Logen-Blog [268]: Neuerliches Bamberger Extempore Nr. 1
Und wieder reist er nach Bamberg. Wird denn das Reisen niemals aufhören?
Er schaut aus der großen Kutsche heraus, die durch die Landschaft jagt. Schneller ist er nie nach Bamberg gekommen. Extrapost ist Schneckenpost dagegen, durch die Scheiben sieht er die Bäume vorbeirauschen, in der Ferne erblickt er die Berge bei Banz und Staffelstein.
Wie schnell man jetzt von Bayreuth nach Bamberg fährt...
Die Welt ist eine Kugel.Wenn man irgendwo losläuft, wird man irgendwann am selben Punkt wieder anlangen – und der erste Punkt, den man berührt, ist Bamberg. Er wird sich vielleicht wieder die alte Weltkugel anschauen, dort oben, im Museum, aber zunächst wird er wieder durch die vertrauten Gassen laufen und einige alte Bekannte treffen. Er wird mit ihnen an der Regnitz entlang laufen, diesem prachtvollen Fluss, diesem Fluss einer Bischofsstadt, ja, gut, auch hier haben sie die Klöster und Kirchen säkularisiert, die Stadt ist eine Bürgerstadt geworden, aber was ist dagegen der Rote Main? Ein Flüsschen. Hier aber gibt es von Zeit zu Zeit noch ordentliche Überschwemmungen, die die mächtigen steinernen Brücken zerstören, die Brückenheiligen ins Wassere befördern und die Bürger und Brückengänger töten, wenn die Eisbrocken gegen die Pfeiler schlagen.
Er erinnert sich: er hätte sich damals mit der Frau von Kalb in Bug treffen müssen, er hat es versäumt, die Damen werde frustriert gewesen sein, unglücklich, dass der große Dichter nicht gekommen war, mit ihnen, den kleinen Damen, eine Landpartie zu machen, und Hoffmann, dieser romantische Mephisto, hat sofort eine böse Zeichnung produziert, die er, Jean Paul, das war ja nun wirklich peinlich, noch in Bamberg vernichtet hat. Aber wieso sollte man nicht jetzt zur Buger Spitze laufen? Kunz hat ihm die Gegend als zauberhaft beschrieben. Über den Mühlwörth hinüber, nach Süden – nach Süden. Die Alpen hat er immerhin schon aus der Ferne gesehen, sie schimmerten in der bayerischen Sonne, auch das ist schon ein halbes Leben her.
Man wird sehen. Morgen ist auch noch ein Tag. Man wird erst einmal ausschlafen, dann wird man sehen.
Die Nacht ist schön, sie ist vor allem schön, weil sie still ist. Er hört nur seine eigenen Schritte, die Häuser schimmern im künstlichen Licht der Nacht. Was braucht der Mensch?
Hinter den Fenstern wachen die Gespenster, aber man sieht sie nicht. Vielleicht beobachten einen die Seelen der Nacht, die unerlöst nach fremden Seelen Ausschau halten, die Unglücklichen, die im stummen Schimmer ihre Träume pflegen und uns bisweilen schicken. Man weiß so wenig, die Nacht ist so hell.
Er steht früh auf, die Zeit hat ihm einen Streich gespielt, indem sie seine Uhr um eine ganze Stunde verstellt hat. Als er das Hotel verlässt, ist kein Mensch auf der Straße. Totenstille, das noch leicht regennasse Kopfsteinpflaster schimmert im Morgendämmer. Der Nebel ist schon gestiegen, ein herrlicher Tag kündigt sich an, aber herrlicher als er selbst ist die Ahnung, nun, am frühen Morgen, an dem die Sonne schon erwacht, aber noch nicht emporgestiegen ist. Hat Hoffmann ihm nicht erzählt, dass er eine Romantische Oper namens Aurora komponiert hat? Es läuft sich so leicht. Wann hat er das das letzte Mal gespürt?
Es ist kein Laut zu vernehmen. Kein Kind schreit, keine Frau ruft, keine Kutsche lärmt. Man müsste das alles festhalten können, für eine Ewigkeit, aber es ist vergeblich. Es entflieht so schnell, wie es unversehens gekommen ist, um Dir zu sagen, was das Leben ist, wenn es ist.
Seltsam: nicht einmal hier wuseln sie herum, wo man sonst von der Menge vorwärts getrieben wurde oder sich einen Weg durch sie schlagen musste. Ah, er erinnert sich: einmal ging er mit Kunz und Hoffmann über diese Brücke, einmal, sehr spät abends, nachdem Kunz auf die Idee gekommen war, einmal die neuen Weine in der Weinstube Pizzini auszuprobieren – oder waren sie in der Schwarzen Katz versackt? Er weiß es nicht mehr, der Kater, den er am Morgen darauf hatte, war selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich schwarz. Vielleicht waren sie auch zunächst beim Pizzini und dann in der Katz, so genau weiß er das nicht mehr, es ist schon ewig her, an den Kater aber, den ihm Hoffmann damals mit Stolz zeigte, muss er immer noch denken.
