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24.04.2013, 12:51 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [136]: Mit Telemach durch den Felsengarten von Sanspareil

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Nicht nur Jean Paul hat ihn – völlig zurecht – verehrt: den „heiligen Fénelon“, den Erzbischof von Cambrai, der als Romanautor unsterblich wurde.

Schon in der Loge kommt Jean Paul auf den wunderbaren Fénelon zu sprechen. François de Salignac de La Mothe-Fénelon, kurz stets „Fénelon“ genannt, wurde unsterblich durch seinen Fürstenspiegel, den Roman Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse, kurz: den Telemach. Jean Paul lernte ihn kennen durch die Übersetzung Benjamin Neukirchs, die 1727 bis 1739 in Ansbach – der schönen Residenzstadt des gleichnamigen Fürstentums im fränkischen Reichskreis – herauskam. Muss man dieses olle Zeug kennen, diesen Schinken des ausgehenden 17. Jahrhunderts?

Man muss nicht, aber man sollte. Was der als Romanautor glanzvoll dilettierende Erzbischof da verfasst hat, ist nämlich nach wie vor so unterhaltsam wie gut belehrend. In den Irrfahrten des Telemach offenbaren sich die Lehren, die die Göttin der Weisheit dem Schützling übergibt. Was steht dagegen, ein Leben der Mäßigung und der Verantwortung zu führen? Die Fürstenlehre des Barock entpuppt sich am Ende als aktuelle politische Handlungsanweisung für einen klugen Politiker, die die drei Jahrhunderte locker überspringt. In der alten Übersetzung, die als Reclam-Buch vorliegt (und natürlich vergriffen ist: so geht's ja mit vielen guten Büchern[1]), kommt Fénelons Sprache in eine Fassung, die bis heute bezaubert.

Jean Paul war, weiß man, von der pädagogischen Lehre und der Lehre der amor pur so begeistert, dass er sie im Titan aufgriff. Schon in der Loge aber erwähnt er das Buch: Oefel will nämlich im Kadettenhaus (wo Gustav inzwischen lebt) „Menschen studieren, um sie in Kupfer stechen zu lassen“: für einen kleinen Roman, der eine „Enzyklopädie für Erbprinzen und Kronhofmeister“ werden soll: „Dieser Fénelon machte den Harem seines Telemachs zu einem Spiegelzimmer, das den ganzen weiblichen Scheerauer Hof widerspiegelte.“ Das bezieht sich auf Beata und die Residentin von Bouse: in Beziehung auf Gustav, den jungen Mann, der an Telemachs Statt durch die Welt segelt – in Kontakt vielleicht mit jenen Frauen, die an Stelle von Circe und ihren Nymphen agieren.

Wer Telemachs Welt kennen lernen will, kann sich am Ende des Jean-Paul-Weges (wo wir auch seines „heiligen Fénelon“ gedachten) auf seine Spuren begeben. Im Felsengarten von Sanspareil, wo Markgräfin Wilhelmine und Markgraf Friedrich Mitte des 18. Jahrhunderts die Gartenanlage mit vielen romanhaften Staffagen und hinweisenden Tafeln ausstatteten, erwartete den Besucher im 18. Jahrhundert das Reich des Telemach: die Inseln und Felsen, an und auf denen wir uns den jungen Mann und die Göttin und die Nymphen vorstellen können.

Wer vom hinteren Ende des Felsengartens nach vorn wandert, bekommt tatsächlich einen wenn auch groben Durchgang durch den Roman geliefert – vorausgesetzt, er nimmt das Buch in die Hand und liest, wie Telemach bei Circe weilt, wie er vom alten, weisen Mentor (also keinem anderen als der ihn beschützenden Göttin Athene) vom Felsen gestoßen wird (damit er endlich der Wollust und der Trägheit entsagt), wie er schließlich seinen Vater Odysseus wieder trifft und am Ende, beim Morgenländischen Bau, der letzten großen Lehrrede lauscht. Wer sie an diesem Ort liest, nachdem er mit Telemach, durch den dunklen Garten wandelnd, die Abenteuerfahrt überlebt hat, wird begreifen, dass ein Buch von 1696 nicht von gestern sein muss.

Jean Paul hat es gewusst; für ihn war Fénelon einer der großen Erzieher der Literatur, der ihm freilich nicht beibrachte, wie man geradlinig erzählt, auf dass auch noch ein junger Fürstenspross die Geschichte und ihre Lehren im Nu begreift. In der Loge hat er ihm bereits die Reverenz erwiesen: in Form eines Vergleichs, der den Scheerauer Legationsrat und sein enzyklopädisches Romanunternehmen adeln müsste.

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[1] Bei Amazon ist das dicke Buch heute für 38 Euro zu haben. Bei ZVAB kostet der billigere der beiden angebotenen Bände gar 50 Euro. Das ist viel – aber nicht zu viel für dieses erzählerische und rhetorische Meisterwerk.

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