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30.04.2013, 10:16 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [142]: Über ein gefährliches Lebensjahrzehnt

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So stellte man sich zu Jean Pauls Zeiten und noch später die zehn Stufen des Lebens vor.

Das schönste und wichtigste Jahrzehnt des Menschen, sagt Jean Paul, sei das zweite: doch ist es auch ein gefährliches Jahrzehnt. Liebe und Freundschaft, „Wahrheit-Eifer“ und Dichtergeist stehen in voller Blüte, „aber auch die Leidenschaften mit ihren Giftzähnen und Giftblasen“. Vielleicht ist es ja deshalb das „schönste“.

Es ist seltsam, dass Jean Paul zugleich die schönen wie die gefährlichen Elemente der Pubertät benennt, wenn es um das Besondere dieser Periode geht. Die Natur, die der Dichter hier beschwört, weil sie den „glücklichen Jüngling“ – also Gustav – „in einen Zauberkreis von Engeln einschließt“, ist eine Natur, die erst einmal bewältigt werden muss; Engel können da leicht zu Teufelinnen werden. Es gibt eben nicht nur ein „Herz“, es gibt auch – pardon, liebe Leser – einen Schwanz. Diese physiognomische Eigenheit gilt auch für den guten Gustav, der Erzähler mag es befürchten, wenn er das „Gift“ der Zwanziger erwähnt. An die Stelle von Mond und Nachtigall treten die (Mond-)Göttin und das Vögelchen, die mit ihren Reizen den „glücklichen Jüngling“ überwältigen wollen oder werden. „Jean Paul“ sagt das nicht ausdrücklich, er meint, dass dieser Jüngling sich von den Reizen der unschuldigen Natur nicht losmachen wird, aber er mag ahnen, dass es nicht so leicht sein wird, den weltlichen Grazien derart zu entkommen, dass er, Gustav, noch weiterhin der reinen Natur vertrauen wird. Mit Ablauf der Dreißiger ist's eh vorbei: sind sie vorüber, „so hat eine kalte Hand unsre Brust und unser Auge berührt; was noch aus diesen dringt, hat den ersten Morgenzauber verloren.“ Da hat er Recht: wenn man erst einmal durch die Pubertät und die nächsten großen Irrtümer gerauscht ist, fällt es schwer, den Zauber des Lebens als Zauber wahrzunehmen, die Natur als „natürlich“ zu bezeichnen und in der Sinnlichkeit mehr zu entdecken als die pure Natur der vorgefertigten Chemie.

Da der Mensch aber heute in der Regel mehr als die damaligen paar Jahrzehnte zur Verfügung hat, auch noch mit 80 lustig sündigen kann (wenn er nicht dement ist) und mit 70 eventuell aussieht wie mit 55 (damals sahen sie ja mit 50 schon aus wie späte 60er) – so verschiebt sich eh alles. Lernen und Irren, Genießen und Bereuen – das dauert heute, objektiv betrachtet, alles länger.

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