Logen-Blog [337]: Noch einmal zurück zum Masochismus
Dieses Blatt aus einem Zyklus der ars moriendi verdanken wir dem überragenden Meister E. S., der bis ins dritte Viertel des 15. Jahrhunderts am Oberrhein tätig war.[1]
Dass das Sterben schön ist, wird Jean Paul später im Anhang der Loge behaupten. Vorderhand hat er einen andere Meinung von den letzten Stunden, oder anders: er beschreibt eine andere Art des Sterbens, die von der ars moriendi nicht erfasst wird: Nicht das schmutzige eingedorrte Krankengesicht, nicht die von Fiebern weggebeizte Lebensfarbe, nicht die Runzeln der Lippe waren es an Amandus (oder sind es an andern Kranken), was Gustavs Herz und Hoffnungen zerschnitt, sondern das schwer gedrehte, aufflackernde, wilde und doch ausgebrannte verglasete Krankenauge, in das alle Leiden der vorigen Nächte und die Nähe der letzten so leserlich geschrieben waren.
Ein verglasetes Krankenauge – als ob dieser Ausdruck des Absterbens des „Fensters der Seele“ nicht reichen würde, verletzt der Erzähler – nein: das Leben den Abschied mit einer aus dem drallen „Leben“ hereingestreuten, brutalen Banalität: die Krankenwärterin machte alles so gut und mit so vielen Umständen und Randnoten, dass sie noch in seine letzten Minuten Galle schüttete. Dann aber lichtet es sich ein wenig – und bedeutend:
weil es ja in der Stunde, wo die ganze Natur in Gesellschaft des Todes mit harten Griffen dem Menschen allen Putz und alle Kleidungstücke abzieht, die sie ihm geliehen, für die ohnmächtigen Freunde, die diese unerbittliche Hand nicht halten können, noch der einzige Trost ist, unter dem Entkleiden, Erfrieren und Einschlafen des Bekannten durch Lächeln, durch unbedingte Gefälligkeit gegen alle seine Launen, durch Erfüllung seines Eigensinns stille zu sein.
Auf solche Herz- und Liebedienste gegen arme Sterbende schauet man nach vielen Jahren mit mehr Zufriedenheit zurück als auf die gegen alle Gesunde auf einmal – und doch sind beide nur um ein paar Stunden verschieden; denn du steigest nicht oft in deinem Bette aus und ein, so bleibst du darin liegen....
Es stimmt ja: Es kommt nicht immer darauf an, alles „richtig“ zu machen. Es kommt nur darauf an, etwas richtig zu machen, wenn es darauf ankommt, etwas so und nicht anders zu machen. Im Sterben zeigt sich der Trost der Hinterbliebenen bekanntlich nicht in der Ehrlichkeit, sondern in der wohltuenden Scham, mit der alles, was noch an der Liebe stören könnte, beiseite geräumt wird. Die Kunst des Sterbens betrifft, so betrachtet, nicht allein den Sterbenden – der es gegenüber dem, der überlebt, immer einfacher hat (was kein Trost für den Sterbenden ist noch sein sollte).
Abschweifung zu zwei bereits behandelten Themen
Heute habe ich die mediceische Venus besucht.
Es war noch zeitig, der kleine achteckige Saal der Tribuna wie ein Heiligtum mit Dämmerlicht gefüllt, und ich stand, die Hände gefaltet, in tiefer Andacht vor dem stummen Götterbilde.
Aber ich stand nicht lange.
Es war noch kein Mensch in der Galerie, nicht einmal ein Engländer, und da lag ich auf meinen Knien und blickte auf den holden, schlanken Leib, die knospende Brust, in das jungfräulich wollüstige Angesicht mit den halbgeschlossenen Augen, auf die duftigen Locken, welche zu beiden Seiten kleine Hörner zu verbergen scheinen.
Auch der „Sklave“ in Leopold von Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz, die zu großen Teilen in Florenz spielt, begegnet der Venus von Medici – offenbar ein Referenzwerk, das noch für die Phantasien des späteren 19. Jahrhunderts maßgeblich ist.
Wer nun aber denkt, dass es sich bei der „berüchtigten“ Novelle um pure Pornographie handelt, irrt – nein: Er irrt gewaltig. Es ist ein grobes Missverständnis, den Begriff des Masochismus umstandslos auf die Geschichte von Wanda und Severin zurückzuführen; ich glaube, dass Krafft-Ebing 1886 schwer irrte, als er das, was er als „Masochismus“ definierte, mit dem Namen des Autors besetzte. Kein Wunder, dass Sacher-Masoch und seine Anhänger gegen diesen Missbrauch protestierten – ein vergebliches Aufbäumen gegen einen Terminus, der der Komplexität der Venus im Pelz nicht gerecht wird.
