Logen-Blog [434]: Kann man zu jung sein, um wahrhaft zu lieben?
Mit Beata ist's am Anfang des sechsunddreißigsten Sektors wie im fünfunddreißigsten: eine tiefe Unsicherheit paart sich mit großem Liebesgefühl.
Denn sie fürchtet ihren Geliebten zu sehen wie sie enttäuscht ist, ihn nicht zu erblicken, wenn sie in das Schloss geht, das wir uns nicht als Nymphenburger vorstellen brauchen. Dass das innere Leben in einem adligen Prachtbau nicht so schön ist wie das Äußere, zumal des inneren Gebäudes, und dass die Ausstattung in einem bemerkenswerten Widerspruch zum seelischen Menschen steht: wir glauben es gern (trotzdem … trotzdem sind die Schlösser schön).
Aber wann beginnt das, was Beata und die Leser ihres Schicksals Liebe nennen? Man halte das nicht für die arrogante Frage eines älteren Herren, der sich auf den Standpunkt der Mutter stellt: „Beata werde von ihrer eignen Empfindung getäuscht“, weil die junge Dame – eben jung sei. „Jean Paul“ nennt dies
die gewöhnlichste, einfältigste, unwirksamste und am meisten aufbringende Einwendung
gegen eine lebendige Empfindung.
Er steht auf dem Standpunkt, dass das Argument der Jugend nicht triftig sei, den zudem die Nutzanwendung gar weglöschte: dass ihr Vater ihr schon den Gegenstand ihrer Liebe halb und halb gewählt.
Der Fall ist nicht einfach, weil er mehrere zentrale Fragen nach sich zieht: Kann man zu jung sein, um wahrhaft zu lieben? Ja: Kann man überhaupt wissen, was Liebe ist? Unabhängig vom Alter? Und kann man wissen, ob man überhaupt liebt, wenn man nur begehrt? Weiß man schon, dass man liebt, wenn man sich seinen Gefühlen überlässt? Ist es andererseits nicht egal, weil unentscheidbar, ob man sich der (ideal definierten) Liebe oder dem Liebesgefühl anheimgibt? Und kann man die Liebe überhaupt von der Gier trennen, der so viel Irrationales anhaftet wie der (ideal definierten) Liebe Rationales?
Liebt also Beata wahrhaft? Oder wird sie irgendwann selbst über diese jugendlichen Anwandlungen lächeln? Oder wird der Schmerz über die nicht verwirklichte, also von „der Gesellschaft“ (dem Vater, der Mutter, dem Fürsten, der Residentin, nicht zuletzt Gustav) verhinderte Liebe irgendwann einmal zugunsten eines Lächelns in die nostalgische Erinnerung gerückt werden? So wie wir mit entzücktem Lächeln auf die Ansichten eines glücklichen Schäferlebens schauen, das uns die Freskenmaler der Schlösser überliefert haben?
Unnütze Fragen! Beata liebt, sie und Gustav schmerzen sich durch diese Liebe: darauf kommt es an. Nicht, dass es nicht sinnvoll wäre, seine Liebe zu reflektieren – aber der Romancier ist so gut wie der Blogger der Meinung, dass man über die Liebe gleich welchen Alters nicht rechten kann. Auch nicht über den Schmerz, den eine unerfüllte Liebe zu provozieren vermag, der irgendwann fast vergessen werden könnte. Darüber wird doch die Liebe selbst nie vergessen.
Was sie ist, weiß der Dichter trotzdem nicht. Am ehesten verbirgt sie sich noch in den reizenden Malereien des Spätbarock – aber auch diese Formel ähnelt mehr einem rhetorischen Ornament als einer genauen Setzung, die nur das Wissen vermitteln könnte. Wer wahrhaft „liebt“, weiß in der Regel wenig.
Es gibt wahrhaft Schlimmeres.
