Logen-Blog [169]: Mozart und die Menschenunfreundlichkeit
Ich fröne wieder einer alten Unart: ich lese und höre derweilen Musik – gute Musik, die nicht komponiert wurde, damit taube Ohren sie im Nebenbei hören. Allein, es passt wieder: Mozart schrieb sein Es-Dur-Hornkonzert im Jahre 1783, der Roman spielt nur wenig später (Mitte der 1780er Jahre spielt der Siebenkäs, der später geschrieben wurde). Die Hauptsache: der Affekt des langsamen und des Finalsatzes passt trefflich zum Affekt dessen, was ich gerade lese. Nämlich so:
„Jean Paul“ ist endlich zum Justizamtmann ernannt worden, weil Röper einen Hass auf Kolb hat, der „Jean Paul“ wiederum vor Röper abqualifizierte. Es stimmt ja, was Kolb meint: der Erzähler hasst ihn und einzelne Adlige, er prozessiert mit Vorliebe für Untertanen, „gegen ihre Lehnherren“, er ist ein Armenadvokat (und Schriftsteller) (wie später Siebenkäs: in einer Person). Und so kommt's, dass „die Kolbischen Angriffe eben meine Wendeltreppe zu diesem Gerichtsstuhle waren“. Die Tatsache, dass er weder reitet (das Einbein) noch mit der Kutsche fährt (der seekranke Magen), macht's, dass er bei Röper zusätzliche Steine im Brett hat, denn der Geizling würde ungern noch ein Pferd versorgen. „Jean Paul“ hat, wie er genauer – und charmanter – sagt, keinen „Pferde-Nachtrab, den Röpers Stall bisher zu apanagieren hatte“. Und also kommt der Erzähler plötzlich auf den immer wieder erhofften Posten – dies war eine Art Roter Faden im Gewirre des Textes –, auf dem er seine Kritiker richten könne: freilich nur im casus des Stehlens, wenn's etwas Anderes ist als Ehre, sagt der Jungautor, der Bekanntschaft machen wird mit diversen Verrissen, die die Schreibehre des Skribenten abschneiden werden.
Hierzu passt nun also Mozart, das Finale von KV 417. Der Gerichtsmann wird seinen Untertanen und künftigen Klienten vorgestellt, 500 Hände müssen gedrückt werden. Gleichzeitig feiert Röper seinen Geburtstag – und nun greift der zärtliche, langsame Satz des Konzerts: der Erzähler merkt plötzlich – zumindest notiert er es –, dass auch Röper ein Mensch ist, der freundlich zu sein vermag. Zumindest in der Familie kann Röper offensichtlich etwas Anderes ausstrahlen außer Neid und Missgunst, Enge und Unbehaglichkeit. Der Blick auf Luise, das „treue Herz“, macht es klar: wo so viel Liebe ist, kann auch Gegenliebe nicht ausbleiben. Jean Pauls satirischer Blick auf die Welt weitet sich plötzlich zu einer Anthropologie des Mitgefühls: als wäre alles, was vorher geschrieben stand, kaum geschrieben worden, oder anders: als hätte er den scharfen, kompromisslosen Ton gebraucht, um nun das „Reinmenschliche“ in Typen wie Röper kontrastiv entdecken zu können.
Er hat ja Recht[1]:
Seitdem er aber in seinen Klavierstunden zu Scheerau Gelegenheit gehabt, mit manchem Großen unter einem Deckengemälde zu stehen, seitdem er selbst unter diesen Riesen mit herumspringt: so sieht er, dass ein Minister, der ein Volk drückt, seine Kinder lieben und dass der Menschenfeind am Sessiontisch ein Menschenfreund am Nähpult seines Weibes sein kann. So haben die Alpenspitzen in der Ferne ein kahles steiles Ansehen, in der Nähe aber Platz und gute Kräuter genug.
Ist das nun ein hohler Relativismus? Als ob man jemanden entschuldigen könne, der kaltblütig Menschen in den Tod schickt und beim Anhören eines Mozartschen Streichquartetts weinen kann? Ich glaube nicht. Vermutlich will „Jean Paul“ uns nur sagen, dass der Mensch ein kompliziertes Wesen ist, das auf einen Blick nicht zu erfassen ist – schon gar nicht mit dem Blick des Satirikers. Satirisch kann man immer noch argumentieren, mithin „menschenunfreundlich“ – aber die Option, menschenfreundlich zu schreiben, bleibt unbenommen.
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[1] Und wieder ist es ein schöner Zufall, dass ich just gestern Abend, im Gespräch mit einem wirklich guten Freund, wieder auf etwas kam, was täglich trainiert werden muss: man muss die Leute einfach näher kennen lernen, dann kann man ihnen, überrascht über „manchen freundlichen Zug“, Abbitte leisten. Es schadet nichts.