Einseitige Lust am Schmerzempfinden? Wer den Text gelesen hat, wird schnell bemerken, dass die Beziehung zwischen Wanda und Severin von vielfältigsten, verwirrendsten und widersprüchlichsten Affekten und temporären Interessen bestimmt wird. Was wie das Ausleben einer definierbaren, platten, brutalen Sexualität aussieht – kaum, dass einmal eine nackte Brust aufscheint; dafür küssen sich Wanda und Severin oft und durchaus nicht ungern heftig und liebevoll, bevor sie ihn wieder peitscht –, ist in Wahrheit der Versuch des Autors, das ewige Spiel zwischen Mann und Frau in eine literarische Form zu gießen, der der Vertrag zwischen den beiden „Parteien“ schon deshalb nicht entsprechen kann, weil die sog. Natur – das unbewusst Bewusste, die „Wollust“, der (innere) Schmerz und die Trauer, die Zuneigung und die Eifersucht – immer stärker ist als jede juristisch fixierte Beziehung. Das Institut der bürgerlichen Ehe, das hinter Krafft-Ebings Abwehr gegen die verwirrenden Riten einer (scheinbar) freien Sexualität steckt, ist das Gegenbild zu dieser Freiheit, die notwendigerweise von Schmerzen nicht frei sein kann. Wer die Novelle nur wörtlich und nicht auch als Allegorie auf das komplizierte Verhältnis der Geschlechter liest, liest nur die Hälfte.
Wie aber würden Beata und Gustav auf Wandas und Severins Beziehung schauen? Natürlich ist die Frage unsinnig, aber gesetzt den Fall, man machte sich den Spaß und würde sie ihnen stellen: könnte es nicht sein, dass Gustav sich mit Abscheu abwenden würde – dass er aber zusammen mit Beata intuitiv und völlig unbewusst begreifen könnte, dass in dieser extremen Art von Beziehung, die von Sacher-Masoch nicht unter Niveau erzählt wird, mehr Ehrlichkeit steckt als in einer Ehe, in der ein „ehrbarer Bürger“, ja: ein Professor der Moral, regelmäßig seine Frau durchprügelt? Welch Sadismus und „Masochismus“ legal und erlaubt sein und von den anderen braven Bürgern als völlig korrekt empfunden werden mag?
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[1] Für den Blogger ist's auch eine Erinnerung an die schöne Meister E.S.-Ausstellung im alten Kupferstichkabinett – damals war´s (so hieß, nebenbei, eine unvergessliche Berliner Sendereihe mit kleinen Hörspielgeschichten aus dem alten Berlin) in den Staatlichen Museen, die sich vor allem in Dahlem befanden. Wäre ich Proust, würde ich jetzt, ausgehend vom Geruch der Räume zumal in der Gemäldegalerie (die Alten Meister, Rubens, die Italiener...) – der Firnis, die Teppiche, das Holz, die Caféteria – (m)eine Geschichte der Kindheit aufschreiben.
Logen-Blog [337]: Noch einmal zurück zum Masochismus>
Dieses Blatt aus einem Zyklus der ars moriendi verdanken wir dem überragenden Meister E. S., der bis ins dritte Viertel des 15. Jahrhunderts am Oberrhein tätig war.[1]
Dass das Sterben schön ist, wird Jean Paul später im Anhang der Loge behaupten. Vorderhand hat er einen andere Meinung von den letzten Stunden, oder anders: er beschreibt eine andere Art des Sterbens, die von der ars moriendi nicht erfasst wird: Nicht das schmutzige eingedorrte Krankengesicht, nicht die von Fiebern weggebeizte Lebensfarbe, nicht die Runzeln der Lippe waren es an Amandus (oder sind es an andern Kranken), was Gustavs Herz und Hoffnungen zerschnitt, sondern das schwer gedrehte, aufflackernde, wilde und doch ausgebrannte verglasete Krankenauge, in das alle Leiden der vorigen Nächte und die Nähe der letzten so leserlich geschrieben waren.
Ein verglasetes Krankenauge – als ob dieser Ausdruck des Absterbens des „Fensters der Seele“ nicht reichen würde, verletzt der Erzähler – nein: das Leben den Abschied mit einer aus dem drallen „Leben“ hereingestreuten, brutalen Banalität: die Krankenwärterin machte alles so gut und mit so vielen Umständen und Randnoten, dass sie noch in seine letzten Minuten Galle schüttete. Dann aber lichtet es sich ein wenig – und bedeutend:
weil es ja in der Stunde, wo die ganze Natur in Gesellschaft des Todes mit harten Griffen dem Menschen allen Putz und alle Kleidungstücke abzieht, die sie ihm geliehen, für die ohnmächtigen Freunde, die diese unerbittliche Hand nicht halten können, noch der einzige Trost ist, unter dem Entkleiden, Erfrieren und Einschlafen des Bekannten durch Lächeln, durch unbedingte Gefälligkeit gegen alle seine Launen, durch Erfüllung seines Eigensinns stille zu sein.
Auf solche Herz- und Liebedienste gegen arme Sterbende schauet man nach vielen Jahren mit mehr Zufriedenheit zurück als auf die gegen alle Gesunde auf einmal – und doch sind beide nur um ein paar Stunden verschieden; denn du steigest nicht oft in deinem Bette aus und ein, so bleibst du darin liegen....
