Logen-Blog [172]: Der Autor muss kein Oberbaurat sein
Wir bleiben noch ein bisschen in der Nähe des Mausoleums, einem Ort, der Jean Paul garantiert gefallen hätte: eine tote, schöne Marmorkönigin, Kandelaber mit weiblichen Genien, Todesengel, die Verheißung eines christlichen Jenseits, der Hochadel, Stille. Wir bleiben also in Charlottenburg, damit auch in jener Zeit, in der Jean Paul die Unsichtbare Loge schrieb – und sie überarbeitete.
Zuerst das Teehaus, das Belvedere, das Friedrich Wilhelm II. im Schlosspark Charlottenburg erbauen ließ: im Jahre 1788. Dann der Schinkelpavillon, der in Jean Pauls allerletzten Jahren entstand: ein Werk der Zeit kurz vor 1825. Hier ein früher klassizistischer Bau, dem der Barock noch in den Knochen hängt, dort der strenge, an italienischen Vorbildern orientierte Neue Pavillon, der für den Witwer der Luise und seine zweite Gemahlin Auguste von Liegnitz errichtet wurde. Hier ein verspielter, nach oben weisender Vergnügungsbau – ein Teehaus –, dort der kubische Baukörper, dem dank der Loggien und der Klappfenster etwas Luftiges eignet. Hier der barock ausschweifende Roman eines wilden jungen Mannes, der sich gerade literarisch-satirisch zügelt (ohne die Satire abzustreifen), dort die Einsicht, dass alte Bauwerke, wenn sie nicht vollendet wurden, nur abgerissen werden – oder mit einigen Ausbesserungen, doch im Ruinenzustand zum Druck befördert werden können. Die modernen, vollendeten, knapp angelegten, übersichtlichen Romane sollen, bitteschön, andere schreiben, der Autor von 1791 muss kein Oberbaurat sein.
Schinkel hatte übrigens, um aufs Mausoleum zurückzukommen, größeren Anteil am Gedächtnisbau als ich zunächst gemeint habe. Im Katalog der grandiosen Schinkel-Ausstellung, die 1981, zu Schinkels 200. Geburtstag, im Alten Museum stattfand[1], entdecke ich einen Plan, den Schinkel 1810 gezeichnet hat. Der Unterschied zur ausgeführten Fassung: es sind zwei, nicht vier Säulen, die den Treppenraum vom hinteren Gruftraum trennen, auch sollte der Sarkophag zunächst parallel zur Rückwand aufgestellt werden. Die Grundstruktur des Raumes aber blieb erhalten: man muss empor schreiten, will man zur Königin gelangen – damals wie heute, ursprünglich geplant wie später ausgeführt.
Auch die Luisenkirche auf dem Gierkeplatz – benannt nach der verehrten Königin – fasst diese beiden weit auseinander liegenden Epochen der Romanentstehung und -überarbeitung zusammen. Errichtet wurde sie im 18. Jahrhundert, stark verändert kurz vor Jean Pauls Tod. Dann machte man sie zur Ruine; heute ähnelt sie äußerlich, ohne die Turmspitze, die man ihr 1826 aufsetzte, wieder dem Bau, der ab 1823 nach Plänen Schinkels entstand.
An Schinkel erinnert nur noch der Turm, immerhin. Jean Paul wurde damals gerade von Lorenz Kreul gemalt, letzte Werke wurden geschrieben, das Gesamtwerk geordnet (immerhin hier waltete eine Art von „Klassizismus“: in der An-Ordnung von Einzelteilen). Seit 1788 unterrichtete man im nahe gelegenen Schulhaus – zwei Jahre, bevor der Dichter wieder nach Schwarzenbach zog, wo er seit 1791 über dem Roman saß.
Das Charlottenburger Schulhaus sieht ein bisschen großzügiger aus als das Schwarzenbacher, aber es besitzt kaum literarischen Erinnerungsqualitäten. Trotzdem: Hölzels Palais ist, schulgeschichtlich betrachtet, nicht weit von Charlottenburg entfernt.
[Fotos: Frank Piontek, 11.6.2013]
---------
[1] Ich sehe uns noch im Februar in bitterster Februarkälte in einer sehr langen Schlange vor dem Museum stehen, nachdem wir die Passkontrolle am Bahnhof Friedrichstraße passiert hatten: eine innerstädtische Grenze, die Schinkel posthum geknackt hatte, weil man ihn hier wie „im Westen“, in der Nationalgalerie und bei seinen vielen Bauten, als den überragenden Repräsentanten der klassizistischen Architektur feierte, der seinerzeit, wie selbstverständlich, Bauten in Charlottenburg und in der historischen Mitte des alten Berlin, aber auch auf der Krim geplant hatte.
