Logen-Blog [508]: Eine Pastorale
Auch wenn der Reisende nicht gerade in Bonn gewesen wäre, wo es auch ein Denkmal gibt: eines für den „größten Sohn der Stadt“, der geboren wurde, als Jean Paul gerade durch Joditz tollte, auch dann hätte er Musik gehört – Musik von Beethoven, nämlich bei dieser Stelle:
Die Wolke war verronnen und verzogen. Der Doktor hatte heimzueilen. Niemand konnte aus seinem genießenden Schweigen heraus. So stumm waren wir alle die Terrasse hinunter gekommen – und jedes war auch schon von seinem belaubten Regenschirme hinweg –, als auf einmal die tiefe Sonne die schwarze Wolkendecke durchbrannte und entzweiriss und den Leichenschleier des Gewitters weit zurückschlug und uns überstrahlte und die glimmenden Gesträuche und jeden feurigen Busch.... Alle Vögel schrien, alle Menschen verstummten – die Erde wurde eine Sonne – der Himmel zitterte weinend über der Erde vor Freude und umarmte sie mit heißen unermesslichen Lichtstrahlen.
Woran erinnert das? Natürlich an die Pastorale. Beethoven schildert ein Gewitter, dann den Frieden, der nach dem Gewitter, gelichtet, aufscheint, um im Abend zu verdämmern – wenn man denn die äußere Natur in Beethovens symphonischem Gemälde erblicken will. Tatsächlich ist beides möglich: in der Pastorale den Widerschein der Naturgewalten und zugleich etwas sehr Inneres zu entdecken, doch ist es nicht leicht, sich von den Naturbildern des Werkes zu befreien und zu versuchen, einmal nicht, wie das Leonard Bernstein persiflierte, rosa Elefanten zu sehen, wenn man diese Musik hört.
Das Elend liegt jedoch nicht bei Beethoven, der seinen Sätzen vorsichtige Titel gegeben hat, sondern bei den allzu phantasievollen Schriftstellern und dem Illustrator Franz Hegi, der 1834 eine allzu fantastische Ansicht des Pastorale-Komponisten verfertigte. „Es befremdet einen Musiker immer“, schrieb Bernstein in The Joy of Music, „wenn Schriftsteller anfangen, Musik mit allen möglichen außermusikalischen Erscheinungen, wie Bergen, Geistern, und silbernen Runkelrüben zu assoziieren.“ Er plädierte dafür, auch Beethovens Musik, die angeblich die Natur, den Sturm und den Regenbogen gemalt hat, wesentlich abstrakter aufzufassen. Schon der frühe Beethoven-Biograph Anton Schindler hat davor gewarnt, Beethovens Musik als „Schilderung des Wirklichen und Gegebenen“ anzusehen. Adorno fand in seinen Beethoven-Notizen zu folgender schöner Betrachtung:
Es erhebt sich vom Naiven über die Selbstentfremdung und Verdinglichung (der Humor des 3. Satzes gilt der Konvention, die „falsch“ ist) über den Ausbruch des Elementarischen, der die Konvention aufhebt, zum Dank und der Humanität. Die Ferien als eine Phänomenologie des Geistes.
Genauer kann man das Programm des Schiller-Jüngers Beethoven nicht in Worte fassen. „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“: das stand schon auf dem Uraufführungszettel von 1808 (nur wenige Tage später sollte Herr von Meusebach etwas Musikalisches an Jean Paul schreiben:
Und wie hört sich das bei Jean Paul an? Nachdem das Gewitter verzogen ist und Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm aufkommen?
Die Gegend brannte im himmlischen Feuerregen um uns; aber unsere Augen sahen sie nicht und hingen blind an der großen Sonne. Im Drang, das Herz von Blut und Freude loszumachen, versank Gustavs Hand in Beatens ihre – er wusste nicht, was er nahm – sie wusste nicht, was sie gab, und ihre gegenwärtigen Gefühle erhoben sich weit über geringfügige Versagungen. Endlich legte sich die umdonnerte Sonne wie ein Weiser ruhig unter die kühle Erde, ihr Abendrot ruhte glühend unter dem blitzenden Wetter, sie schien wie eine Seele zu Gott gegangen zu sein, und ein Donnerschlag fiel in den Himmel nach ihrem Tode....
