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09.08.2014, 19:14 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [460]: Die Sache wird spannend

Die Sache wird spannend

Wird der Fürst Beata verführen?

Oder wird sie sich der Anfechtungen erwehren?

Hier nochmal im Kurzdurchgang oder Was bisher geschah:

Vorspiel: Nach der Komödie. Bal paré. Gustav tanzt.

Akt I, 1. Szene: Die Gesellschaft fährt zurück. Die Achse bricht.

Zweite Szene: Gustav gerät in die Fänge der Bouse. Bestürmung und Eroberung.[1]

Akt II, 1. Szene: Der Fürst betritt Beatas Zimmer.

Und dort, meine Damen und Herren, befinden wir uns gerade. Beata, ihrer selbst sicher, vollendet tugendhaft entschlossen, empfängt den Fürsten, nachdem sie Gustavs Brief gelesen hat. Die Art, wie Beata den Brief einsteckte, war der einzige kleine Halbton in dieser vollen Harmonie einer gerüsteten Tugend, sagt der Erzähler, der wieder buchstäblich alles weiß. Hat Beata es ihm später so berichtet? Hat er es sich so genau vorgestellt, dass es Wirklichkeit wurde? Musste es so sein?

Ja, es musste. Diskutieren wir nicht, lieber Leser – es musste so sein. Die Tugend steht geschlossen vor der Untugend. Das genügt. Der Fürst spielt auf der Violine der Verführung, deren Sprache französisch ist; dies sei, meint der Autor, die beste, wenn man mit Weibern und mit Witzigen sprechen wolle. Französisch ist die Sprache des oberflächlichen Witzes, der Verstellung und der rhetorischen Kühnheit – wir werden sehen, ob Beata auf diese Rhetorik hereinfällt.

DER FÜRST: So hab' ich Sie heute den ganzen Abend in meinem Kopfe abgemalt gesehen; meine Phantasie hat Ihnen nichts genommen, außer die Gegenwart. – Wenn das Schicksal mit sich reden ließe: so hätt' ich auf dem ganzen Ball mit ihm gezankt, dass es gerade der Person, die uns heute so viel Vergnügen gab, das ihrige nahm.

BEATA (mit Empfindung, die nichts als ein Dank ans Schicksal für die vorherige frohe Lese-Stunde ist): O, das gute Schicksal gab mir heute mehr Vergnügen, als ich geben konnte.

Der Fürst nimmt ihre Hand, die sie ihm gleichgültig lässt und wie einen toten Handschuh in seine bettet.

DER FÜRST: (mit einer feinen Miene, die einen andern Sinn in Beatens Rede legen soll): Sie sind ein wenig Egoistin. – Das ist Ihr Talent nicht – Ihres muss sein, nicht allein zu sein. Sie verbargen bisher Ihr Gesicht wie Ihr Herz; glauben Sie, dass an meinem Hofe niemand wert ist, beide zu bewundern und zu sehen?

Sein Blick sucht nach einer Antwort. Sie schweigt.

Noch kein Vorhang.

Es scheint etwas dran zu sein an der Beziehung zwischen Frankreich und der Verführung. Elaine Sciolinos La Seduction bietet uns laut Werbung „the hidden truth about the French way of life: it's all about seduction – its rules, its pleasures, its secrets“. Seduction meint also nicht allein die sexuelle Verführung: „While sexual repartee and conquest remain at the heart of seduction, for the French seduction has become a philosophy of life, even an ideology, that can confuse outsiders.“ Mag sein, dass dies noch ein Erbe des 18. Jahrhunderts, des Jahrhunderts des Spiels und der Masken ist.

Elaine Sciolino war u.a. langjährige Pariser Bürochefin der New York Times – und sie hatte die Ferris-Professur für Journalismus an der Princeton University inne, wo bekanntlich auch ein gewisser Herr Mann einst am Katheder stand, der u. a. eine der eigentümlichsten Verführungsszenen der Weltliteratur hinterließ.

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[1] Nennen wir es erst einmal so – denn noch ist ja durchaus nicht klar, was genau hier, am Busen der Bouse, wirklich und real passierte. Wir wissen nur, dass sich die „Verführerin“ mit einem seltsamen Wort an Gustavs Brust warf – und dieser vom Erzähler den Bescheid seines Falles überreicht bekam. Mehr wissen wir nicht – denn dass Gustav am Busen der Frau von Bouse seltsame, nie erlebte Gefühle überfallen, sagt ja noch nicht so viel mehr als das, was es sagt: dass Gustav von erotischen Sentiments überwältigt wird, die nicht jeden, aber viele junge Männer seines labilen psychologischen Standes überfordern würden. Die Frage bleibt nur (und sie ist weniger unwichtig als die auf seelische Finesse bedachte Leserin vermuten mag): Werden sie oder werden sie nicht? Haben sie oder haben sie nicht? Auch daran hängt's, wie wir  das Verhalten Gustavs zu beurteilen haben. Noch ist nichts entschieden. Noch ist Gustav nicht wirklich gefallen – sehen wir einmal von seiner nicht ganz unverständlichen, geistigen Untreue gegenüber Beata ab – und setzen wir die Rechte und Gesetze des Körpers dagegen in Rechnung (auch wenn unser Verständnis von „Treue“ und „Untreue“, von „Seitensprung“ und Ich-Verlust heute ein anderes sein mag als das des Jahres 1792).

Es ist interessant, dass manchmal in den Fußnoten die interessantesten Bemerkungen stehen.

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