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08.03.2014, 16:15 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [370]: Beata sorgt sich um den schlummernden Gustav

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Foto: Friedrich Böhringer / lizensiert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Austria: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/deed.en

Auch der Blogger kannte mal eine attraktive junge Frau mit blauen Augen – aber es handelte sich nur um Kontaktlinsen. Beata aber hat natürliche blaue Augen.

Wir erfahren es durch einen Nebensatz:

Es fiel ihr ferner ein, wie beide Freunde so erhaben nebeneinander ruhten; und ihr blaues Auge befreiete sich von einem Tautropfen, von welchem ich nicht weiß, ging er für das außer der Erde pochende oder für das in ihr stillstehende Herz herab.

Abgesehen davon, dass die Existenz blauer Augen von einem Gendefekt abhängt, sind sie sehr schön – und belegen ihren Träger mit dem Signum der Sanftmut, allerdings auch – da kann sich jeder Leser fragen, ob dies stimmt – mit einem gehörigen Grad von sexueller Attraktion. Ist dies der Grund, wieso Beata Gustav so anzieht? Bevor sie sich gegenseitig – aber lassen wir das, denn ich glaube nicht, dass wir jemals Zeugen dieser schönen Szene werden.

Beata also, die Sanftmütige, die Blauäugige, schwirrt um den schlafenden Gustav herum, der am Grabe seines Freundes schlummert. Sie sorgt sich: während er schläft, räumt sie das Hindernis zweier kleiner spitzer Steinchen aus dem Wege – es könnte ja sein, dass er beim Aufwachen darüber stolpert, ja: „sie bückte sich zweimal neben ihm nieder (sie wollt' es nicht auf einmal oder auch mit dem Fuße tun), um sie wegzunehmen, damit er nicht in ihre Spitzen hineinfiele …“, und dann fällt ihr auch noch ein, dass ihm ja die Nachtluft schädlich sein könne … Und die Orgel der Kirche von Ruhestatt, in der wir uns den toten Ottomar vorstellen müssen, geht mitten in der Nacht so ernst und klagend zu gehen an, als wenn der Tod sie spielte, und Gustav erwacht plötzlich – was sie so gut befürchtete wie erwartete –, und er sagt noch halb im Traum zu ihr:

O nimm mich ganz, glückliche Seele, nun hab' ich dich, geliebte Beata, auch ich bin tot.

Ist das alles nicht ein bisschen zu viel an Rührung und Sentiment? Ist das nicht alles ein wenig überinstrumentiert? Ist das nicht alles zu schön und schauerlich, um wahr zu sein?

Es ist – und es ist nicht. Im Licht der Magie der blauen Augen erscheint die Welt nur so, wie sie ist: im Auge des Betrachters ein Sturm der Gefühle, in der Feder des seltsamerweise allwissenden Erzählers ein Ausdruck tiefster Gefühle, über deren Relevanz für alle Liebenden dieser Erde wohl nicht zu rechten ist – unabhängig davon, ob sie graue, braune oder blaue Augen haben.

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