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22.03.2014, 13:48 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [384]: Aufmarsch der Gratulanten

Gestern feierten wir Jean Pauls (und Bachs) Geburtstag. Es gratulierten: einige Persönlichkeiten, die ihre Geschenke literarisch verpackt hatten.

Ein Mann, der aussah wie der Schauspieler Reinecke: ein Fragment

Auch dich selber, guter Reineke, vergess' ich nicht ob jetzt gleich deine edle Bildung unter dem schweren Grabstein liegt und auseinanderbröckelt. Du hast es niemals erfahren, dass der Redakteur (wie ich mich nennen soll) dein Freund gewesen: es war ihm an seiner Liebe genug, ohne deine zu begehren, und du starbst daher seiner Phantasie auch nicht.

Warum ich den Mann, der aussah wie der Schauspieler Reineke, nicht vergesse. Fragment (= II. Ernsthafter Zwischenakt von Abrakadabra oder Die Baierische Kreuzerkomödie

 

Alexander von Humboldt: eine Theorie

Sechzig Jahre lang habe ich über die innern Triebräder der Natur, über den Unterschied der Stoffe gesonnen und erst heute läßt der Rhodische Genius mich klarer sehen, was ich sonst nur ahnete. Wenn der Unterschied der Geschlechter lebendige Wesen wohlthätig und fruchtbar aneinander kettet, so wird in der unorganischen Natur der rohe Stoff von gleichen Trieben bewegt. Schon im dunkeln Chaos häufte sich die Materie und mied sich, je nachdem Freundschaft oder Feindschaft sie anzog oder abstieß. Das himmlische Feuer folgt den Metallen, der Magnet dem Eisen; das geriebene Elektrum bewegt leichte Stoffe; Erde mischt sich zur Erde; das Kochsalz gerinnt aus dem Meere zusammen und die Säure der Stüptärie strebt, sich mit dem Thone zu verbinden. Alles eilt in der unbelebten Natur sich zu dem seinen zu gesellen. Kein irrdischer Stoff (wer wagt es, das Licht diesen beyzuzählen?) ist daher irgendwo in Einfachheit und reinem, jungfräulichen Zustande zu finden. Alles eilt von seinem Entstehen an zu neuen Verbindungen und nur die scheidende Kunst des Menschen kann ungepaart darstellen was Ihr vergebens im Inneren der Erde und in dem beweglichen Wasser- und Luft-Oceane suchtet. In der todten unorganischen Materie ist träge Ruhe, so lange die Bande der Verwandtschaften nicht gelöst werden, so lange ein dritter Stoff nicht eindringt, um sich den vorigen beizugesellen. Aber auch auf diese Störung folgt wieder unfruchtbare Ruhe.

Anders ist die Mischung derselben Stoffe im Thier- und Pflanzenkörper. Hier tritt die Lebenskraft gebieterisch in ihre Rechte ein; sie kümmert sich nicht um die demokritische Freundschaft und Feindschaft der Atome; sie vereinigt Stoffe, die in der unbelebten Natur sich ewig fliehen, und trennt, was in dieser sich unaufhaltsam sucht.

Tretet näher um mich her, meine Schüler, und erkennet im Rhodischen Genius, in dem Ausdruck seiner jugendlichen Stärke, im Schmetterling auf seiner Schulter, im Herrscherblick seines Auges, das Symbol der Lebenskraft, wie sie jedem Keim der organischen Schöpfung beseelt. Die irrdischen Elemente, zu seinen Füßen, streben gleichsam, ihrer eigenen Begierde zu folgen, und sich mit einander zu mischen. Befehlend droht ihnen der Genius mit aufgehabener, hochlodernder Fackel, und zwingt sie, ihrer alten Rechte uneingedenk, seinem Gesetze zu folgen.

Betrachtet nun das neue Kunstwerk, welches der Tyrann mit zur Auslegung gesandt; richtet Eure Augen vom Bilde des Lebens ab, auf das Bild des Todes. Aufwärts weggeflohen ist der Schmetterling, ausgelodert die umgekehrte Fackel, gesenkt das Haupt des Jünglings. Der Geist ist in andre Sphären entwichen, die Lebenskraft erstorben. Nun reichen sich Jünglinge und Mädchen frölich die Hände. Nun treten die irrdischen Stoffe in ihre Rechte ein. Der Fesseln entbunden folgen sie wild, nach langer Entbehrung, ihrem geselligen Triebe, und der Tag des Todes wird ihnen ein bräutlicher Tag. – So gieng die todte Materie von Lebenskraft beseelt, durch eine zahllose Reihe von Geschlechtern, und derselbe Stoff umhüllte vielleicht den göttlichen Geist des Pythagoras, in dem vormals ein dürftiger Wurm im augenblicklichen Genusse sich seines Daseyns freute!