Fotos: Frank Piontek (Schloß Nymphenburg, 3.7. 2014)
Logen-Blog [434]: Kann man zu jung sein, um wahrhaft zu lieben?>
Mit Beata ist's am Anfang des sechsunddreißigsten Sektors wie im fünfunddreißigsten: eine tiefe Unsicherheit paart sich mit großem Liebesgefühl.
Denn sie fürchtet ihren Geliebten zu sehen wie sie enttäuscht ist, ihn nicht zu erblicken, wenn sie in das Schloss geht, das wir uns nicht als Nymphenburger vorstellen brauchen. Dass das innere Leben in einem adligen Prachtbau nicht so schön ist wie das Äußere, zumal des inneren Gebäudes, und dass die Ausstattung in einem bemerkenswerten Widerspruch zum seelischen Menschen steht: wir glauben es gern (trotzdem … trotzdem sind die Schlösser schön).
Aber wann beginnt das, was Beata und die Leser ihres Schicksals Liebe nennen? Man halte das nicht für die arrogante Frage eines älteren Herren, der sich auf den Standpunkt der Mutter stellt: „Beata werde von ihrer eignen Empfindung getäuscht“, weil die junge Dame – eben jung sei. „Jean Paul“ nennt dies
die gewöhnlichste, einfältigste, unwirksamste und am meisten aufbringende Einwendung
gegen eine lebendige Empfindung.
Er steht auf dem Standpunkt, dass das Argument der Jugend nicht triftig sei, den zudem die Nutzanwendung gar weglöschte: dass ihr Vater ihr schon den Gegenstand ihrer Liebe halb und halb gewählt.
Der Fall ist nicht einfach, weil er mehrere zentrale Fragen nach sich zieht: Kann man zu jung sein, um wahrhaft zu lieben? Ja: Kann man überhaupt wissen, was Liebe ist? Unabhängig vom Alter? Und kann man wissen, ob man überhaupt liebt, wenn man nur begehrt? Weiß man schon, dass man liebt, wenn man sich seinen Gefühlen überlässt? Ist es andererseits nicht egal, weil unentscheidbar, ob man sich der (ideal definierten) Liebe oder dem Liebesgefühl anheimgibt? Und kann man die Liebe überhaupt von der Gier trennen, der so viel Irrationales anhaftet wie der (ideal definierten) Liebe Rationales?
Liebt also Beata wahrhaft? Oder wird sie irgendwann selbst über diese jugendlichen Anwandlungen lächeln? Oder wird der Schmerz über die nicht verwirklichte, also von „der Gesellschaft“ (dem Vater, der Mutter, dem Fürsten, der Residentin, nicht zuletzt Gustav) verhinderte Liebe irgendwann einmal zugunsten eines Lächelns in die nostalgische Erinnerung gerückt werden? So wie wir mit entzücktem Lächeln auf die Ansichten eines glücklichen Schäferlebens schauen, das uns die Freskenmaler der Schlösser überliefert haben?
Unnütze Fragen! Beata liebt, sie und Gustav schmerzen sich durch diese Liebe: darauf kommt es an. Nicht, dass es nicht sinnvoll wäre, seine Liebe zu reflektieren – aber der Romancier ist so gut wie der Blogger der Meinung, dass man über die Liebe gleich welchen Alters nicht rechten kann. Auch nicht über den Schmerz, den eine unerfüllte Liebe zu provozieren vermag, der irgendwann fast vergessen werden könnte. Darüber wird doch die Liebe selbst nie vergessen.
Was sie ist, weiß der Dichter trotzdem nicht. Am ehesten verbirgt sie sich noch in den reizenden Malereien des Spätbarock – aber auch diese Formel ähnelt mehr einem rhetorischen Ornament als einer genauen Setzung, die nur das Wissen vermitteln könnte. Wer wahrhaft „liebt“, weiß in der Regel wenig.
Es gibt wahrhaft Schlimmeres.
Fotos: Frank Piontek (Schloß Nymphenburg, 3.7. 2014)