Logen-Blog [477]: Welchen Namen man kennen muss (und welche nicht)
Der Name ist bekannt: Thümmel. Der Name ist dem Jean-Paul-Biographie-Kenner bekannt – und dem, der etliche Monate mit der Neukonstruktion des Bayreuther Jean-Paul-Museums befasst war, in dem ein Buch, eine Werkausgabe und ein Porträt Thümmels verwahrt werden. Thümmel. Man muss ihn nicht kennen, aber wer ihn kennt, wird feststellen, dass die Jean-Paul-Biographie ohne solche Namen – um ihn zu wiederholen: Thümmel – unvollkommen, unvollständig – und fragmentarisch wäre wie die Loge selbst, in der er nun zitiert wird (der Name: Thümmel).
Thümmel erhält seinen Platz, als Fenk dem Erzähler auseinandersetzt, dass er doch bloß ein Hypochondrist sei. Setz in deine Biographie, rät ihm der Freund, dass es bei dir keine Nachahmung des Herrn Thümmels und seines Doktors und ihres medizinischen Kollegiums ist, das halb aus dem Patienten, halb aus dem Arzte bestand. Und Fenk zählt einige unbekannte und bekannte Ärzte auf, die sich um den Ort der Einbildkraft kümmerten: Willis, Posidonius, Aetius[1] und Glaser. Man muss diese Namen alle nicht kennen, um zu begreifen, dass der Dichter hier wieder ein typisches name-dropping betreibt – eine Technik, die er dem Sterne abgewann. Von Thümmel aber kam die Idee, den Hypochondriker zu behandeln: beim älteren Autor kuriert sich der „Kranke“, der allein an der Hypochondrie leidet, durch eine Reise.
Wir finden die Stelle nun in jenem mehrbändigen Einzelwerk, das im Jean-Paul-Museum liegt, und das just seit 1791 erschienen war: in der Reise in die mittäglichen Provinzen Frankreichs. Dieses Buch, lese ich in der bekannten Enzyklopädie, „traf mit seiner leichtfertigen, unkomplizierten Art und seinem bisweilen derben Humor den Geschmack eines breiten Publikums, so dass er zu seinen Lebzeiten als meistgelesener Romanautor Deutschlands gilt.“ Jean Paul hatte also wohl Gründe, als er Thümmel in der Loge kritisierte. Wir sind ihm nämlich schon einmal begegnet: anlässlich der Erwähnung der Venus von Medici. Damals bemerkte der Erzähler, dass es Schriftsteller unserer Zonen gäbe, die vom Pariser Schmutz nicht frei seien. Jean Paul hat, entnehme ich dem guten Kommentar meiner Logen-Ausgabe, diese Stelle auf Thümmel, den „liebenswürdigen Verfasser der Wilhelmine“, bezogen, als er den Gedanken in seiner Erklärung der Holzschnitte wiederholte. In Wahrheit schätzte Jean Paul den Dichterkollegen in seiner Eigenschaft als Autor komischer Texte.
Interessanter erscheint mir der Hinweis im alten Katalog des Jean-Paul-Museums, dass Thümmel am 7. Band – er erschien 1810 – der Mittäglichen Reise mitgearbeitet hat und er ihn persönlich kannte; Thümmel besuchte ihn mehrmals in Bayreuth; in Coburg hatte man sich, natürlich, oft gesehen. Als Thümmel hier 1811 anlangte, vermeldete Jean Paul an den Verleger Göschen: Thümmel sei „Heiter wie unsere Gegend“. Kein Wunder: der Mann brachte Witz in die „literarische Wüste“ Bayreuths. Am 27. November 1804 hatte Freund Emanuel Osmund schon eine Thümmel-Anekdote an Thieriot berichtet: „Eine hiesige Dame gab einer andern, die zu Thümmel reiste, den Auftrag, ihm (es waren damals zwei Teile seiner Reise ins mittägliche Frankreich heraus) die Hand zu küssen. 'Sie soll sich nicht übereilen,' sagte Thümmel, als die Dame sich ihres Auftrags entledigen wollte, 'es könnte sie leicht in der Zukunft reuen.“ Und Emanuel ergänzte: „Diese Anekdote fällt mir immer ein, wenn ich unsern Richter jetzt über Ehe, Weiber usw. reden höre, und muss mir einfallen, weil er bald darüber schreiben will. Der liebe Gott sei den armen Weibern gnädig.“
Was nebenbei beweist, dass auch eine echte Freundschaft noch über sehr scharfe Augen verfügt.