Die Lebenskraft oder der Rhodische Genius. Eine Erzählung, in: Die Horen 1/5 (1795)

Carl Hauptmann: ein Ziegenbart

Damals war auch Carl Hauptmann, Gerhart Hauptmanns älterer Bruder, mit seiner jungen Frau auf der Hochzeitsreise in New York angekommen. Er machte einen unbeholfenen, nicht übermäßig begabten Eindruck. Sah ein bisschen wie eine Ziege aus, schon durch seinen langen, dünnen Bart. Er war sehr nervös, scheinbar kränklich, und die junge Frau fühlte sich damals nicht sehr glücklich. Sie war Malerin und kam aus der Freiheit. Er war hypochondrisch und quälte sie. Er war rührend zu Mahler, aber er interessierte uns nicht. Der Vergleich mit Gerhart fiel sehr zu seinen Ungunsten aus.

Alma Mahler: Erinnerungen an Gustav Mahler, 1940

Juan José de Vértiz y Salcedo: ein Tangoverbot

In verschiedenen afrikanischen Dialekten bedeutet das Wort Tango geschlossener Raum, Kreis, Revier. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts werden auch die Sklavenghettos so bezeichnet. Vizekönig Vértiz lässt die sogenannten Tangotänze verbieten, da sie gegen die guten Sitten verstoßen...

Salas & Lato: Tango. Wehmut, die man tanzen kann, 1999

Napoleon: ein Dekret

„Seit meiner Heirat glaubt man, der Löwe schlafe. Man wird ja sehn, ob er schläft. Ich brauche 800000 Mann und habe sie: ganz Europa werde ich hinter mir herschleifen. Europa ist nichts als ein altes Weib, mit dem ich mit meinen 800000 Mann machen kann, was ich will ... Haben Sie mir nicht selbst gesagt, Sie lassen das Genie gelten, weil es keine Unmöglichkeiten kennt? Ich habe meine Bestimmung noch nicht erfüllt, ich will beenden, was erst begonnen ist. Wir brauchen ein europäisches Gesetz, einen europäischen Kassationshof, eine einheitliche Münze, die gleichen Gewichte und Maße, wir brauchen dieselben Gesetze für ganz Europa. Aus allen Völkern will ich ein Volk machen.“

Emil Ludwig: Napoleon, 1924

 

Johan Buddenbrook d. Ä.: ein paar Fuder Heu

Er war kein beschränkter Kopf. Er hatte ein Stück von der Welt gesehen, war anno 13 vierspännig nach Süddeutschland gefahren, um als Heereslieferant für Preußen Getreide aufzukaufen, war in Amsterdam und in Paris gewesen und hielt, ein aufgeklärter Mann, bei Gott nicht alles für verurteilenswürdig, was außerhalb der Tore seiner giebeligen Vaterstadt lag.

Thomas Mann: Buddenbrooks, 1901

Luise, Königin der Herzen: mehrere Filme

Sie wurde geliebt und verklärt wie keine zweite preußische Königin – Luise, Gemahlin Friedrich Wilhelms III. Dichter, Maler, Bildhauer verewigten sie in unzähligen Darstellungen. Auch Film und Fernsehen bemächtigten sich ihrer und gaben dem Publikum, was es von einem „lebenden“ Porträt der Monarchin erwarten konnte. Filme haben unser Bild von Königin Luise mit erschaffen. Allzu oft schöpften sie lediglich aus Anekdoten und Histörchen, sind Kitsch, selten Kunst, Konjunkturware oder auch Gesinnungsware. Selbst wenn sie zur korrekten Biographie nicht taugen, interessante Dokumente sind sie allemal.