Logen-Blog [172]: Der Autor muss kein Oberbaurat sein>
Wir bleiben noch ein bisschen in der Nähe des Mausoleums, einem Ort, der Jean Paul garantiert gefallen hätte: eine tote, schöne Marmorkönigin, Kandelaber mit weiblichen Genien, Todesengel, die Verheißung eines christlichen Jenseits, der Hochadel, Stille. Wir bleiben also in Charlottenburg, damit auch in jener Zeit, in der Jean Paul die Unsichtbare Loge schrieb – und sie überarbeitete.
Zuerst das Teehaus, das Belvedere, das Friedrich Wilhelm II. im Schlosspark Charlottenburg erbauen ließ: im Jahre 1788. Dann der Schinkelpavillon, der in Jean Pauls allerletzten Jahren entstand: ein Werk der Zeit kurz vor 1825. Hier ein früher klassizistischer Bau, dem der Barock noch in den Knochen hängt, dort der strenge, an italienischen Vorbildern orientierte Neue Pavillon, der für den Witwer der Luise und seine zweite Gemahlin Auguste von Liegnitz errichtet wurde. Hier ein verspielter, nach oben weisender Vergnügungsbau – ein Teehaus –, dort der kubische Baukörper, dem dank der Loggien und der Klappfenster etwas Luftiges eignet. Hier der barock ausschweifende Roman eines wilden jungen Mannes, der sich gerade literarisch-satirisch zügelt (ohne die Satire abzustreifen), dort die Einsicht, dass alte Bauwerke, wenn sie nicht vollendet wurden, nur abgerissen werden – oder mit einigen Ausbesserungen, doch im Ruinenzustand zum Druck befördert werden können. Die modernen, vollendeten, knapp angelegten, übersichtlichen Romane sollen, bitteschön, andere schreiben, der Autor von 1791 muss kein Oberbaurat sein.
Schinkel hatte übrigens, um aufs Mausoleum zurückzukommen, größeren Anteil am Gedächtnisbau als ich zunächst gemeint habe. Im Katalog der grandiosen Schinkel-Ausstellung, die 1981, zu Schinkels 200. Geburtstag, im Alten Museum stattfand[1], entdecke ich einen Plan, den Schinkel 1810 gezeichnet hat. Der Unterschied zur ausgeführten Fassung: es sind zwei, nicht vier Säulen, die den Treppenraum vom hinteren Gruftraum trennen, auch sollte der Sarkophag zunächst parallel zur Rückwand aufgestellt werden. Die Grundstruktur des Raumes aber blieb erhalten: man muss empor schreiten, will man zur Königin gelangen – damals wie heute, ursprünglich geplant wie später ausgeführt.
Auch die Luisenkirche auf dem Gierkeplatz – benannt nach der verehrten Königin – fasst diese beiden weit auseinander liegenden Epochen der Romanentstehung und -überarbeitung zusammen. Errichtet wurde sie im 18. Jahrhundert, stark verändert kurz vor Jean Pauls Tod. Dann machte man sie zur Ruine; heute ähnelt sie äußerlich, ohne die Turmspitze, die man ihr 1826 aufsetzte, wieder dem Bau, der ab 1823 nach Plänen Schinkels entstand.
An Schinkel erinnert nur noch der Turm, immerhin. Jean Paul wurde damals gerade von Lorenz Kreul gemalt, letzte Werke wurden geschrieben, das Gesamtwerk geordnet (immerhin hier waltete eine Art von „Klassizismus“: in der An-Ordnung von Einzelteilen). Seit 1788 unterrichtete man im nahe gelegenen Schulhaus – zwei Jahre, bevor der Dichter wieder nach Schwarzenbach zog, wo er seit 1791 über dem Roman saß.
Das Charlottenburger Schulhaus sieht ein bisschen großzügiger aus als das Schwarzenbacher, aber es besitzt kaum literarischen Erinnerungsqualitäten. Trotzdem: Hölzels Palais ist, schulgeschichtlich betrachtet, nicht weit von Charlottenburg entfernt.
[Fotos: Frank Piontek, 11.6.2013]
---------
[1] Ich sehe uns noch im Februar in bitterster Februarkälte in einer sehr langen Schlange vor dem Museum stehen, nachdem wir die Passkontrolle am Bahnhof Friedrichstraße passiert hatten: eine innerstädtische Grenze, die Schinkel posthum geknackt hatte, weil man ihn hier wie „im Westen“, in der Nationalgalerie und bei seinen vielen Bauten, als den überragenden Repräsentanten der klassizistischen Architektur feierte, der seinerzeit, wie selbstverständlich, Bauten in Charlottenburg und in der historischen Mitte des alten Berlin, aber auch auf der Krim geplant hatte.