Literarische Gesellschaft Gräfelfing
Wir wollen lernen, miteinander zu reden. Das heißt, wir wollen nicht nur unsere Meinung wiederholen, sondern hören, was der andere denkt. Wir wollen nicht nur behaupten, sondern im Zusammenhang nachdenken, auf Gründe hören, bereit bleiben, zu neuer Einsicht zu kommen.
Karl Jaspers in: Die Schuldfrage (1946), Motto der Literarischen Gesellschaft Gräfelfing.
Seit über 90 Jahren ist „Die Literarische“ fester Bestandteil des Kulturlebens der Würmtal-Gemeinden im Münchner Südwesten. Sie wird 1921 als „Literarische Gesellschaft Planegg – Krailling – Gräfelfing“ gegründet. Die Initiative geht von Gymnasialdirektor Dr. Adolf Stamm aus. Ein eigenes Kulturangebot im Würmtal erspart den langen Weg zu Veranstaltungen nach München. Außerdem soll die Gesellschaft in den Worten des Gründers „in den schlimmen Nöten der Zeit eine segensreiche Zufluchtsstätte werden, wo wir die Sorgen, die uns alle bedrücken, zeitweise vergessen dürfen und uns durch liebevolle und ernsthafte Beschäftigung mit unvergänglichen Werten und durch gegenseitige Aussprache aufrichten und versuchen wollen, die beglückende Heiterkeit des Gemüts zu finden, die gleich weit entfernt ist von verzweifelndem Pessimismus wie von oberflächlichem Optimismus“.
Im Gründungsjahr können bereits 62 Mitglieder gewonnen werden – vorwiegend aus Gräfelfing. Bald benennt man die Gesellschaft dementsprechend um in „Literarische Gesellschaft Gräfelfing“. In den ersten Jahren halten die eigenen Mitglieder Vorträge zu Themen aus Literatur, Kunst und Musik. Bald aber beginnt man, externe Referenten zu gewinnen, und immer öfter kommen prominente Autoren ins Gräfelfinger Weiße Rößl, ins Waldheim oder Café Walz. In den zwanziger und dreißiger Jahren lesen beispielsweise Waldemar Bonsels, Korfiz Holm, Otto von Taube oder Werner Bergengruen aus ihren Werken. Zunehmend treten auch Themen aus den Gebieten der Natur- und Geisteswissenschaften, Soziologie und auch Fragen der Weltanschauung und der Politik in den Vordergrund.
Zwischen 1933 bis 1944 leitet Theodor Engelmann die Gesellschaft. Dieser ist ein weit gereister Kosmopolit mit internationalen Kontakten. Es gelingt ihm, mit der Programmgestaltung die Zeit des Dritten Reichs ohne große ideologische Zugeständnisse zu überbrücken. In über 200 Veranstaltungen ist „mit zwei oder drei unvermeidlichen Ausnahmen“ kein Thema „nationalsozialistischer Art behandelt worden“. Selbst Kurt Huber kann dort in der Saison 1942/43 sprechen. Dieser gehört auch privat zum Freundeskreis des Vorsitzendes Engelmann, ebenso wie der koreanische Schriftsteller Mirok Li, der 1919 aus dem von Japan besetzten Korea nach Bayern geflüchtet ist. In München kommt er mit Prof. Huber und dem Umfeld der Weißen Rose in Berührung. Seine 1946 im Piper Verlag veröffentlichte Autobiografie Der Yalu fließt ist ein Überraschungserfolg.
1946 können die Veranstaltungen unter Walter Goetz wieder aufgenommen werden. Nach Goetz übernehmen der Kinderarzt Frank Höfer und ab 1958 der Verlagshersteller Werner Lehmann die Leitung der Gesellschaft. Wichtige Schriftsteller wie Fedor Stepun, Eugen Roth, Ernst Heimeran, Carl Orff, Ernst Penzoldt, Paul Eipper, Leonhard Frank, Erich Kästner, Joachim Kaiser und Ilse Aichinger sind zu Gast in Gräfelfing.
1973 übernimmt der Buchhändler Wolfgang Pollner den Vorsitz, der seine Kontakte zur Literaturszene einsetzt. Viele Größen des Literaturbetriebs von Elias Canetti, Herbert Rosendorfer, Sarah Kirsch, Marieluise Fleißer, Monika Maron, Hermann Lenz bis Sten Nadolny und Herta Müller kommen nach Gräfelfing. 1980 gründet Pollner mit Sinda Dimroth den Kunstkreis der Literarischen Gesellschaft, der 1995 ein eigener Verein wird.