Es dämmerte.... die Natur war ein stummes Gebet.... Der Mensch stand erhabener wie eine Sonne darin; denn sein Herz fasste die Sprache Gottes.... aber wenn in das Herz diese Sprache kommt und es zu groß wird für seine Brust und seine Welt: so hauchet der große Genius, den es denkt und liebt, die stillende Liebe zu den Menschen in den stürmenden Busen, und der Unendliche lässet sich von uns sanft an den Endlichen lieben....
Und die Musik tönt hymnisch Gott und der Natur entgegen. Der Rest ist eine rührende Szene, eingerahmt in das typisch jeanpaulsche Blattgold der Empfindsamkeit, in dem äußere und innere Natur wieder eins werden:
Gustav empfand die Hand, die in seiner pulsierte und aus ihr herausstrebte – er hielt sie schwächer und sah in das schönste Auge zurück – seines bat Beaten unendlich rührend um Vergebung der vergangnen Tage und schien zu sagen: „O! nimm in dieser seligen Stunde auch meinen letzten Kummer weg!“ – Als er nun leise mit einem Tone, der so viel war wie eine gute Tat, fragte: „Beata?“ und als er nicht weitersprechen konnte und sie das errötende Angesicht zur Erde wandte und aufhörte, ihre Hand aus seiner zu ziehen, und tief gerührt wieder aufsah und ihm die Träne zeigte, die zu ihm sagte: „Ich will dir vergeben“: so wurden aus zwei Seelen, die noch größer waren als die Natur um sie, zwei Engel, und sie fühlten den Himmel der Engel – sie standen und schwiegen, in unendliche Dankbarkeit und Entzückung verloren – er nahm endlich, zitternd vor hochachtender Freude, ihren bebenden Arm und erreichte uns.
Den Sabbat schlossen stille Gedanken, stille Entzückungen, stille Erinnerungen und ein stiller Regen aus allen entladenen Gewittern.
Und damit endet endlich der 51. Sektor: in tiefem Frieden.
Bange Frage: Wird er halten, was er verspricht?
Muss man das kommentieren? Ja – denn es ist schön, dass sich ein Kammerensemble nach dem Dichter benannt hat und auch Beethoven spielt.
Foto Bonn: Frank Piontek, November 2014
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Auch wenn der Reisende nicht gerade in Bonn gewesen wäre, wo es auch ein Denkmal gibt: eines für den „größten Sohn der Stadt“, der geboren wurde, als Jean Paul gerade durch Joditz tollte, auch dann hätte er Musik gehört – Musik von Beethoven, nämlich bei dieser Stelle:
Die Wolke war verronnen und verzogen. Der Doktor hatte heimzueilen. Niemand konnte aus seinem genießenden Schweigen heraus. So stumm waren wir alle die Terrasse hinunter gekommen – und jedes war auch schon von seinem belaubten Regenschirme hinweg –, als auf einmal die tiefe Sonne die schwarze Wolkendecke durchbrannte und entzweiriss und den Leichenschleier des Gewitters weit zurückschlug und uns überstrahlte und die glimmenden Gesträuche und jeden feurigen Busch.... Alle Vögel schrien, alle Menschen verstummten – die Erde wurde eine Sonne – der Himmel zitterte weinend über der Erde vor Freude und umarmte sie mit heißen unermesslichen Lichtstrahlen.
Woran erinnert das? Natürlich an die Pastorale. Beethoven schildert ein Gewitter, dann den Frieden, der nach dem Gewitter, gelichtet, aufscheint, um im Abend zu verdämmern – wenn man denn die äußere Natur in Beethovens symphonischem Gemälde erblicken will. Tatsächlich ist beides möglich: in der Pastorale den Widerschein der Naturgewalten und zugleich etwas sehr Inneres zu entdecken, doch ist es nicht leicht, sich von den Naturbildern des Werkes zu befreien und zu versuchen, einmal nicht, wie das Leonard Bernstein persiflierte, rosa Elefanten zu sehen, wenn man diese Musik hört.