Guido Altendorf und Alexa Eberle, in: MuseumsJournal. Berichte aus den Museen, Schlössern und Sammlungen in Berlin und Potsdam 2/24 (2010)

Luise und Friederike von Preußen: eine Skulptur von Schadow

Ich habe fast nie etwas Herrlicheres von modernen Bildsäulen gesehen. Sie sind dabey zum Sprechen ähnlich. Stellung, Ausführung der griechischen Draperie, Grazie – kurz Alles ist vortreflich.

Friedrich Justin Bertuch: Moderne weibliche Statuen, in: Journal des Luxus und der Moden 12, 1795.

 

Karl August von Hardenberg: ein Bildnis von Kreul

Die entscheidende Wendung im Leben im Leben des verhinderten Reformers kam 1790 mit dem Wechsel nach Franken. Markgraf Alexander, Herr über die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth, verkaufte seine Regierungsgewalt gegen eine Leibrente an Preußen, Hardenberg sollte den Übergang der Staatshoheit reibungslos gestalten und die neuen Provinzen im Namen Friedrich Wilhelms II. verwalten. Als dirigierender Minister mit weit reichenden Vollmachten erlangte er eine geradezu vizekönigliche Stellung, die sich auch in seiner glanzvollen Hofhaltung spiegelte. Als Hauptaufgabe setzte sich Hardenberg die Arrondierung des völlig zersplitterten Staatsgebiets. Dabei ignorierte er bedenkenlos alte Rechte und Privilegien. Seine Erfolge in Franken ebneten ihm den Weg in die große Politik.

Andreas Bernhard und Anne-Katrin Ziesak: Revolution von oben! Preußens Staatskanzler Karl August von Hardenberg, in: MuseumsJournal 4/23 (2009)

Amalie Wolff-Malcomi: ein Gemälde von Johann Friedrich August Tischbein

Sie war am 11. December 1783 als die Tochter des Schauspielers Malcolmi geboren und hatte schon mit acht Jahren als Justel im „Alchymisten“ in Weimar debutirt. Seitdem blieb sie in Verbindung mit der Weimarer Bühne. Corona Schröter wurde ihre Lehrerin in der Kunst der Sprache und Darstellung, und am 30. December 1794 erfolgte ihre erste Anstellung an dem Theater in Weimar. Nach dem Tode der Christiane Neumann-Becker übernahm sie einen Theil der von jener gespielten Rollen, bis sie sich als Solisa in Schlegel's „Alarcos“ am 29. Mai 1802 Bahn brach und sich seitdem mehr und mehr zur ersten tragischen Heldinnenspielerin der Weimarer Bühne aufschwang. Auf Goethe’s Wunsch übernahm sie am 19. März 1803 die Rolle der Isabella in der ersten Aufführung von Schiller’s „Braut von Messina“ und gefiel in ihr selbst Schiller, der anfangs Bedenken gegen sie gehabt hatte, ausnehmend. Im Jahre 1803 vermählte sie sich mit dem Regisseur Heinrich Becker, der in erster Ehe mit Christiane Neumann verheirathet gewesen war. Doch wurde diese Ehe, da die beiden Gatten wenig mit einander harmonirten, nach kaum einem Jahre wieder aufgelöst. Für Wolff dagegen bot seine Frau die wünschenswertheste Ergänzung, da sie mehr Temperament wie er besaß und den öfters Zaghaften mit sich fortriß. „Wolff gewann durch diese Ehe an innerem Halt, sie schützte ihn vor vielen Irrthümern und trug dazu bei, sein künstlerisches Streben rein zu erhalten“. Ihr Zusammenspiel auf der Bühne brachte eine Reihe der höchsten Kunstgenüsse, z. B. im „Tasso“, wo Wolff die Titelrolle und seine Frau die Prinzessin gab, oder in der „Iphigenie“, und „Romeo und Julia“, Rollen, an die sie ihre ganze künstlerische Kraft mit Erfolg zu setzen pflegten.

Hermann Arthur Lier: Wolff, Pius Alexander, in: ADB 44, 1898

Amor und Psyche: ein Salonstück von Bougoureau

Ich weiß, du und noch einige meiner Freunde schrien mich gern für so etwas von einem deutschen Vestris aus; allein glaube mir, jeder kennt sich, und ich hätte füglich in Paris das berühmte Ballet „Amor und Psyche“ tausendmal mittanzen können, ohne wie die Tänzerin, die nachher nur die Psyche hieß, meinen Namen einzubüßen und als Amor zu rulieren.

Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf. Sechster Brief. An Doktor Viktor