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15.03.2013, 10:33 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [103]: Wo Jean Paul und Börne einander verpassten

Berliner Station Nr. 3 (und damit meint der Blogger, der ein Berliner ist, keine Curry-Station): Neue Friedrichstraße. Du, lieber Stadtwanderer, gehst nun einfach weiter an der großen Straße, die südlich vom historischen Stadtzentrum und dem Plattenbaunicolaiviertel nach Osten führt, bis Du zur Ruine der Franziskanerkirche, zur Parochialkirche und zur „Letzten Instanz“ kommst. Die Kirche(n) und die Kneipe: die Kombination macht in Bezug auf den Meister einen tiefen Sinn.

Die ehemalige Neue Friedrichstraße und die heutige Littenstraße

Der frühere Kasernenhof, die heutige Kneipe Zur Letzten Instanz und die heutige Littenstraße

Wo sich nun das Gerichtsgebäude in der Littenstraße befindet, standen einst, in der Neuen Friedrichstraße, einige Bürgerhäuser und das Kadettenhaus. Jean Paul wohnte hier zusammen mit dem Gerichtsassessor Hans Georg von Ahlefeld bei seinem zweiten Berlin-Besuch, von Anfang Oktober 1800 bis Ende Mai 1801. Genau hier entstand der zweite Titan-Band, wurde der Beginn der Flegeljahre

Solange Haßlau eine Residenz ist, wußte man sich nicht zu erinnern, daß man darin auf etwas mit solcher Neugier gewartet hätte – die Geburt des Erbprinzen ausgenommen – als auf die Eröffnung des Van der Kabelschen Testaments. – Van der Kabel konnte der Haßlauer Krösus – und sein Leben eine Münzbelustigung heißen, oder eine Goldwäsche unter einem goldnen Regen, oder wie sonst der Witz wollte.

 – aufs Papier gesetzt: eine fast absurde Vorstellung. Im Vorderhaus wohnten die Herzens, hinten der Dichter und der sechs Jahre jüngere Jurist – einmal über den Hof. „Ich lebe hier“, schreibt er dem Musikerfreund Thieriot am 29. Oktober, „wie immer anfangs selig – habe mit einem H. von Ahlefeldt 1 Bedienten, 1 Tisch, 1 Wohnung, lauter Jugend-Kommunitäten“. Die Stimmung scheint gut gewesen zu sein, auch wenn er die Schreibsituation im trubeligen Berlin nicht als ideal empfand: „Ich und Ahlefeld leben wie jugendliche Musensöhne in Waffenbrüderschaft des Essens und Ausgehens“. Die Herz nannte es ein „schlechtes Stübchen“, und sie fährt fort: „dies hinderte jedoch nicht, dass die ausgezeichnetsten und vornehmsten Damen dort bei ihm vorfuhren und ihn besuchten.“

Vermutlich ging Jean Paul, wenn er in die Kirche ging, in diese: die Parochialkirche – keine geborne, aber eine Ruine, zumindest von innen (und der barocke Kirchturm fehlt auch noch; man sammelt gerade für seinen Wiederaufbau). (Fotos: Frank Piontek, 4.3. 2013)

Apropos Damen: zwei bis drei Jahre später hätte Jean Paul im Vorderhaus, im Salon der Henriette Herz, den jungen Ludwig Börne treffen können, der sich schwer in die Dame verliebt hatte. Der Publizist sollte 1825 die bewegende „Denkrede“ im Frankfurter Museum halten, aus der man immer wieder zitiert: „Er aber steht geduldig an der Pforte des 20. Jahrhunderts und wartet, biss sein schleichend Volk ihm nachkomme“. Hier, in der Neuen Friedrichstraße, kreuzten sich ihre Wege, wenn auch nicht zeitgleich.

Genauso sieht es mit der Wirkung Jean Pauls aus: sie verläuft diskontinuierlich; mancher kommt erst spät oder nie zu ihm, der mit der Niederschrift eines wesentlichen Werks in einer Straße begann, die heute – und vielleicht schon damals – auf Bezug eben jenen Roman und den Titan denkbar unjeanpaulesk erscheint. Der Geist aber weht, wo er will; die Wanderung durch das neue Berlin zeigt letzten Endes, dass historische Gebäude in rein literarischer Hinsicht unwichtig sind (auch wenn man sie, wie die Halbruine der Parochialkirche oder die Vollruine der nahen Franziskanerkirche, schützen sollte).

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