Die Catalani war längst nicht so schön gewesen, aber vielleicht auch eine Katze, wer weiß, vielleicht so wie seine Frau, die manchmal die Krallen zeigt, bevor sie wieder zu schnurren beginnt, was ihn daran erinnert, dass er diesmal keinen Brief geschrieben hat, sonst schreibt er doch immer einen Brief nach Bayreuth, einen liebevollen natürlichen, einen satirischen, das erwarten sie von Dir.
Das viele Reden und Hören verhindert das Sehen. Das fruchtbare Sehen: was der Blick alles erkennt, der so über eine Brücke hinüberstreift! Das hat nicht er gesagt, das hat der andere Mann aus Bayreuth gemeint, den er schon vorausgeahnt hat, aber es könnte von ihm stammen, es könnte auch in seinem Empfinden gewachsen sein. Er spürt es an diesem Morgen, in dem er sieht und sieht und über das nässliche Pflaster läuft, den Kanal im Blick, das Wasser – doch, man hört zuweilen Töne – im offenen Ohr. Nein, er war nie in Venedig, aber, denkt er, er kann es sich vorstellen.
Wie schön das Rathaus hier steht. Und wie herrlich der Fluss am Wehr rauscht! Ewig gleichbleibende Musik der Natur – aber was heißt hier „Natur“? Es ist der Geist der Mechanik, der den lebendigen Strom in seinem Lauf gehemmt hat, um ihn desto majestätischer in die kanalisierte Freiheit zu entlassen. Undinen leben hier unten sicher nicht mehr. Und doch – welch Wohlklang des Lauts, welch sonores Stimmen des Stimmenden.
Er hält inne, er bleibt stehen. Er muss einfach stehen bleiben; das Wasser fordert seinen Wegezoll in Form eines längeren Verweilens. Was ist die Zeit? Der Dämmer lichtet sich, es wird langsam heller. So mag Gustav die Welt zum ersten Mal gesehen haben, nachdem er seine Auferstehung erlebt hatte. Die Nacht hat 12 Stunden, dann kommt schon der Tag.
Fotos: Frank Piontek, 26./27.10. 2013
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Und wieder reist er nach Bamberg. Wird denn das Reisen niemals aufhören?
Er schaut aus der großen Kutsche heraus, die durch die Landschaft jagt. Schneller ist er nie nach Bamberg gekommen. Extrapost ist Schneckenpost dagegen, durch die Scheiben sieht er die Bäume vorbeirauschen, in der Ferne erblickt er die Berge bei Banz und Staffelstein.
Wie schnell man jetzt von Bayreuth nach Bamberg fährt...
Die Welt ist eine Kugel.Wenn man irgendwo losläuft, wird man irgendwann am selben Punkt wieder anlangen – und der erste Punkt, den man berührt, ist Bamberg. Er wird sich vielleicht wieder die alte Weltkugel anschauen, dort oben, im Museum, aber zunächst wird er wieder durch die vertrauten Gassen laufen und einige alte Bekannte treffen. Er wird mit ihnen an der Regnitz entlang laufen, diesem prachtvollen Fluss, diesem Fluss einer Bischofsstadt, ja, gut, auch hier haben sie die Klöster und Kirchen säkularisiert, die Stadt ist eine Bürgerstadt geworden, aber was ist dagegen der Rote Main? Ein Flüsschen. Hier aber gibt es von Zeit zu Zeit noch ordentliche Überschwemmungen, die die mächtigen steinernen Brücken zerstören, die Brückenheiligen ins Wassere befördern und die Bürger und Brückengänger töten, wenn die Eisbrocken gegen die Pfeiler schlagen.
Er erinnert sich: er hätte sich damals mit der Frau von Kalb in Bug treffen müssen, er hat es versäumt, die Damen werde frustriert gewesen sein, unglücklich, dass der große Dichter nicht gekommen war, mit ihnen, den kleinen Damen, eine Landpartie zu machen, und Hoffmann, dieser romantische Mephisto, hat sofort eine böse Zeichnung produziert, die er, Jean Paul, das war ja nun wirklich peinlich, noch in Bamberg vernichtet hat. Aber wieso sollte man nicht jetzt zur Buger Spitze laufen? Kunz hat ihm die Gegend als zauberhaft beschrieben. Über den Mühlwörth hinüber, nach Süden – nach Süden. Die Alpen hat er immerhin schon aus der Ferne gesehen, sie schimmerten in der bayerischen Sonne, auch das ist schon ein halbes Leben her.
