Logen-Blog [182]: Joditziana II - Das Vollglück in der Beschränkung
Was Jean Pauls geistiger Geburtsort mit der Unsichtbaren Loge zu tun hat? Fangen wir mal an: der Dichter hat später, in selbstreflektierender Selbstverklärung, den Ort, in dem er vom 2. bis zum 13. Lebensjahr aufwuchs, lebte, lernte, spielte, erfand, frierte, lief, schlief und träumte, als seinen „geistigen Geburtsort“ bezeichnet. Mag sein, dass die geistige Bildung, die ihn befähigte, später Romane, Erzählungen, Traktate und Briefe dieser Güte zu schreiben, erst in der Schwarzenbacher Zeit erworben wurde – prägend bleiben allemal die ersten bewussten Jahre. Zu seinen Lehrern gehörte, zumindest einige Zeit (bevor ihn der Vater zuhause unterrichtete), der Lehrer Knieling, der unterwegs seinen Vornamen verlor – aber eine Gedenktafel, die im Jean-Paul-Jahr enthüllt wurde (unter Beisein des Dichters, d.h. mit Peter Kampschulte als Jean Paul-Imitator), erinnert an diesen Mann, dem, so liest man inzwischen allenthalben, der Dichter mit der Erzählung vom Schulmeisterlein Wutz „ein Denkmal setzte“. Eben deshalb konnte man dem „deutschen Dichter“ (nicht dem fränkischen oder südvogtländischen oder gar bayerischen) vor dem ehemaligen Schulhaus einen würdigen Gedenkstein setzen: samt Pfenninger-Kopf. Der Wutz aber bildet den Anhang zur Loge; der Papa ist ja schon einmal aufgetreten. Man hat vermutet, dass diese kurze Erwähnung des alten Wutz nur deshalb von Jean Paul in den Roman hinein gebracht wurde, um ihn mit dem Anhang zu verketten, der ansonsten mit dem Roman nichts zu tun hat. Wir werden sehen, ob diese Verbindung wirklich so oberflächlich ist – oder ob sich nicht im Nachklang (vor dem Ausläuten) ein tieferer Sinn bilden wird.
Wir flogen mit unserem Hunger in die Schule, um keine Minute zu versäumen, sondern ihn erst nachher zu stillen. Leider schloß ich mir selber durch eine unzeitige Klage bei meinem Vater, daß ein langer Bauersohn (Zäh ist sein Name für die Nachwelt) mich mit einem Einlegmesser ein wenig auf die Fingerknöchel geschlagen, auf immer die Schulstube zu.
Knieling = Wutz – diese Gleichung klingt gut, aber in Wahrheit wissen wir nicht, ob Jean Paul 1790 noch an einen Lehrer dachte, dessen Künste er über 20 Jahre zuvor genossen hatte. Ist das wichtig? Jein – denn die gelebten Erinnerungen sind zugleich „gelebte Literatur“ (dies ein schönes Wort Hans Mayers) geworden. Wichtiger ist wohl die Beobachtung, dass die Figur des Schulmannes in vielfältigen Formen in Jean Pauls Werk auftritt: auch als „Genius“ und als „Jean Paul“, worauf man in Joditz nicht hinweist. Dabei befinden wir uns in der Loge auch in jenem „Auental“, in dem der Wutz lebt.
Das irdisch-himmlische Auenland – die Wunsch-Heimat von Jean Paul, Wutz und Gustav
Am 9. Julius stand er vor dem Auenthaler Altar und wurde kopuliert mit der Justel. – Im Dorfe liebt man das ganze Dorf; Joditzer haben sich alle ineinander hineingewohnt und hineingewöhnt; – und dieses herrliche Teilnehmen an jedem, der ein Mensch, welches daher sogar auf den Fremden und den Bettler überzieht, brütet eine verdichtete Menschenliebe aus und die rechte Schlagkraft des Herzens.
Das Dorf als Gegenbild zur Stadt und zum Hof – Jean Paul hat dieses Modell in der Selberlebensbeschreibung derart insistierend beschrieben, dass man darüber fast vergisst, dass er selbst zuweilen von Stadt und Hof angezogen wurde. Allein es hat wohl – zieht man die Idealisierung ab, die nichts von geistiger Enge und überscharfer Sozialkontrolle wissen will – sein Wahres, weil es noch in der Unsichtbaren Loge fruchtbar gemacht wurde. Nicht erst in den späten, idyllisierenden Kindheitserinnerungen hat er auf das Schöne der Begrenztheit hingewiesen. Beata und Gustav, die sensiblen Geschöpfe, leiden an Stadt und Hof; sie sehnen sich nach einem Ort, der allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.