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Ich fröne wieder einer alten Unart: ich lese und höre derweilen Musik – gute Musik, die nicht komponiert wurde, damit taube Ohren sie im Nebenbei hören. Allein, es passt wieder: Mozart schrieb sein Es-Dur-Hornkonzert im Jahre 1783, der Roman spielt nur wenig später (Mitte der 1780er Jahre spielt der Siebenkäs, der später geschrieben wurde). Die Hauptsache: der Affekt des langsamen und des Finalsatzes passt trefflich zum Affekt dessen, was ich gerade lese. Nämlich so:
„Jean Paul“ ist endlich zum Justizamtmann ernannt worden, weil Röper einen Hass auf Kolb hat, der „Jean Paul“ wiederum vor Röper abqualifizierte. Es stimmt ja, was Kolb meint: der Erzähler hasst ihn und einzelne Adlige, er prozessiert mit Vorliebe für Untertanen, „gegen ihre Lehnherren“, er ist ein Armenadvokat (und Schriftsteller) (wie später Siebenkäs: in einer Person). Und so kommt's, dass „die Kolbischen Angriffe eben meine Wendeltreppe zu diesem Gerichtsstuhle waren“. Die Tatsache, dass er weder reitet (das Einbein) noch mit der Kutsche fährt (der seekranke Magen), macht's, dass er bei Röper zusätzliche Steine im Brett hat, denn der Geizling würde ungern noch ein Pferd versorgen. „Jean Paul“ hat, wie er genauer – und charmanter – sagt, keinen „Pferde-Nachtrab, den Röpers Stall bisher zu apanagieren hatte“. Und also kommt der Erzähler plötzlich auf den immer wieder erhofften Posten – dies war eine Art Roter Faden im Gewirre des Textes –, auf dem er seine Kritiker richten könne: freilich nur im casus des Stehlens, wenn's etwas Anderes ist als Ehre, sagt der Jungautor, der Bekanntschaft machen wird mit diversen Verrissen, die die Schreibehre des Skribenten abschneiden werden.
Hierzu passt nun also Mozart, das Finale von KV 417. Der Gerichtsmann wird seinen Untertanen und künftigen Klienten vorgestellt, 500 Hände müssen gedrückt werden. Gleichzeitig feiert Röper seinen Geburtstag – und nun greift der zärtliche, langsame Satz des Konzerts: der Erzähler merkt plötzlich – zumindest notiert er es –, dass auch Röper ein Mensch ist, der freundlich zu sein vermag. Zumindest in der Familie kann Röper offensichtlich etwas Anderes ausstrahlen außer Neid und Missgunst, Enge und Unbehaglichkeit. Der Blick auf Luise, das „treue Herz“, macht es klar: wo so viel Liebe ist, kann auch Gegenliebe nicht ausbleiben. Jean Pauls satirischer Blick auf die Welt weitet sich plötzlich zu einer Anthropologie des Mitgefühls: als wäre alles, was vorher geschrieben stand, kaum geschrieben worden, oder anders: als hätte er den scharfen, kompromisslosen Ton gebraucht, um nun das „Reinmenschliche“ in Typen wie Röper kontrastiv entdecken zu können.
Er hat ja Recht[1]:
Seitdem er aber in seinen Klavierstunden zu Scheerau Gelegenheit gehabt, mit manchem Großen unter einem Deckengemälde zu stehen, seitdem er selbst unter diesen Riesen mit herumspringt: so sieht er, dass ein Minister, der ein Volk drückt, seine Kinder lieben und dass der Menschenfeind am Sessiontisch ein Menschenfreund am Nähpult seines Weibes sein kann. So haben die Alpenspitzen in der Ferne ein kahles steiles Ansehen, in der Nähe aber Platz und gute Kräuter genug.
Ist das nun ein hohler Relativismus? Als ob man jemanden entschuldigen könne, der kaltblütig Menschen in den Tod schickt und beim Anhören eines Mozartschen Streichquartetts weinen kann? Ich glaube nicht. Vermutlich will „Jean Paul“ uns nur sagen, dass der Mensch ein kompliziertes Wesen ist, das auf einen Blick nicht zu erfassen ist – schon gar nicht mit dem Blick des Satirikers. Satirisch kann man immer noch argumentieren, mithin „menschenunfreundlich“ – aber die Option, menschenfreundlich zu schreiben, bleibt unbenommen.
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[1] Und wieder ist es ein schöner Zufall, dass ich just gestern Abend, im Gespräch mit einem wirklich guten Freund, wieder auf etwas kam, was täglich trainiert werden muss: man muss die Leute einfach näher kennen lernen, dann kann man ihnen, überrascht über „manchen freundlichen Zug“, Abbitte leisten. Es schadet nichts.