Man wird sehen. Morgen ist auch noch ein Tag. Man wird erst einmal ausschlafen, dann wird man sehen.
Die Nacht ist schön, sie ist vor allem schön, weil sie still ist. Er hört nur seine eigenen Schritte, die Häuser schimmern im künstlichen Licht der Nacht. Was braucht der Mensch?
Hinter den Fenstern wachen die Gespenster, aber man sieht sie nicht. Vielleicht beobachten einen die Seelen der Nacht, die unerlöst nach fremden Seelen Ausschau halten, die Unglücklichen, die im stummen Schimmer ihre Träume pflegen und uns bisweilen schicken. Man weiß so wenig, die Nacht ist so hell.
Er steht früh auf, die Zeit hat ihm einen Streich gespielt, indem sie seine Uhr um eine ganze Stunde verstellt hat. Als er das Hotel verlässt, ist kein Mensch auf der Straße. Totenstille, das noch leicht regennasse Kopfsteinpflaster schimmert im Morgendämmer. Der Nebel ist schon gestiegen, ein herrlicher Tag kündigt sich an, aber herrlicher als er selbst ist die Ahnung, nun, am frühen Morgen, an dem die Sonne schon erwacht, aber noch nicht emporgestiegen ist. Hat Hoffmann ihm nicht erzählt, dass er eine Romantische Oper namens Aurora komponiert hat? Es läuft sich so leicht. Wann hat er das das letzte Mal gespürt?
Es ist kein Laut zu vernehmen. Kein Kind schreit, keine Frau ruft, keine Kutsche lärmt. Man müsste das alles festhalten können, für eine Ewigkeit, aber es ist vergeblich. Es entflieht so schnell, wie es unversehens gekommen ist, um Dir zu sagen, was das Leben ist, wenn es ist.
Seltsam: nicht einmal hier wuseln sie herum, wo man sonst von der Menge vorwärts getrieben wurde oder sich einen Weg durch sie schlagen musste. Ah, er erinnert sich: einmal ging er mit Kunz und Hoffmann über diese Brücke, einmal, sehr spät abends, nachdem Kunz auf die Idee gekommen war, einmal die neuen Weine in der Weinstube Pizzini auszuprobieren – oder waren sie in der Schwarzen Katz versackt? Er weiß es nicht mehr, der Kater, den er am Morgen darauf hatte, war selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich schwarz. Vielleicht waren sie auch zunächst beim Pizzini und dann in der Katz, so genau weiß er das nicht mehr, es ist schon ewig her, an den Kater aber, den ihm Hoffmann damals mit Stolz zeigte, muss er immer noch denken.
Die Catalani war längst nicht so schön gewesen, aber vielleicht auch eine Katze, wer weiß, vielleicht so wie seine Frau, die manchmal die Krallen zeigt, bevor sie wieder zu schnurren beginnt, was ihn daran erinnert, dass er diesmal keinen Brief geschrieben hat, sonst schreibt er doch immer einen Brief nach Bayreuth, einen liebevollen natürlichen, einen satirischen, das erwarten sie von Dir.
Das viele Reden und Hören verhindert das Sehen. Das fruchtbare Sehen: was der Blick alles erkennt, der so über eine Brücke hinüberstreift! Das hat nicht er gesagt, das hat der andere Mann aus Bayreuth gemeint, den er schon vorausgeahnt hat, aber es könnte von ihm stammen, es könnte auch in seinem Empfinden gewachsen sein. Er spürt es an diesem Morgen, in dem er sieht und sieht und über das nässliche Pflaster läuft, den Kanal im Blick, das Wasser – doch, man hört zuweilen Töne – im offenen Ohr. Nein, er war nie in Venedig, aber, denkt er, er kann es sich vorstellen.
Wie schön das Rathaus hier steht. Und wie herrlich der Fluss am Wehr rauscht! Ewig gleichbleibende Musik der Natur – aber was heißt hier „Natur“? Es ist der Geist der Mechanik, der den lebendigen Strom in seinem Lauf gehemmt hat, um ihn desto majestätischer in die kanalisierte Freiheit zu entlassen. Undinen leben hier unten sicher nicht mehr. Und doch – welch Wohlklang des Lauts, welch sonores Stimmen des Stimmenden.
Er hält inne, er bleibt stehen. Er muss einfach stehen bleiben; das Wasser fordert seinen Wegezoll in Form eines längeren Verweilens. Was ist die Zeit? Der Dämmer lichtet sich, es wird langsam heller. So mag Gustav die Welt zum ersten Mal gesehen haben, nachdem er seine Auferstehung erlebt hatte. Die Nacht hat 12 Stunden, dann kommt schon der Tag.
Fotos: Frank Piontek, 26./27.10. 2013