Logen-Blog [9]: Über gewissen Schönheiten und gewisse Wahrheiten
Eine Kategorie Mensch bleibt noch zu betrachten: der „Kunstrichter“, der nicht verwechselt werden darf mit dem Rezensenten. Merksatz des Tages: „Gewisse Schönheiten, wie gewisse Wahrheiten – wir Sterbliche halten beide noch für zweierlei – zu erblicken, muß man das Herz ebenso ausgeweitet und ausgereinigt haben wie den Kopf.“ Der Autor meint, dass er mit einem „öffentlichen Richter“ gut leben könne, wenn er sein, des Autors, Herz verehre, „und wär' er auch wider mich parteiisch, denn ein parteilicher dieser Art fället ein lehrreicheres Urteil als ein unparteischer aus der Wochentags-Kaste.“ Ja, das sagt man so, das schreibt man so trocken dahin, aber mit Christian Otto hatte Jean Paul so einen privaten Kunstrichter an der Hand, der ihm alles sagen durfte, weil er sein Herz verehrte – und der Kritisierte wiederum dessen Herz besaß.
Ein bisschen Romantheorie wird noch abgehandelt, die aristotelischen Einheiten gewürdigt – die auch für Romanschreiber zu gelten haben, daher Jean Paul den prachtvollen Candide abscheulich findet. Was ist nun für Jean Paul jene Einheit? „Der Mensch“, schreibt er, „interessiert sich bloß für Nachbarschaft und Gegenwart; der wichtigste Vorfall, der in Zeit oder Raum sich von ihm entfernt, ist ihm gleichgültiger als der kleinste neben ihm; so ist er, wenn er die Vorfälle erlebt, und mithin auch so, wenn er sie lieset.“
Ob sich Jean Paul da nicht irrt? Ich schreibe das ungern hin, großen Autoren Irrtümer vorzuwerfen ist kleinkariert, aber schon wenn ich an meine Lektüren historischer oder pseudohistorischer Romane denke, erledigen sich die Überlegungen über den Alleinanspruch der sog. Gegenwart. Vielleicht wollte Jean Paul auch nur darauf hinweisen, dass er ein moderner Autor sei, der gleichwohl die aristotelischen Erzählprinzipien beherzigt. Wenn ich es richtig lese, meint er nur, dass die Erzählung sich ordentlich räumlich und örtlich zusammenhalten soll. Bedenkt man aber, wie er seine Romane konstruiert hat – mit Abschweifungen, Fußnoten, Brüchen, Einschüben, Extrablättern und Beilagen -, zweifelt man daran, dass es ihm mit dem Aristoteles allzu ernst gewesen ist.
Schon die Fahrt auf den Fichtelberg gehorcht ja nicht gerade „ordentlichen“ Prinzipien. Ein Mann schreibt eine Vorrede, während er in einer Kutsche sitzt, dann beschreibt er - „gegenwärtig“! -, wie man ihn über den Fichtelsee und über zwei Stangen trägt, „die statt einer Brücke über diese bemooste Wüste bringen.“ Da haben wir die konkrete Anbindung an die Landschaft. Der Kommentar meiner Leseausgabe verweist zwar auf Klinger (aber Kinder, das erfährt doch jeder Student der Literaturwissenschaft im zweiten Semester!!), doch nicht auf den bemerkenswerten Umstand, warum man über zwei Stangen über einen See, „diese bemooste Wüste“, kommt. Wir wissen nun, dass es sich bei diesem See um einen „sumpfigen Platz“ handelte, „auf welchem aber auch selbst weicher Rasen, Binsen und andere Wassergewächse sich ansetzen, mit Fichtenanfluge, schwankendem Rasen und Buschen überdeckt. Für Fußgänger sind Stangen hinüber gelegt. Weil einige Stellen noch unergründlichen Sumpf haben“, schreibt einer von Jean Pauls ehemaligen Hofer Lehrern, J. Th. B. Helfrecht, relativ kurz nachdem Jean Paul seinen Roman veröffentlicht hat. Der Dichter kannte dessen Werke, um 1800 schrieb Helfrecht die Beschreibung des Fichtelgebirges, in dem wir die Zeilen über den Fichtelsee finden können.
