Logen-Blog [154]: Ein Leben ist leichter zu führen als zu schildern
Das Kapitel könnte damit zuende sein – aber der Erzähler klebt noch eine Notiz hinterher:
Es wird kaum die Mühe verlohnen, dass ichs hersetze, dass der Spitzbube Robisch zum Henker gejagt wurde, weil er einen entwischten Rekruten für einen neuen ausgab und verrechnete. Wenn ich sagte: zum Henker gejagt, so satirisierte ich; denn zum Herrn von Röper wars, der keine Bediente annimmt als die, welche Livree-Polyhistore wie Robisch sind, d. h. zugleich Jäger, Gärtner, Schreiber, Bauern und Bediente.
Das ist ja ganz hübsch, wirkt aber auch seltsam separiert. Vor sage und schreibe 120 Einträgen sind wir ihm das letzte Mal begegnet. „Jean Paul“ erklärt nicht, wieso dieser Fakt ausgerechnet an das Ende eines Kapitels gerückt werden muss, in dem es um den Abschied Gustavs geht – die Fülle des Lebens macht es, dass Hochpathetisches neben scheinbar banalem zu stehen kommt – und man wundert sich nicht, dass der Beginn des nächsten Sektors – des einundzwanzigsten oder Michaelis-Sektors – nicht mehr auf Robisch Bezug nimmt. Man würde sich vielleicht nicht einmal wundern, wenn Robisch aus dem Roman verschwinden würde. Der Autor schreibt ja selbst, welche Mühe er hat, die Erzählung zusammenzuhalten: er sei nun ein Jahr hinter dem Aufzuschreibenden, also Gustavs Leben, zurück. Vorher aber gedenkt er noch kurz der Abschiedsszene, indem er seine Gefühle reflektiert: „Dein junges Herz bringest du nicht mehr nach Auenthal! – O dass doch die Früchte am Menschen ein andres Wetter haben müssen als seine Blüten – statt des Hauches des Lenzes den Stich des Augusts und den Sturm des Herbstes!“ Das ist gut beobachtet, viele Eltern müssten so denken, wüssten sie, was auf sie zukommt, wenn sie aus jungen, lieben Leuten Rabauken werden sehen, oder, struktureller argumentiert: wenn sie erleben müssen, dass aus Kindern, die „normal“ heranwachsen und ihnen, den Eltern zugetan sind, eigenständige Wesen werden, die sich den Eltern entfremden und, wenn´s hoch kommt, Karrieren einschlagen, von denen die Eltern nicht mal zu träumen wagten – weil diese Karrieren für die Eltern (und die einstigen Kinder) nur noch Albträume sind. Aus lieben Kleinen können verlorene Menschen werden, aus liebenswürdigen enfants verzweifelte Kreaturen, die vom Auguststich und vom Herbststurm zerstört wurden. Hoffnung mag freilich immer sein – der Leser also darf gespannt sein, welchen Stichen und Stürmen ihn, Gustav, sein Biograph noch aussetzt, aber weiß er es selber? Nein, er hat keinen Plan: Ein Leben ist leichter zu führen als zu schildern, zumal gut stilisiert. Überhaupt kann ein Autor – ein guter – leichter die Sterne des Himmels zählen als seine zukünftigen Bogen, die auch Sterne sind.
Ludwig Wittgenstein, vorher und nachher oder Wie aus einem fröhlichen Knaben ein sehr ernster, vom Stich des Augusts und dem Sturm des Herbstes getroffener Mann wird, der offenbar so gut wie nie lachte (zumindest nicht für die Fotografen).
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Das Kapitel könnte damit zuende sein – aber der Erzähler klebt noch eine Notiz hinterher:
Es wird kaum die Mühe verlohnen, dass ichs hersetze, dass der Spitzbube Robisch zum Henker gejagt wurde, weil er einen entwischten Rekruten für einen neuen ausgab und verrechnete. Wenn ich sagte: zum Henker gejagt, so satirisierte ich; denn zum Herrn von Röper wars, der keine Bediente annimmt als die, welche Livree-Polyhistore wie Robisch sind, d. h. zugleich Jäger, Gärtner, Schreiber, Bauern und Bediente.
Das ist ja ganz hübsch, wirkt aber auch seltsam separiert. Vor sage und schreibe 120 Einträgen sind wir ihm das letzte Mal begegnet. „Jean Paul“ erklärt nicht, wieso dieser Fakt ausgerechnet an das Ende eines Kapitels gerückt werden muss, in dem es um den Abschied Gustavs geht – die Fülle des Lebens macht es, dass Hochpathetisches neben scheinbar banalem zu stehen kommt – und man wundert sich nicht, dass der Beginn des nächsten Sektors – des einundzwanzigsten oder Michaelis-Sektors – nicht mehr auf Robisch Bezug nimmt. Man würde sich vielleicht nicht einmal wundern, wenn Robisch aus dem Roman verschwinden würde. Der Autor schreibt ja selbst, welche Mühe er hat, die Erzählung zusammenzuhalten: er sei nun ein Jahr hinter dem Aufzuschreibenden, also Gustavs Leben, zurück. Vorher aber gedenkt er noch kurz der Abschiedsszene, indem er seine Gefühle reflektiert: „Dein junges Herz bringest du nicht mehr nach Auenthal! – O dass doch die Früchte am Menschen ein andres Wetter haben müssen als seine Blüten – statt des Hauches des Lenzes den Stich des Augusts und den Sturm des Herbstes!“ Das ist gut beobachtet, viele Eltern müssten so denken, wüssten sie, was auf sie zukommt, wenn sie aus jungen, lieben Leuten Rabauken werden sehen, oder, struktureller argumentiert: wenn sie erleben müssen, dass aus Kindern, die „normal“ heranwachsen und ihnen, den Eltern zugetan sind, eigenständige Wesen werden, die sich den Eltern entfremden und, wenn´s hoch kommt, Karrieren einschlagen, von denen die Eltern nicht mal zu träumen wagten – weil diese Karrieren für die Eltern (und die einstigen Kinder) nur noch Albträume sind. Aus lieben Kleinen können verlorene Menschen werden, aus liebenswürdigen enfants verzweifelte Kreaturen, die vom Auguststich und vom Herbststurm zerstört wurden. Hoffnung mag freilich immer sein – der Leser also darf gespannt sein, welchen Stichen und Stürmen ihn, Gustav, sein Biograph noch aussetzt, aber weiß er es selber? Nein, er hat keinen Plan: Ein Leben ist leichter zu führen als zu schildern, zumal gut stilisiert. Überhaupt kann ein Autor – ein guter – leichter die Sterne des Himmels zählen als seine zukünftigen Bogen, die auch Sterne sind.
Ludwig Wittgenstein, vorher und nachher oder Wie aus einem fröhlichen Knaben ein sehr ernster, vom Stich des Augusts und dem Sturm des Herbstes getroffener Mann wird, der offenbar so gut wie nie lachte (zumindest nicht für die Fotografen).