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01.12.2014, 10:11 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [515]: Kurze Auskunft über Sintenis

Die Musik macht Jeremiah Reynolds, auch wenn der sich längst umgebracht hat: Suite D-Dur[1]. Man musiziert, man diniert, man läuft durch Fenks Paradies, die Birkenblätter werden von indischen Winden angefächelt, der Orient ist da: das Land, in dem das Paradies einst lag. Das Paradies aber liegt vor allem nicht draußen, sondern drinnen. Der Dichter wusste das, der seine Stoa studiert hatte – und seinen Epikur – und seinen Christian Friedrich Sintenis.

Sintenis? Nie gehört? Dabei scheint er ein Lieblingsschriftsteller „Jean Pauls“ gewesen zu sein.

Kurze Auskunft über Herrn Sintenis

Christian Friedrich S., geboren zu Zerbst am 12. März 1750, † daselbst am 31. Januar 1820. Er war der einflussreichste Geistliche seiner Zeit in Zerbst. Das Andenken an ihn als Wahrheitsfreund und Menschenfreund lebt in seiner Vaterstadt noch im Segen fort, denn alle Anfeindungen und alle Unbill aus den Kreisen höherer Beamten schmälerten das Ansehen nicht, dessen er sich allgemein erfreute. Neben der amtlichen Thätigkeit entfaltete S. eine sehr große litterarische Fruchtbarkeit, bereits seit 1775, wo sein Contingent zur Modelectüre erschien. Er schrieb vielerlei, nach dem Zeitgeschmack: Veit Rosenstock 1776, Die Begebenheiten der rheinfeldischen Familie 1779, und andere Familienromane, religiöse Erzählungen und novellistische Skizzen von sentimental moralisirendem, auf Rührung des Herzens und Veredlung des Familienlebens abzweckendem Charakter mit einem aus den Zuständen der Gesellschaft und Conflicten von Zeitgenossen geschöpften Inhalt: Menschenfreuden aus meinem Garten vor Zerbst 1778, Vater Roderich, Hallos glücklicher Abend 1783, Theodor (über Fürstenerziehung) 1789 u.s.w.[2]

Sintenis hatte 1778 Menschenfreuden aus meinem Garten in Zerbst publiziert; darauf bezieht sich der Erzähler, wenn er in einer sprachlich leicht komplizierten Konstruktion – die ich hier abkürzen muss, um nicht in den Ruf zu geraten, manieristischer zu sein, als ich's eh schon bin, abkürze – das Glück beschreibt:

Wahrhaftig wir sind alle auf einen so närrischen Fuß gesetzt, dass es zu den Menschenfreuden, worüber der Zerbster Konsistorialrat Sintenis zwei Bändchen abgefasset, mit gerechnet werden kann[3], zuweilen einen oder den andern Floh zu greifen...... Will man also einen solchen paradiesischen Tag erleben: so muss nicht einmal eine Kleinigkeit, über die man in stoisch-energischen Stunden wegschreitet, im Wege liegen; so wie sich über die Sonne, wenn ein Brennspiegel sie herunterholen will, nicht das dünnste Wölkchen schieben darf....

Stunden für die Ewigkeit gelebt... So betrachtet, waren Sintenis und sein Leser[4] Vorgänger des guten Wilhelm Schmidt, der mit seinen Büchern über Liebe, Freundschaft und Gelassenheit jenes Einüben in die Menschenfreuden beschreibt, die zu allen Zeiten erhofft werden. Die Kunst des Lebens – „Jean Paul“ weiß, dass man die Momente er- und begreifen muss, um überhaupt reale Freuden zu haben. Nein, Sintenis ist nicht von gestern, mag auch sein Ethos zunächst vom Geistlichen her kommen – aber wo es darum geht, die jämmerlichen Kleinigkeiten und Fransen zu bekämpfen, die unser tägliches Leben bestimmen, mag er ein Wegweiser sein.

Vorderhand befindet sich unsere Gesellschaft im Elysium: man wandelt unter Blumen und Bäumen, der Schatten spendet Milde, der Erzähler liegt im Gras und eilt nicht mehr der Zeit hinterher, sondern ist, sie beschreibend, ganz in ihr – und selbst Gustav ist glücklich.

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[1] Auch eine Hommage an Bayern 4 Klassik. Apropos: Was machen eigentlich die Unsinnspläne, die Frequenz des Senders in den digitalen Hinter- oder Nebenraum zu verschaffen?

[2] Aus dem Artikel „Sintenis, Christian Friedrich“ von Franz Kindscher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 401f.

[3] An dieser Stelle folgt bei Jean Paul die Einfügung: „in Deutschland; aber in Italien und Polen weit weniger“, die ich hier fortlasse, weil sie den Fluss des Satzes doch, seien wir ehrlich, unnötig aufhält: unnötiger, als es die indischen Winde am indischen Ozean des Paradieses zu Teidor vorgeben.

[4] Es ist dem Leser dieses Blogs ein Leichtes, Vieles von ihm zu lesen. Er muss nur folgende Seite des Münchner DigitalisierungsZentrums anklicken, um Werke von Sintenis im Original zu studieren: http://www.digital-collections.de/index.html?c=autoren_index&l=en&ab=Sintenis,%20Christian%20Friedrich. Glückseligkeiten aller Art, wie der Geistliche gesagt hätte.

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