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18.02.2014, 14:01 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [353]: Betr. das Neue Schloss nebst einer polemischen Anmerkung

Jean Paul will uns weismachen, dass er die letzten Kapitel im Kuhstall, also „am Geburtorte viel dümmerer Wesen“ geschrieben habe, weil ja nach schwedischer Empfehlung die Hektiker hier die Linderung ihres Leides finden könnten. Der (tolle) Einfall erinnert mich an ein Bayreuther Viehstück, das ich das erste Mal vor 26 Jahren gesehen habe und das ich schon seit vielen Jahren nicht mehr erblickt habe: obwohl es an einem öffentlich zugänglichen Ort hängt – dem Bayreuther Schloss.

Wie konnte ich es nur vergessen? Dass einige Räume dieses prachtvollen Neuen Schlosses immer noch unzugänglich sind, seitdem man sie vor vielen Jahren für den sog. Publikumsverkehr geschlossen hat? Die örtliche Schlossherrin Frau M***, wie ich sie zärtlich zu nennen pflege, wusch mir letztens den Kopf, als ich meinte, dass man doch... da wären noch Räume im Obergeschoss des Schlosses... da gäbe es doch noch die Privaträume des Markgrafen unter dem Dach, versehen mit schönen Fresken, die man das letzte Mal während der Wilhelmine-Ausstellung des Jahres 1998 zu Gesicht bekam... wann man sie restaurieren und zugänglich würde... Nichts zu machen: diese Dachräume bergen das Depot, aber ob ich denn nicht wüsste, dass sich hinter dem Palmenzimmer des Markgrafentrakts noch Räume befänden, die gleichfalls der Restaurierung harrten? Wobei ich bitteschön nicht vergessen dürfte, dass die Schlösserverwaltung im Moment mit einem riesigen Projekt befasst sei, das alle Kräfte fresse: die Restaurierung des Markgräflichen Opernhauses. Wer könnte da an die Markgrafenzimmer denken, die noch geschlossen sind?

So helfen mir nur die blasse Erinnerung – und der alte Schlossführer, den ich mir vor über einem Vierteljahrhundert kaufte. Es handelt sich um die Räume Nr. 18-22, die sich hinter dem Palmenzimmer befinden: das Spalier-, das Musik- und das Schlafzimmer, dann ein Durchgangs- und das Toilettenzimmer; dahinter fängt der Italienische Bau an. Im Toilettenzimmer befindet sich nun das Objekt, an das ich bei der Lektüre denken muss: ein Viehstück, gemalt von einem Maler der berühmten Viehstückmalerfamilie Roos. Es stammt aber nicht von Johann Heinrich, dem wohl bekanntesten der Roos', sondern von Johann Melchior Roos – und es zeigt, um genau zu sein, einen Braunen Stier und Schafe in antiker Ruine. Roos hat das 1661 gemalt, das Gemälde ist Eigentum der Bayrischen Staatsgemäldesammlungen. Es kam also nur zufällig nach Bayreuth und gehörte nicht zu den ursprünglichen Beständen der Markgrafen – und wer weiß: vielleicht steht es jetzt wieder in München im Depot.

 

Kleiner polemischer Einschub betr. der Bayreuther Staatsgalerie

Als die Galerie im Neuen Schloss vor einiger Zeit nach der 22 Jahre langen Schließung als Zweiggalerie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen endlich, endlich wiedereröffnet worden war und die Hängung endlich, endlich unter dem Titel Malerei des Spätbarock eine sinnvolle Struktur bekommen hatte, die sich – mit den erstrangigen Werken aus den Münchner Beständen – auf die spezifischen Sammlungsinteressen der Wilhelmine und des Markgrafen Friedrich konzentrierte, entblödeten sich einige wenige Berufsfranken nicht, den „schönen alten Gemälden“ hinterherzuweinen, die irgendwann zufällig nach Bayreuth gekommen waren, um den leeren Raum an den Wänden der Galerie nur dekorativ zu füllen, und die nun von „den Münchnern“ abgehängt worden waren. Dass die Leute von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, die Restauratoren und Kunsthistoriker zusammen mit den Spezialisten der Alten Pinakothek hier eine thematisch kompakte, künstlerisch spektakuläre, immer wieder entzückende Sammlung und Staatsgalerie zusammengestellt und den Raum wieder optimal nutzbar gemacht hatten: um dies zu begreifen, muss man wohl genauer hinschauen. Ähnliche Undankbarkeit erfuhr dann – zugegeben: nur von wenigen Besuchern – die Restaurierung des Alten Schlosses in der Eremitage: man trauerte Zeiten nach, in denen sich das Schloss in einem schlechten konservatorischen und ausstattungsmäßig kruden Zustand befand.

Interessanterweise hat ein bekannter Münchner Maler Roos' Bild kopiert: Wilhelm von Kobell. 1790 malte er die Kopie, seit 1792 – da entsteht gerade unser Roman – wirkte er als Hofmaler in der Landeshauptstadt, seit 1814 lehrte er zudem Landschaftsmalerei an der Münchner Akademie der Künste. Ludwig I. (der Jean Pauls Denkmal in Bayreuth errichten und ihn in die Ruhmeshalle bringen ließ) adelte ihn schließlich: auch für Viehstücke wie jenes, dessen Original einmal zufällig nach Bayreuth gekommen war.

Man muss selber an einem solchen Orte der Hektik wegen im juristischen oder ästhetischen Fache (weil ich beides Belletrist und Rechtskonsulent bin) gearbeitet haben, um aus Erfahrung zu wissen: dass da oft die erträglichsten Einfälle viel stärkere Stimmen als die der literarischen und juristischen Richter gegen sich haben und dadurch zum Henker gehen.

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[1] Der Markgraf: damit ist in Bayreuth natürlich immer Markgraf Friedrich „der Vielgeliebte“ gemeint: der Gatte unserer Fürstin Wilhelmine von Bayreuth.

[2] Ertappt! Weil ich es – vergessen hatte.

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