Logen-Blog [456]: Die Residentin als gelehrige Schülerin ihres Meister Jean Paul
Jean Paul spricht vom Furioso der Lustbarkeiten-Konzerts – was nun folgt, dürfte für Gustav ein wahres Furioso der Enthüllung sein – denn starke Seelen, meint der Erzähler, kennen zwischen Himmel und Hölle nichts – kein Fegefeuer, keinen limbus infantum.
Die Enthüllung nämlich, für die die Residentin einige kurze Sätze und der Kommentator eine Druckseite benötigt, lautet mit einem Wort:
Beata ist Gustavs Schwester
Donner und Doria, hunderttausend heulende Höllenhunde! Ei der Daus, Vater, das wird nicht gut ausgehen. Zumindest wird's nicht gut ausgehen, weil Gustav den Satz glaubt: den Satz, der in leichter Verklausulierung daher kommt (denn die Residentin ist eine gelehrige Schülerin ihres Herrn und Meisters Paul): meint er, dass er eine Schwester haben wollte, so antwortet sie ihm leichthin, dass er doch im Theaterstück gerade die umgekehrte Rolle gegen die Schwester (Marie also) gespielt habe. Gab er sich dort für einen Bruder aus, während er's nicht war, gebe er sich hier, aber fälschlich, für keinen aus, oder psychologisch vertiefter: hier kündige er ihr seine Liebe auf. Was erklärt werden muss, daher die Residentin noch einen, also den Satz draufsetzt: „Freilich sagt man, dass leibliche Brüder und Schwestern sich selten lieben; aber ich bin die erste Ausnahme [sie meint nämlich ihren Bruder Alban]; Sie werden die zweite sein.“
Klar, die Residentin lügt. Sie entfremdet den jungen Mann seiner Geliebten, um sich an deren Stelle zu setzen, aber könnte es nicht sein, dass sie nur das öffentlichkeitsscheue Verhalten Gustavs und Beatas subjektiv richtig gedeutet hat, um den verlorenen Sohn Frau Röpers und des Herrn von Falkenberg mit Gustav zu identifizieren? Was freilich angesichts von Gustavs bekannter Biographie merkwürdig anmutet? Aber: Ihr bisheriges Betragen ist so wenig wider meine Vermutung, als das bisherige des angeblichen Geschwisterpaars gegen ihre war; gleichwohl kann ich mich verrechnen. Wiederum Aber: Dieses Verrechnen wird aber durch ihr weiteres Betragen ganz unwahrscheinlich.
Man sieht: Jean Paul hält einen durch einschränkende Überlegungen auf einer Spannungsebene, die wenig Grund gibt, in dieser zwischen Verführung und Aufklärung changierenden Situation auf einen wirklich festen Grund zu stoßen. Was bedeutet es wirklich, wenn sie ihr Bedauern darüber bekundet, ein Geschwisterpaar für glücklich und liebend gepriesen zu haben, das sich meide und ungern von seinen Verhältnissen spreche? Wir haben die Residentin bisher als eine seltsam uneindeutige Person kennengelernt: als eine Frau, die zum einen von der höfischen „Kultur“ verzogen wurde, zum anderen noch einen Rest an „wahrem Gefühl“ besitzt, über das sie aber kaum eine Kontrolle besitzt. Auch diese Eigenheiten machen den Fall so schwierig.
Andererseits wäre eine versuchte Verführung ja eine zu einfache Angelegenheit für einen Autor vom Kompliziertheitsgrade Jean Pauls.
Hat Frau von Bouse diesen Bestseller der Gegenwart gelesen? Es ist unwahrscheinlich, aber sie wird vielleicht einschlägige Literatur ihrer Zeit studiert haben, um sich in der Kunst der Verführung zu üben – ja: um, ausgestattet mit den Tricks und Finten einer erfahrenen Frau, die so schaut, als ob sie wüsste, was sie will, eine wahrhaft „schöne Verführerin“ zu werden.
