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21.10.2013, 11:42 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [258]: Zurück zu einem Extragedanken

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Der kleine Finger einer großen Frau, entworfen von Ludwig Schwanthaler, gegossen in der Königlichen Erzgießerei München[1], unter der Leitung Ferdinand von Millers – rund 20 Jahre, nachdem Friedrich von Amerling, einer der großen österreichischen Maler des Wiener „Biedermeier“, den knochigen Daumen des ebenso beschaffenen Regenten Franz II. im Kaisersitzbild verewigte. Der Reaktionär auf dem Kaiserthron wurde 1792 gekrönt – just in dem Jahr, in dem Jean Paul noch an der Loge schrieb. Als der Dichter 1825 starb, war auch der österreichische Regentendaumen noch in Gebrauch. Wir blättern noch einmal kurz zurück:

 

Extragedanken über Regentendaumen

Nicht die Krone, sondern das Dintenfaß drückt Fürsten, Großmeister und Kommenturen; nicht den Zepter, sondern die Feder führen sie mit so vieler Beschwerde, weil sie mit jenem bloß befehlen, aber mit dieser das Befohlne unterschreiben müssen. Ein Kabinettrat würde sich nicht wundern, wenn ein gequälter gekrönter Skribent sich, wie römische Rekruten, den Daumen amputierte, um nur vom ewigen Namen-Malen, wie diese vom Kriege, loszukommen. Aber die regierenden und schreibenden Häupter behalten den Daumen; sie sehen ein, daß das Landeswohl ihr Eintunken begehrt, – das wenige Unleserliche aus Kabinettbefehlen, was man ihren Namen nennt, macht wie eine Zauberformel Geldkästen, Herzen, Tore, Kaufläden, Häfen auf und zu; der schwarze Tropfe ihrer Feder dünget und treibet oder zerbeizet ganze Fluren. Der Professor Hoppedizel hatte, da er erster Lehrer der Moral beim scheerauischen Infanten war, einen guten Gedanken, wiewohl erst im letzten Monat: könnte der Oberhofmeister nicht dem Unterhofmeister befehlen, daß er den Kron-Abcschützen, der doch einmal schreiben lernen müßte, statt unnützer Lehnbriefe lieber mitten auf jedem leeren Bogen seinen Namen schmieren ließe? – Das Kind schriebe ohne Ekel seine Unterschrift auf so viele Bogen, als es in seiner ganzen Regierung nur bedürfe – die Bogen legte man bis zur Krönung des Kindes zurück – und dann, fuhr er fort, wenn es genau überschlagen wäre, wie oft ein Kollegium seinen Namenzug jährlich haben müßte, wenn folglich am Neujahrtage die nötige Zahl signierter Ries Papier zum Gebrauche aufs ganze Jahr den Kollegien zugeteilt würde: was hätte nachher das Kind unter seiner Regierung für Not?

Ende der Extragedanken

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[1] Sie lag in der heutigen Erzgießereistraße. Bitte aussteigen: am U-Bahnhof Stiglmaierplatz.

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