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20.03.2014, 12:56 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [382]: Mündliche Mitteilung

Wie hat der Dichter eigentlich gesprochen? Wie müssen wir uns seine Mund-Art vorstellen?

Die Frage, wie jemand spricht, welchen Zungenschlag er besitzt: sie ist vielleicht für das Werk nicht wesentlich, das uns ja Wesentliches über das Denken dessen mitteilt, der da schreibt. Allein die spezielle Anthropologie interessiert sich auch gelegentlich für die Sprechweise „berühmter Männer“: wie im Falle Bismarcks, dessen körperliches Hünentum in direktem Gegensatz zu dessen Fistelstimme stand. Der Blogger erinnert sich, in der großen Gustav-Mahler-Biographie[1] Jens Malte Fischers eine präzise Beschreibung des Komponisten gelesen zu haben, die seine Gangart wie seine Stimme erfasste, soweit sie durch die überlieferten Dokumente rekonstruierbar ist.

Glücklicherweise haben die Zeitgenossen Jean Pauls auch bisweilen seine Mund-Art beschrieben – aber das Bild ist, um es zurückhaltend auszudrücken, leicht verwirrend. Um das (für Berufsfranken) bitterste Ergebnis gleich vorwegzunehmen: man kann den „bedeutendsten fränkischen Dichter“ schon sprachlich nicht vorbehaltlos für Franken reklamieren. Vergessen wir nicht, dass die Eltern von Jean Pauls Eltern auch in der (heutigen) Oberpfalz zur Welt kamen und dort lebten: was auf eine sprachliche Prägung hinauslief, die sie an ihre Kinder weitergegeben haben werden. Kommt hinzu, dass Jean Paul die wesentlichen Jahre seiner Jugend in Joditz erlebte, also in einem Zipfel des südlichsten Vogtlandes, in dem anders gesprochen wurde als in Bareid, Nämberch[2], Haanerschraath[3] und Ringsdorf[4]. Erst ein Jahr nach Jean Pauls Tod schreibt Heinrich von Spangenberg, dass Jean Paul Bayreuther Dialekt gesprochen habe. 1804 meinte der Erlanger Pfarrer Johann Philipp Le Pique noch, dass der Dichter in vogtländischer Mundart gesprochen habe – und er konnte sich nicht zurückhalten, zu bemerken: diese klingt nicht sonderlich angenehm; als ich ihn 'Mädichen', 'Bändichen' sagen hörte, konnte ich mich des Gedankens an die jenaischen Kümmeltürken nicht erwehren“. Auch Richard Otto Spazier bezeichnete – drei Jahre vor Jean Pauls Tod – dessen Sprache als vogtländisch – allerdings mit einer Variante, die heute eher seltsam anmutet, aber einige Jahre nach der Gründung des Königreichs Bayern rein dialektal wie sprachgeschichtlich nachvollziehbar sein mag: Jean Paul habe bayrisch-vogtländisch gesprochen (auf keinen Fall also eindeutig „fränkisch“). Spazier gab auch ein Beispiel für diese Mundart: Jean Paul habe „Monnd“ statt „Mond“ gesagt. Therese Huber wird 1824 ein weiteres konkretes Beispiel geben: „Jo, mon mocht schon Voarbereitungen zu moiner Ufnohme“, und sie kommentiert den Dialekt: dies sage „der besten deutschen Schriftsteller einer, indem er das a in einen Mittelton oa verwandelt“. Sprachhistoriker mögen entscheiden, ob es sich bei diesem Satz eher um einen fränkischen oder einen thüringischen handelt – mir Berliner Laien klingt er eher wie ein um die Vokalecken gesprochener, der in der nördlichsten Coburger Gegend und im südlichen Thüringen gesprochen wird.

Vier Jahre nach Pique rätselte Karl August Varnhagen von Ense, welche Mundart Jean Paul wohl sprechen möge. Er entschied sich für ein Gemisch von fränkischem und sächsischem Dialekt – „doch ganz in der Gewalt der Schriftsprache festgehalten“ (was die Definition nicht einfacher macht). Fränkisch, sächsisch? Die Unterschiede sind gewaltig, ja: werden damals – als es noch richtige Dialekte und nicht allein „lokale Färbungen“ gab – größer als heute gewesen sein, da die Dialekte zusehends aussterben. Den allgemeinen Duktus von Jean Pauls Sprache hat von Ense allerdings genauer beschrieben: sie sei schnell, fast eilig und daher bisweilen etwas stolpernd.

Nein, wir wissen nicht, ob er grundsätzlich bayreutherisch, vogtländisch, eher sächsisch oder oberpfälzisch eingefärbt oder thüringisch beeinflusst gesprochen hat. Unwahrscheinlich, dass er Zweisprachler war, also zusätzlich zu seiner Mundart ein lupenreines Hannoveranisch beherrschte. „Fränkisch“: die Bezeichnung würde eine Fülle von Möglichkeiten offenbaren, die sich mit unserem heutigen Begriff vermutlich nur teilweise decken würden. Seine Figuren sprechen übrigens, wenn ich es richtig sehe, niemals Mundart. Selten genug, dass in Kuhschnappel ein lustiger Sachse wohnt. In Scheerau und Hukelum wohnen Leute aus Hochdeutschland, nicht aus Franken, Bayern oder Thüringen. Auch Gustav und Beata sind Geist von des Dichters Geist, dessen äußerlichste Mittel – die Sprache – sich niemals im Dialekt offenbarte: oder doch nur im einzigartigen Dialekt von Jean Pauls persönlichstem, in jedem Sinne überkommunalem Geist.

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[1] Gustav Mahler – bekanntlich der Komponist der Titan-Symphonie, der Liebhaber Jean Pauls.

[2] Nürnberg

[3] Heinersreuth

[4] Rödensdorf

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