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Jean Paul spricht vom Furioso der Lustbarkeiten-Konzerts – was nun folgt, dürfte für Gustav ein wahres Furioso der Enthüllung sein – denn starke Seelen, meint der Erzähler, kennen zwischen Himmel und Hölle nichts – kein Fegefeuer, keinen limbus infantum.
Die Enthüllung nämlich, für die die Residentin einige kurze Sätze und der Kommentator eine Druckseite benötigt, lautet mit einem Wort:
Beata ist Gustavs Schwester
Donner und Doria, hunderttausend heulende Höllenhunde! Ei der Daus, Vater, das wird nicht gut ausgehen. Zumindest wird's nicht gut ausgehen, weil Gustav den Satz glaubt: den Satz, der in leichter Verklausulierung daher kommt (denn die Residentin ist eine gelehrige Schülerin ihres Herrn und Meisters Paul): meint er, dass er eine Schwester haben wollte, so antwortet sie ihm leichthin, dass er doch im Theaterstück gerade die umgekehrte Rolle gegen die Schwester (Marie also) gespielt habe. Gab er sich dort für einen Bruder aus, während er's nicht war, gebe er sich hier, aber fälschlich, für keinen aus, oder psychologisch vertiefter: hier kündige er ihr seine Liebe auf. Was erklärt werden muss, daher die Residentin noch einen, also den Satz draufsetzt: „Freilich sagt man, dass leibliche Brüder und Schwestern sich selten lieben; aber ich bin die erste Ausnahme [sie meint nämlich ihren Bruder Alban]; Sie werden die zweite sein.“
Klar, die Residentin lügt. Sie entfremdet den jungen Mann seiner Geliebten, um sich an deren Stelle zu setzen, aber könnte es nicht sein, dass sie nur das öffentlichkeitsscheue Verhalten Gustavs und Beatas subjektiv richtig gedeutet hat, um den verlorenen Sohn Frau Röpers und des Herrn von Falkenberg mit Gustav zu identifizieren? Was freilich angesichts von Gustavs bekannter Biographie merkwürdig anmutet? Aber: Ihr bisheriges Betragen ist so wenig wider meine Vermutung, als das bisherige des angeblichen Geschwisterpaars gegen ihre war; gleichwohl kann ich mich verrechnen. Wiederum Aber: Dieses Verrechnen wird aber durch ihr weiteres Betragen ganz unwahrscheinlich.
Man sieht: Jean Paul hält einen durch einschränkende Überlegungen auf einer Spannungsebene, die wenig Grund gibt, in dieser zwischen Verführung und Aufklärung changierenden Situation auf einen wirklich festen Grund zu stoßen. Was bedeutet es wirklich, wenn sie ihr Bedauern darüber bekundet, ein Geschwisterpaar für glücklich und liebend gepriesen zu haben, das sich meide und ungern von seinen Verhältnissen spreche? Wir haben die Residentin bisher als eine seltsam uneindeutige Person kennengelernt: als eine Frau, die zum einen von der höfischen „Kultur“ verzogen wurde, zum anderen noch einen Rest an „wahrem Gefühl“ besitzt, über das sie aber kaum eine Kontrolle besitzt. Auch diese Eigenheiten machen den Fall so schwierig.
Andererseits wäre eine versuchte Verführung ja eine zu einfache Angelegenheit für einen Autor vom Kompliziertheitsgrade Jean Pauls.
Hat Frau von Bouse diesen Bestseller der Gegenwart gelesen? Es ist unwahrscheinlich, aber sie wird vielleicht einschlägige Literatur ihrer Zeit studiert haben, um sich in der Kunst der Verführung zu üben – ja: um, ausgestattet mit den Tricks und Finten einer erfahrenen Frau, die so schaut, als ob sie wüsste, was sie will, eine wahrhaft „schöne Verführerin“ zu werden.