Thümmel hatte es in der Tat nach Bayreuth nicht sehr weit. Geboren in Leipzig, zog der 23jährige 1761 nach Coburg, wo er sieben Jahre später zum Wirklichen Geheimen Rat und schließlich zum Minister ernannt wurde. Seit 1783 amtierte er nicht mehr – Zeit genug hatte er, um bis 1817 Reisen ins Nahe und Ferne zu unternehmen.
In Coburg erinnert übrigens eines der ersten deutschen Dichterdenkmäler an Jean Pauls Bekannten, der ihn durch einige wenige Stellen unsterblich machte. Im Bergpark von Schloss Falkenegg, das im Stadtteil Neuses zu finden ist, haben einige literaturbewegte Coburger Bürger im 19. Jahrhundert einen sieben Meter hohen Obelisk errichtet, der mit „Symbolen seines Schaffens“ und einigen Thümmel-Zitaten geschmückt wurde. Bemerkenswert – findet zumindest der Blogger. Ein monumentales Denkmal für einen heute so gut wie unbekannten Schriftsteller zu schaffen: es berührt merkwürdig: nicht allein im Lichte einiger weniger Jean-Paul-Stellen, in denen es um spezifische „Stellen“ beim älteren Zotenreißer geht.
-------------------------------------
[1] Nicht zu verwechseln mit dem römischen Feldherrn, aus dem die Barockoper, insbesondere der unvergleichliche Gluck (ah, Gluck!...) , den Ezio machten.
Logen-Blog [477]: Welchen Namen man kennen muss (und welche nicht)>
Der Name ist bekannt: Thümmel. Der Name ist dem Jean-Paul-Biographie-Kenner bekannt – und dem, der etliche Monate mit der Neukonstruktion des Bayreuther Jean-Paul-Museums befasst war, in dem ein Buch, eine Werkausgabe und ein Porträt Thümmels verwahrt werden. Thümmel. Man muss ihn nicht kennen, aber wer ihn kennt, wird feststellen, dass die Jean-Paul-Biographie ohne solche Namen – um ihn zu wiederholen: Thümmel – unvollkommen, unvollständig – und fragmentarisch wäre wie die Loge selbst, in der er nun zitiert wird (der Name: Thümmel).
Thümmel erhält seinen Platz, als Fenk dem Erzähler auseinandersetzt, dass er doch bloß ein Hypochondrist sei. Setz in deine Biographie, rät ihm der Freund, dass es bei dir keine Nachahmung des Herrn Thümmels und seines Doktors und ihres medizinischen Kollegiums ist, das halb aus dem Patienten, halb aus dem Arzte bestand. Und Fenk zählt einige unbekannte und bekannte Ärzte auf, die sich um den Ort der Einbildkraft kümmerten: Willis, Posidonius, Aetius[1] und Glaser. Man muss diese Namen alle nicht kennen, um zu begreifen, dass der Dichter hier wieder ein typisches name-dropping betreibt – eine Technik, die er dem Sterne abgewann. Von Thümmel aber kam die Idee, den Hypochondriker zu behandeln: beim älteren Autor kuriert sich der „Kranke“, der allein an der Hypochondrie leidet, durch eine Reise.