Das Elend liegt jedoch nicht bei Beethoven, der seinen Sätzen vorsichtige Titel gegeben hat, sondern bei den allzu phantasievollen Schriftstellern und dem Illustrator Franz Hegi, der 1834 eine allzu fantastische Ansicht des Pastorale-Komponisten verfertigte. „Es befremdet einen Musiker immer“, schrieb Bernstein in The Joy of Music, „wenn Schriftsteller anfangen, Musik mit allen möglichen außermusikalischen Erscheinungen, wie Bergen, Geistern, und silbernen Runkelrüben zu assoziieren.“ Er plädierte dafür, auch Beethovens Musik, die angeblich die Natur, den Sturm und den Regenbogen gemalt hat, wesentlich abstrakter aufzufassen. Schon der frühe Beethoven-Biograph Anton Schindler hat davor gewarnt, Beethovens Musik als „Schilderung des Wirklichen und Gegebenen“ anzusehen. Adorno fand in seinen Beethoven-Notizen zu folgender schöner Betrachtung:
Es erhebt sich vom Naiven über die Selbstentfremdung und Verdinglichung (der Humor des 3. Satzes gilt der Konvention, die „falsch“ ist) über den Ausbruch des Elementarischen, der die Konvention aufhebt, zum Dank und der Humanität. Die Ferien als eine Phänomenologie des Geistes.
Genauer kann man das Programm des Schiller-Jüngers Beethoven nicht in Worte fassen. „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“: das stand schon auf dem Uraufführungszettel von 1808 (nur wenige Tage später sollte Herr von Meusebach etwas Musikalisches an Jean Paul schreiben:
Und wie hört sich das bei Jean Paul an? Nachdem das Gewitter verzogen ist und Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm aufkommen?
Die Gegend brannte im himmlischen Feuerregen um uns; aber unsere Augen sahen sie nicht und hingen blind an der großen Sonne. Im Drang, das Herz von Blut und Freude loszumachen, versank Gustavs Hand in Beatens ihre – er wusste nicht, was er nahm – sie wusste nicht, was sie gab, und ihre gegenwärtigen Gefühle erhoben sich weit über geringfügige Versagungen. Endlich legte sich die umdonnerte Sonne wie ein Weiser ruhig unter die kühle Erde, ihr Abendrot ruhte glühend unter dem blitzenden Wetter, sie schien wie eine Seele zu Gott gegangen zu sein, und ein Donnerschlag fiel in den Himmel nach ihrem Tode....
Es dämmerte.... die Natur war ein stummes Gebet.... Der Mensch stand erhabener wie eine Sonne darin; denn sein Herz fasste die Sprache Gottes.... aber wenn in das Herz diese Sprache kommt und es zu groß wird für seine Brust und seine Welt: so hauchet der große Genius, den es denkt und liebt, die stillende Liebe zu den Menschen in den stürmenden Busen, und der Unendliche lässet sich von uns sanft an den Endlichen lieben....
Und die Musik tönt hymnisch Gott und der Natur entgegen. Der Rest ist eine rührende Szene, eingerahmt in das typisch jeanpaulsche Blattgold der Empfindsamkeit, in dem äußere und innere Natur wieder eins werden:
Gustav empfand die Hand, die in seiner pulsierte und aus ihr herausstrebte – er hielt sie schwächer und sah in das schönste Auge zurück – seines bat Beaten unendlich rührend um Vergebung der vergangnen Tage und schien zu sagen: „O! nimm in dieser seligen Stunde auch meinen letzten Kummer weg!“ – Als er nun leise mit einem Tone, der so viel war wie eine gute Tat, fragte: „Beata?“ und als er nicht weitersprechen konnte und sie das errötende Angesicht zur Erde wandte und aufhörte, ihre Hand aus seiner zu ziehen, und tief gerührt wieder aufsah und ihm die Träne zeigte, die zu ihm sagte: „Ich will dir vergeben“: so wurden aus zwei Seelen, die noch größer waren als die Natur um sie, zwei Engel, und sie fühlten den Himmel der Engel – sie standen und schwiegen, in unendliche Dankbarkeit und Entzückung verloren – er nahm endlich, zitternd vor hochachtender Freude, ihren bebenden Arm und erreichte uns.
Den Sabbat schlossen stille Gedanken, stille Entzückungen, stille Erinnerungen und ein stiller Regen aus allen entladenen Gewittern.
Und damit endet endlich der 51. Sektor: in tiefem Frieden.
Bange Frage: Wird er halten, was er verspricht?
Muss man das kommentieren? Ja – denn es ist schön, dass sich ein Kammerensemble nach dem Dichter benannt hat und auch Beethoven spielt.
Foto Bonn: Frank Piontek, November 2014