekündigte Edition von 16 Bänden strandete nach vielen Jahren beim 8. Band, ein neunter – Geschwindigkeit – kam nun bei einem anderen Verlag heraus. Das ganze Projekt wird ein Fragment, ja: eine geborne Ruine (wenn auch eine wunderbare) bleiben.
[2] Er war der erste Direktor des 1817 gegründeten Gymnasium Ernestinum, dort in Rinteln, an das der Blogger leider, obwohl er in den tiefen 80er Jahren mit dem zweitlangsamsten aller Fortbewegungsmittel, dem gangschaltungsfreien Fahrrad, hier auf einer Wesertour durchritt, leider keine Erinnerung mehr hat; das benachbarte Bückeburg ist ihm, dank Bach und Herder und Schloss, immer noch näher. Christoph Wiß' Rintelner Bruder Andreas war als Dichter ein Kollege Arnoldine Wolfs:1816 verstarb er mit nur 27 Jahren in Schmalkalden. Robert Eberhardt hat sich 2008 mit einer verdienstvollen (so sagt man wohl, und so sagt man es richtig) Edition auch um sein Werk gekümmert – ich lese im Netz, genauer: auf der Seite des Schaumburger Wochenblatts: „26 Gedichte sind von Andreas Wiß erhalten, von denen er einige während seiner Studienzeit in Rinteln verfasste. In der Elegie beim Abschied von Rinteln beschäftigt er sich etwa mit der Gefahr eines Einzugs in die westphälische Armee. Auch für ein Lehrgespräch über den Sinn des Lebens nutzt er die Landschaft seiner Studienzeit als Szenerie. In Versuch einer christlichen Idylle lässt er den Hirtenjungen Theobald beim Anblick des Wesertales mit dessen Vater Ziddai wichtige Lebensfragen besprechen.“
[3] Wir finden die Stelle in der einen zeitgenössischen Sammlung ihrer Gedichte: Gedichte von Arnoldine Wolf, geb. Weissel, mit dem Leben und einer merkwürdigen Krankengeschichte derselben.
[4] Denn Jean Paul, so Berends Anmerkung, „glaube es den Leuten ansehen zu können, wenn sie dichterisches Talent besaßen“.