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23.10.2012, 17:13 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [23]: Über Kipperinnen und Wipperinnen

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Ein edler Jüngling mit lockigem Haar: Der Genius, souverän und ideal porträtiert vom großen Daniel Chodowicki. Scan: Frank Piontek.

Der kleine Gustav von Falkenberg lebt nicht seit Anbeginn seiner Tage in der „Katakombe“, über den toten Mönchen. Er wird zunächst überirdisch erzogen, natürlich von Ammen (und Mägden). Jean Paul nennt sie „heillos“. Es sind, sagt er, „heillose Kipperinnen und Wipperinnen der Kindheit, denen wir ebenso viele lahme Beine als lahme Herzen zu danken haben“. Typisch Mann, mag man(n) ausrufen – denn wieso, bitteschön, sind diese Frauen „heillos“? Dass sie „lahme Beine“ verursachen, mag im Zeitalter des strengen Kinderwickelns und der Fatschenkindereien verständlich sein, aber was hat es mit den lahmen Herzen auf sich? Gibt es keine liebevollen Beziehungen zwischen Kind und Kipperin? Oder formen sie das sogenannte Seelenleben der Kinder derart, dass das, was als mütterliche Liebe lebenslang prägend wirkt – oder wirken sollte – von der Robustheit der Stellvertreterinnen erst gar nicht gepflanzt werden kann? Und gibt es nicht – aber da lesen wir lieber einen französischen Roman – quasi erotische Begegnungen zwischen Kind und Frau, die auf ganz eigene Weise auf junge Männchen zu wirken vermögen? „Ich wollte lieber“, schreibt der Schullehrer Jean Paul in Schwarzenbach, „diese Unhuldinnen erzögen uns im zweiten Jahrzehend als im zweiten Jahr.“

Für die moralische Erziehung hat der Dichter ja den Jüngling aus Barby eingesetzt: ein Mann, der eine moderne Pädagogik zu forcieren scheint. Später hat Jean Paul diesen (An)-Satz in seiner Levana wiederholt: „Für Kinder vollends gibts keine andere Sittenlehre als Beispiel, erzähltes oder sichtbares; und es ist erzieherische Narrheit, dass man durch Gründe Kindern nicht diese Gründe, sondern den Willen und die Kraft zu geben meinet, diesen Gründen zu folgen.“ Der Lehrer also habe dem Knaben die „Zeichnung“ einer Geschichte gegeben – so wie Daniel Chodowiecki seine Zeichnungen dem „Romanenmacher“ beigegeben habe – und wir schlagen die Seiten zurück und sehen die Illustration, die der Illustrator der Loge voranstellte. Wir wissen nun auch, dank seiner Kunst, wie der „Jüngling“ aussah: ein hochgewachsener, schlanker, hochgesichtiger Mann mit lockigem Haar – der so edel aussieht wie er agiert.

Dank Chodowiecki wissen wir auch, wie der andere Begleiter Gustavs im Reich des Untergrundes aussah.

Der Hund, „der netteste schwärzeste – Pudel, der jemals über der Erde mit einer weißen Brust herumgesprungen war“, wurde gleichfalls abkonterfeit, und zwar sehr genau: man sieht sogar die weiße Brust, obwohl wir das liebe Kerlchen nur von Schräghinten erblicken.

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