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08.07.2014, 10:08 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [432]: Fleisch- und Bein-Gitter zwischen Menschen-Seelen

Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Youngs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.

Kleist: Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft

Manche Menschen können, sagt der Dichter, und da hat er Recht, ohne Schauder keine Wachsfiguren sehen. Der empfindsame Leser darf sich einen Moment wie Gustav fühlen, der den Horror der Inszenierung empfindet – geboren in Herz und Hirn eines Verzweifelten, dem alles, was ihm Leben ist, schon abgestorben scheint: dem alles, was ihm tot ist, lebendiger scheint als das Leben: hätte er nicht die wenigen Freunde.

Punktgenau stürmt denn also der Dr. Fenk die Truppe zum Gruselkabinett hoch; zusammen mit Gustav und Ottomar bilden sie eine seine seltsame Trias. Drei Freundschaftsgrazien stehen da plötzlich zusammen: Wäre der Tod selber vorbeigegangen, er hätte seine kalte Sichel nicht durch drei eng, sprachlos und warm verknüpfte Herzen gedrängt. Der Depressive aber findet inmitten der brüderlichen Umarmung und einer Vernichtung-Minute zu einer sprachlich genialen Formel, die das alles – dieses „Beieinandersein“ (wie Hofmannsthal am Ende der schönen Oper geschrieben hat) – aufzuheben scheint:

Fleisch- und Bein-Gitter stehen zwischen den Menschen-Seelen, und doch kann der Mensch wähnen, es gebe auf der Erde eine Umarmung, da nur Gitter zusammenstoßen und hinter ihnen die eine Seele die andre nur denkt?

Ottomar bestätigt diese Setzung schließlich durch eine Tat: Er trat zur wächsernen Frau und nahm das schwarze Todes-Bouquet und steckt' es über sein Herz.

Es sind dies die Stellen, an denen man daran zweifelt, ob es nicht jene Sentenzen sind, die Jean Pauls Lebensmeinung am stärksten zum Ausdruck bringen – als habe er seinen ganzen Intellekt und Witz aufwenden müssen, um nicht selbst in der Schwärze des Nihilismus zu ertrinken, der ihm – als seien ihm die Augenlider abgeschnitten worden – die Idee eingab, dass es selbst oben bei den Fixsternen nicht einmal lichter wird.

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