Wir finden die Stelle nun in jenem mehrbändigen Einzelwerk, das im Jean-Paul-Museum liegt, und das just seit 1791 erschienen war: in der Reise in die mittäglichen Provinzen Frankreichs. Dieses Buch, lese ich in der bekannten Enzyklopädie, „traf mit seiner leichtfertigen, unkomplizierten Art und seinem bisweilen derben Humor den Geschmack eines breiten Publikums, so dass er zu seinen Lebzeiten als meistgelesener Romanautor Deutschlands gilt.“ Jean Paul hatte also wohl Gründe, als er Thümmel in der Loge kritisierte. Wir sind ihm nämlich schon einmal begegnet: anlässlich der Erwähnung der Venus von Medici. Damals bemerkte der Erzähler, dass es Schriftsteller unserer Zonen gäbe, die vom Pariser Schmutz nicht frei seien. Jean Paul hat, entnehme ich dem guten Kommentar meiner Logen-Ausgabe, diese Stelle auf Thümmel, den „liebenswürdigen Verfasser der Wilhelmine“, bezogen, als er den Gedanken in seiner Erklärung der Holzschnitte wiederholte. In Wahrheit schätzte Jean Paul den Dichterkollegen in seiner Eigenschaft als Autor komischer Texte.
Interessanter erscheint mir der Hinweis im alten Katalog des Jean-Paul-Museums, dass Thümmel am 7. Band – er erschien 1810 – der Mittäglichen Reise mitgearbeitet hat und er ihn persönlich kannte; Thümmel besuchte ihn mehrmals in Bayreuth; in Coburg hatte man sich, natürlich, oft gesehen. Als Thümmel hier 1811 anlangte, vermeldete Jean Paul an den Verleger Göschen: Thümmel sei „Heiter wie unsere Gegend“. Kein Wunder: der Mann brachte Witz in die „literarische Wüste“ Bayreuths. Am 27. November 1804 hatte Freund Emanuel Osmund schon eine Thümmel-Anekdote an Thieriot berichtet: „Eine hiesige Dame gab einer andern, die zu Thümmel reiste, den Auftrag, ihm (es waren damals zwei Teile seiner Reise ins mittägliche Frankreich heraus) die Hand zu küssen. 'Sie soll sich nicht übereilen,' sagte Thümmel, als die Dame sich ihres Auftrags entledigen wollte, 'es könnte sie leicht in der Zukunft reuen.“ Und Emanuel ergänzte: „Diese Anekdote fällt mir immer ein, wenn ich unsern Richter jetzt über Ehe, Weiber usw. reden höre, und muss mir einfallen, weil er bald darüber schreiben will. Der liebe Gott sei den armen Weibern gnädig.“
Was nebenbei beweist, dass auch eine echte Freundschaft noch über sehr scharfe Augen verfügt.
Thümmel hatte es in der Tat nach Bayreuth nicht sehr weit. Geboren in Leipzig, zog der 23jährige 1761 nach Coburg, wo er sieben Jahre später zum Wirklichen Geheimen Rat und schließlich zum Minister ernannt wurde. Seit 1783 amtierte er nicht mehr – Zeit genug hatte er, um bis 1817 Reisen ins Nahe und Ferne zu unternehmen.
In Coburg erinnert übrigens eines der ersten deutschen Dichterdenkmäler an Jean Pauls Bekannten, der ihn durch einige wenige Stellen unsterblich machte. Im Bergpark von Schloss Falkenegg, das im Stadtteil Neuses zu finden ist, haben einige literaturbewegte Coburger Bürger im 19. Jahrhundert einen sieben Meter hohen Obelisk errichtet, der mit „Symbolen seines Schaffens“ und einigen Thümmel-Zitaten geschmückt wurde. Bemerkenswert – findet zumindest der Blogger. Ein monumentales Denkmal für einen heute so gut wie unbekannten Schriftsteller zu schaffen: es berührt merkwürdig: nicht allein im Lichte einiger weniger Jean-Paul-Stellen, in denen es um spezifische „Stellen“ beim älteren Zotenreißer geht.
-------------------------------------
[1] Nicht zu verwechseln mit dem römischen Feldherrn, aus dem die Barockoper, insbesondere der unvergleichliche Gluck (ah, Gluck!...) , den Ezio machten.