Es stimmt ja: Es kommt nicht immer darauf an, alles „richtig“ zu machen. Es kommt nur darauf an, etwas richtig zu machen, wenn es darauf ankommt, etwas so und nicht anders zu machen. Im Sterben zeigt sich der Trost der Hinterbliebenen bekanntlich nicht in der Ehrlichkeit, sondern in der wohltuenden Scham, mit der alles, was noch an der Liebe stören könnte, beiseite geräumt wird. Die Kunst des Sterbens betrifft, so betrachtet, nicht allein den Sterbenden – der es gegenüber dem, der überlebt, immer einfacher hat (was kein Trost für den Sterbenden ist noch sein sollte).
Abschweifung zu zwei bereits behandelten Themen
Heute habe ich die mediceische Venus besucht.
Es war noch zeitig, der kleine achteckige Saal der Tribuna wie ein Heiligtum mit Dämmerlicht gefüllt, und ich stand, die Hände gefaltet, in tiefer Andacht vor dem stummen Götterbilde.
Aber ich stand nicht lange.
Es war noch kein Mensch in der Galerie, nicht einmal ein Engländer, und da lag ich auf meinen Knien und blickte auf den holden, schlanken Leib, die knospende Brust, in das jungfräulich wollüstige Angesicht mit den halbgeschlossenen Augen, auf die duftigen Locken, welche zu beiden Seiten kleine Hörner zu verbergen scheinen.
Auch der „Sklave“ in Leopold von Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz, die zu großen Teilen in Florenz spielt, begegnet der Venus von Medici – offenbar ein Referenzwerk, das noch für die Phantasien des späteren 19. Jahrhunderts maßgeblich ist.
Wer nun aber denkt, dass es sich bei der „berüchtigten“ Novelle um pure Pornographie handelt, irrt – nein: Er irrt gewaltig. Es ist ein grobes Missverständnis, den Begriff des Masochismus umstandslos auf die Geschichte von Wanda und Severin zurückzuführen; ich glaube, dass Krafft-Ebing 1886 schwer irrte, als er das, was er als „Masochismus“ definierte, mit dem Namen des Autors besetzte. Kein Wunder, dass Sacher-Masoch und seine Anhänger gegen diesen Missbrauch protestierten – ein vergebliches Aufbäumen gegen einen Terminus, der der Komplexität der Venus im Pelz nicht gerecht wird.
Einseitige Lust am Schmerzempfinden? Wer den Text gelesen hat, wird schnell bemerken, dass die Beziehung zwischen Wanda und Severin von vielfältigsten, verwirrendsten und widersprüchlichsten Affekten und temporären Interessen bestimmt wird. Was wie das Ausleben einer definierbaren, platten, brutalen Sexualität aussieht – kaum, dass einmal eine nackte Brust aufscheint; dafür küssen sich Wanda und Severin oft und durchaus nicht ungern heftig und liebevoll, bevor sie ihn wieder peitscht –, ist in Wahrheit der Versuch des Autors, das ewige Spiel zwischen Mann und Frau in eine literarische Form zu gießen, der der Vertrag zwischen den beiden „Parteien“ schon deshalb nicht entsprechen kann, weil die sog. Natur – das unbewusst Bewusste, die „Wollust“, der (innere) Schmerz und die Trauer, die Zuneigung und die Eifersucht – immer stärker ist als jede juristisch fixierte Beziehung. Das Institut der bürgerlichen Ehe, das hinter Krafft-Ebings Abwehr gegen die verwirrenden Riten einer (scheinbar) freien Sexualität steckt, ist das Gegenbild zu dieser Freiheit, die notwendigerweise von Schmerzen nicht frei sein kann. Wer die Novelle nur wörtlich und nicht auch als Allegorie auf das komplizierte Verhältnis der Geschlechter liest, liest nur die Hälfte.
Wie aber würden Beata und Gustav auf Wandas und Severins Beziehung schauen? Natürlich ist die Frage unsinnig, aber gesetzt den Fall, man machte sich den Spaß und würde sie ihnen stellen: könnte es nicht sein, dass Gustav sich mit Abscheu abwenden würde – dass er aber zusammen mit Beata intuitiv und völlig unbewusst begreifen könnte, dass in dieser extremen Art von Beziehung, die von Sacher-Masoch nicht unter Niveau erzählt wird, mehr Ehrlichkeit steckt als in einer Ehe, in der ein „ehrbarer Bürger“, ja: ein Professor der Moral, regelmäßig seine Frau durchprügelt? Welch Sadismus und „Masochismus“ legal und erlaubt sein und von den anderen braven Bürgern als völlig korrekt empfunden werden mag?
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[1] Für den Blogger ist's auch eine Erinnerung an die schöne Meister E.S.-Ausstellung im alten Kupferstichkabinett – damals war´s (so hieß, nebenbei, eine unvergessliche Berliner Sendereihe mit kleinen Hörspielgeschichten aus dem alten Berlin) in den Staatlichen Museen, die sich vor allem in Dahlem befanden. Wäre ich Proust, würde ich jetzt, ausgehend vom Geruch der Räume zumal in der Gemäldegalerie (die Alten Meister, Rubens, die Italiener...) – der Firnis, die Teppiche, das Holz, die Caféteria – (m)eine Geschichte der Kindheit aufschreiben.