Logen-Blog [79]: Nicht mal fluchen kann das Kind!
Der Autor klagt: „Zu meinem Gefolge in dieser Lebensbeschreibung stoßen mit jedem Bogen, seh' ich, mehr Leute und machen mir das Lenken und Schwenken sauerer. Ich wollte lieber, ich wär' ein Reichstand und hätte Millionen zu regieren – und einzunehmen – als hier dieses fatale Menschen-Siebeneck, das mit Mühe in die rechten Ausschnitte zu treiben ist und worunter ich selber der widerhaarigste bin.“ Ich bin nicht sicher, ob es das schon einmal in der Literaturgeschichte gab: dass ein Autor sich darüber beklagt, dass seine Figuren, die er doch selber erfindet, ihm gleichsam über den Kopf wachsen – so wie die Tochter der Residentin von Bouse Blei an ihrem Kopf trägt (um ihn an die Aufrichtigkeit zu gewöhnen). Auch seine, des Autors, Schwester Philippine ist dazugestoßen, die die kleine Laura erziehen soll, die noch unter der „koketten“ Erziehung leidet: unter der „Glasglocke des Fensters“ schmachtend. Jean Paul meint mit diesem seltsamen Bild das Eingeschlossene dieser Existenz, wie es in den „Handschuh-Hülsen“ und dem Fischbein zutage tritt, das noch des Nachts, behauptet der Erzähler, das Kind umschließen. Er muss es wissen, kann er sich doch nicht dieser Gestalt erwehren, die in seine schriftstellerischen Beschreibungspflichten dringt.
Sonst passiert wenig in diesem kurzen Sektor: man reist ab. Der Rittmeister beklagt sich über seinen Sohn, genauer: über den Herrnhuter, der dessen Erziehung in eine – ihm allzu – weiche Bahn lenkte. Nicht mal fluchen könne das Kind! Dies übernimmt sogleich ein Junge, der dem Wagen Richtung Auenthal voranläuft. „Ein armer Teufel wars, der Hunger hatte und Humor, und für welchen die ganze Schule Brotkrumen und Äpfel zusammengeschossen hatte, wenn er ihr den Gefallen täte und auf sich entsetzlich schimpfte.“ Das klingt, als habe das der Autor einmal erlebt. Kein Wunder, dass er mit seiner Geschichte und seinem Personal nicht zurande kommt, wo so viele Beobachtungen in den Romanerstling hinein gestopft werden müssen.
Der Ausblick des Kapitels aber klingt fast versöhnlich: „Schönes Auenthal! dein Schnee ist schon weg? -“ „Fast“: d.h: es fragt sich, ob der Erzähler die Abwesenheit des Schnees bedauert – oder begrüßt.
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[1] Und wir erinnern uns daran, dass 1801 noch Zar Paul I. (siehe Logen-Blog [65]) lebte und schon ermordet wurde.
Logen-Blog [79]: Nicht mal fluchen kann das Kind!>
Der Autor klagt: „Zu meinem Gefolge in dieser Lebensbeschreibung stoßen mit jedem Bogen, seh' ich, mehr Leute und machen mir das Lenken und Schwenken sauerer. Ich wollte lieber, ich wär' ein Reichstand und hätte Millionen zu regieren – und einzunehmen – als hier dieses fatale Menschen-Siebeneck, das mit Mühe in die rechten Ausschnitte zu treiben ist und worunter ich selber der widerhaarigste bin.“ Ich bin nicht sicher, ob es das schon einmal in der Literaturgeschichte gab: dass ein Autor sich darüber beklagt, dass seine Figuren, die er doch selber erfindet, ihm gleichsam über den Kopf wachsen – so wie die Tochter der Residentin von Bouse Blei an ihrem Kopf trägt (um ihn an die Aufrichtigkeit zu gewöhnen). Auch seine, des Autors, Schwester Philippine ist dazugestoßen, die die kleine Laura erziehen soll, die noch unter der „koketten“ Erziehung leidet: unter der „Glasglocke des Fensters“ schmachtend. Jean Paul meint mit diesem seltsamen Bild das Eingeschlossene dieser Existenz, wie es in den „Handschuh-Hülsen“ und dem Fischbein zutage tritt, das noch des Nachts, behauptet der Erzähler, das Kind umschließen. Er muss es wissen, kann er sich doch nicht dieser Gestalt erwehren, die in seine schriftstellerischen Beschreibungspflichten dringt.
Sonst passiert wenig in diesem kurzen Sektor: man reist ab. Der Rittmeister beklagt sich über seinen Sohn, genauer: über den Herrnhuter, der dessen Erziehung in eine – ihm allzu – weiche Bahn lenkte. Nicht mal fluchen könne das Kind! Dies übernimmt sogleich ein Junge, der dem Wagen Richtung Auenthal voranläuft. „Ein armer Teufel wars, der Hunger hatte und Humor, und für welchen die ganze Schule Brotkrumen und Äpfel zusammengeschossen hatte, wenn er ihr den Gefallen täte und auf sich entsetzlich schimpfte.“ Das klingt, als habe das der Autor einmal erlebt. Kein Wunder, dass er mit seiner Geschichte und seinem Personal nicht zurande kommt, wo so viele Beobachtungen in den Romanerstling hinein gestopft werden müssen.
Der Ausblick des Kapitels aber klingt fast versöhnlich: „Schönes Auenthal! dein Schnee ist schon weg? -“ „Fast“: d.h: es fragt sich, ob der Erzähler die Abwesenheit des Schnees bedauert – oder begrüßt.
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[1] Und wir erinnern uns daran, dass 1801 noch Zar Paul I. (siehe Logen-Blog [65]) lebte und schon ermordet wurde.