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Was Jean Pauls geistiger Geburtsort mit der Unsichtbaren Loge zu tun hat? Fangen wir mal an: der Dichter hat später, in selbstreflektierender Selbstverklärung, den Ort, in dem er vom 2. bis zum 13. Lebensjahr aufwuchs, lebte, lernte, spielte, erfand, frierte, lief, schlief und träumte, als seinen „geistigen Geburtsort“ bezeichnet. Mag sein, dass die geistige Bildung, die ihn befähigte, später Romane, Erzählungen, Traktate und Briefe dieser Güte zu schreiben, erst in der Schwarzenbacher Zeit erworben wurde – prägend bleiben allemal die ersten bewussten Jahre. Zu seinen Lehrern gehörte, zumindest einige Zeit (bevor ihn der Vater zuhause unterrichtete), der Lehrer Knieling, der unterwegs seinen Vornamen verlor – aber eine Gedenktafel, die im Jean-Paul-Jahr enthüllt wurde (unter Beisein des Dichters, d.h. mit Peter Kampschulte als Jean Paul-Imitator), erinnert an diesen Mann, dem, so liest man inzwischen allenthalben, der Dichter mit der Erzählung vom Schulmeisterlein Wutz „ein Denkmal setzte“. Eben deshalb konnte man dem „deutschen Dichter“ (nicht dem fränkischen oder südvogtländischen oder gar bayerischen) vor dem ehemaligen Schulhaus einen würdigen Gedenkstein setzen: samt Pfenninger-Kopf. Der Wutz aber bildet den Anhang zur Loge; der Papa ist ja schon einmal aufgetreten. Man hat vermutet, dass diese kurze Erwähnung des alten Wutz nur deshalb von Jean Paul in den Roman hinein gebracht wurde, um ihn mit dem Anhang zu verketten, der ansonsten mit dem Roman nichts zu tun hat. Wir werden sehen, ob diese Verbindung wirklich so oberflächlich ist – oder ob sich nicht im Nachklang (vor dem Ausläuten) ein tieferer Sinn bilden wird.
Wir flogen mit unserem Hunger in die Schule, um keine Minute zu versäumen, sondern ihn erst nachher zu stillen. Leider schloß ich mir selber durch eine unzeitige Klage bei meinem Vater, daß ein langer Bauersohn (Zäh ist sein Name für die Nachwelt) mich mit einem Einlegmesser ein wenig auf die Fingerknöchel geschlagen, auf immer die Schulstube zu.
Knieling = Wutz – diese Gleichung klingt gut, aber in Wahrheit wissen wir nicht, ob Jean Paul 1790 noch an einen Lehrer dachte, dessen Künste er über 20 Jahre zuvor genossen hatte. Ist das wichtig? Jein – denn die gelebten Erinnerungen sind zugleich „gelebte Literatur“ (dies ein schönes Wort Hans Mayers) geworden. Wichtiger ist wohl die Beobachtung, dass die Figur des Schulmannes in vielfältigen Formen in Jean Pauls Werk auftritt: auch als „Genius“ und als „Jean Paul“, worauf man in Joditz nicht hinweist. Dabei befinden wir uns in der Loge auch in jenem „Auental“, in dem der Wutz lebt.
Das irdisch-himmlische Auenland – die Wunsch-Heimat von Jean Paul, Wutz und Gustav
Am 9. Julius stand er vor dem Auenthaler Altar und wurde kopuliert mit der Justel. – Im Dorfe liebt man das ganze Dorf; Joditzer haben sich alle ineinander hineingewohnt und hineingewöhnt; – und dieses herrliche Teilnehmen an jedem, der ein Mensch, welches daher sogar auf den Fremden und den Bettler überzieht, brütet eine verdichtete Menschenliebe aus und die rechte Schlagkraft des Herzens.
Das Dorf als Gegenbild zur Stadt und zum Hof – Jean Paul hat dieses Modell in der Selberlebensbeschreibung derart insistierend beschrieben, dass man darüber fast vergisst, dass er selbst zuweilen von Stadt und Hof angezogen wurde. Allein es hat wohl – zieht man die Idealisierung ab, die nichts von geistiger Enge und überscharfer Sozialkontrolle wissen will – sein Wahres, weil es noch in der Unsichtbaren Loge fruchtbar gemacht wurde. Nicht erst in den späten, idyllisierenden Kindheitserinnerungen hat er auf das Schöne der Begrenztheit hingewiesen. Beata und Gustav, die sensiblen Geschöpfe, leiden an Stadt und Hof; sie sehnen sich nach einem Ort, der allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.