Man findet sie nun auch im Buch Jean Paul in Oberfranken, das auch die Texte und Bilder der Landschaftstafeln des Jean-Paul-Wegs enthält. Wir verdanken diese Funde nicht dem Romankommentar, in den sie hineingehörten (dies nur als kleine Beckmesserei), sondern dem äußerst rührigen Christian Kreipe, dem Geschäftsführer des Naturparks Fichtelgebirge, dem Kenner der historischen Jean-Paul-Landschaften, der die schönen Tafeln entwarf und gewiss auch Stellen wie die folgende mit Vergnügen lieset: „Zwei Fehltritte der Gondelierer, die mich aufgeladen, versenken, wenn sie geschehen, einen Mann in den Fichtelsumpf, der darin an seinem Vorredner arbeitet und der mit acht Nummern Menschen gesprochen und dessen Werk zum Glück schon in Berlin ist.“
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Eine Kategorie Mensch bleibt noch zu betrachten: der „Kunstrichter“, der nicht verwechselt werden darf mit dem Rezensenten. Merksatz des Tages: „Gewisse Schönheiten, wie gewisse Wahrheiten – wir Sterbliche halten beide noch für zweierlei – zu erblicken, muß man das Herz ebenso ausgeweitet und ausgereinigt haben wie den Kopf.“ Der Autor meint, dass er mit einem „öffentlichen Richter“ gut leben könne, wenn er sein, des Autors, Herz verehre, „und wär' er auch wider mich parteiisch, denn ein parteilicher dieser Art fället ein lehrreicheres Urteil als ein unparteischer aus der Wochentags-Kaste.“ Ja, das sagt man so, das schreibt man so trocken dahin, aber mit Christian Otto hatte Jean Paul so einen privaten Kunstrichter an der Hand, der ihm alles sagen durfte, weil er sein Herz verehrte – und der Kritisierte wiederum dessen Herz besaß.
Ein bisschen Romantheorie wird noch abgehandelt, die aristotelischen Einheiten gewürdigt – die auch für Romanschreiber zu gelten haben, daher Jean Paul den prachtvollen Candide abscheulich findet. Was ist nun für Jean Paul jene Einheit? „Der Mensch“, schreibt er, „interessiert sich bloß für Nachbarschaft und Gegenwart; der wichtigste Vorfall, der in Zeit oder Raum sich von ihm entfernt, ist ihm gleichgültiger als der kleinste neben ihm; so ist er, wenn er die Vorfälle erlebt, und mithin auch so, wenn er sie lieset.“
Ob sich Jean Paul da nicht irrt? Ich schreibe das ungern hin, großen Autoren Irrtümer vorzuwerfen ist kleinkariert, aber schon wenn ich an meine Lektüren historischer oder pseudohistorischer Romane denke, erledigen sich die Überlegungen über den Alleinanspruch der sog. Gegenwart. Vielleicht wollte Jean Paul auch nur darauf hinweisen, dass er ein moderner Autor sei, der gleichwohl die aristotelischen Erzählprinzipien beherzigt. Wenn ich es richtig lese, meint er nur, dass die Erzählung sich ordentlich räumlich und örtlich zusammenhalten soll. Bedenkt man aber, wie er seine Romane konstruiert hat – mit Abschweifungen, Fußnoten, Brüchen, Einschüben, Extrablättern und Beilagen -, zweifelt man daran, dass es ihm mit dem Aristoteles allzu ernst gewesen ist.
Schon die Fahrt auf den Fichtelberg gehorcht ja nicht gerade „ordentlichen“ Prinzipien. Ein Mann schreibt eine Vorrede, während er in einer Kutsche sitzt, dann beschreibt er - „gegenwärtig“! -, wie man ihn über den Fichtelsee und über zwei Stangen trägt, „die statt einer Brücke über diese bemooste Wüste bringen.“ Da haben wir die konkrete Anbindung an die Landschaft. Der Kommentar meiner Leseausgabe verweist zwar auf Klinger (aber Kinder, das erfährt doch jeder Student der Literaturwissenschaft im zweiten Semester!!), doch nicht auf den bemerkenswerten Umstand, warum man über zwei Stangen über einen See, „diese bemooste Wüste“, kommt. Wir wissen nun, dass es sich bei diesem See um einen „sumpfigen Platz“ handelte, „auf welchem aber auch selbst weicher Rasen, Binsen und andere Wassergewächse sich ansetzen, mit Fichtenanfluge, schwankendem Rasen und Buschen überdeckt. Für Fußgänger sind Stangen hinüber gelegt. Weil einige Stellen noch unergründlichen Sumpf haben“, schreibt einer von Jean Pauls ehemaligen Hofer Lehrern, J. Th. B. Helfrecht, relativ kurz nachdem Jean Paul seinen Roman veröffentlicht hat. Der Dichter kannte dessen Werke, um 1800 schrieb Helfrecht die Beschreibung des Fichtelgebirges, in dem wir die Zeilen über den Fichtelsee finden können.
Man findet sie nun auch im Buch Jean Paul in Oberfranken, das auch die Texte und Bilder der Landschaftstafeln des Jean-Paul-Wegs enthält. Wir verdanken diese Funde nicht dem Romankommentar, in den sie hineingehörten (dies nur als kleine Beckmesserei), sondern dem äußerst rührigen Christian Kreipe, dem Geschäftsführer des Naturparks Fichtelgebirge, dem Kenner der historischen Jean-Paul-Landschaften, der die schönen Tafeln entwarf und gewiss auch Stellen wie die folgende mit Vergnügen lieset: „Zwei Fehltritte der Gondelierer, die mich aufgeladen, versenken, wenn sie geschehen, einen Mann in den Fichtelsumpf, der darin an seinem Vorredner arbeitet und der mit acht Nummern Menschen gesprochen und dessen Werk zum Glück schon in Berlin ist.“