Dieter Dorn sowie Binette Schröder mit Sybil Gräfin Schönfeldt (c) Literarische Gesellschaft Gräfelfing
Nach 36 Jahren löst Dr. Klaus Stadler, bis zum Ruhestand Sachbuch-Lektor beim Piper Verlag, 2009 Pollner als Vorsitzenden ab. Der fünfköpfige Vorstand arbeitet ehrenamtlich und organisiert bis zu 14 Abende pro Jahr, auch immer wieder literarisch-musikalische Veranstaltungen. Derzeit hat die Gesellschaft rund 420 Mitglieder. Sie wird seit vielen Jahren von der Gemeinde mit einem Zuschuss unterstützt und nützt das Bürgerhaus Gräfelfing als Veranstaltungsort. Zum 90-jährigen Jubiläum der „Literarischen“ (2011) lesen und sprechen neben anderen Hildegard Hamm-Brücher, Wolfgang Frühwald, Hans Maier, Harald Lesch, Martin Walser und Joachim Gauck. 2015 sind u.a. Lena Gorelik, Dieter Dorn und Michael Krüger zu Gast. Im darauffolgenden Dezember wird Sybil Gräfin Schönfeldt im siebten Jahr hintereinander wichtige Herbstbücher vorstellen.
Doll, Birgit (Hg.): Die Gräfelfinger Vereine. Freizeit aktiv gestalten in einer lebendigen Gemeinschaft. Gräfelfing 2014.
Externe Links:
Wir wollen lernen, miteinander zu reden. Das heißt, wir wollen nicht nur unsere Meinung wiederholen, sondern hören, was der andere denkt. Wir wollen nicht nur behaupten, sondern im Zusammenhang nachdenken, auf Gründe hören, bereit bleiben, zu neuer Einsicht zu kommen.
Karl Jaspers in: Die Schuldfrage (1946), Motto der Literarischen Gesellschaft Gräfelfing.
Seit über 90 Jahren ist „Die Literarische“ fester Bestandteil des Kulturlebens der Würmtal-Gemeinden im Münchner Südwesten. Sie wird 1921 als „Literarische Gesellschaft Planegg – Krailling – Gräfelfing“ gegründet. Die Initiative geht von Gymnasialdirektor Dr. Adolf Stamm aus. Ein eigenes Kulturangebot im Würmtal erspart den langen Weg zu Veranstaltungen nach München. Außerdem soll die Gesellschaft in den Worten des Gründers „in den schlimmen Nöten der Zeit eine segensreiche Zufluchtsstätte werden, wo wir die Sorgen, die uns alle bedrücken, zeitweise vergessen dürfen und uns durch liebevolle und ernsthafte Beschäftigung mit unvergänglichen Werten und durch gegenseitige Aussprache aufrichten und versuchen wollen, die beglückende Heiterkeit des Gemüts zu finden, die gleich weit entfernt ist von verzweifelndem Pessimismus wie von oberflächlichem Optimismus“.
Im Gründungsjahr können bereits 62 Mitglieder gewonnen werden – vorwiegend aus Gräfelfing. Bald benennt man die Gesellschaft dementsprechend um in „Literarische Gesellschaft Gräfelfing“. In den ersten Jahren halten die eigenen Mitglieder Vorträge zu Themen aus Literatur, Kunst und Musik. Bald aber beginnt man, externe Referenten zu gewinnen, und immer öfter kommen prominente Autoren ins Gräfelfinger Weiße Rößl, ins Waldheim oder Café Walz. In den zwanziger und dreißiger Jahren lesen beispielsweise Waldemar Bonsels, Korfiz Holm, Otto von Taube oder Werner Bergengruen aus ihren Werken. Zunehmend treten auch Themen aus den Gebieten der Natur- und Geisteswissenschaften, Soziologie und auch Fragen der Weltanschauung und der Politik in den Vordergrund.
Zwischen 1933 bis 1944 leitet Theodor Engelmann die Gesellschaft. Dieser ist ein weit gereister Kosmopolit mit internationalen Kontakten. Es gelingt ihm, mit der Programmgestaltung die Zeit des Dritten Reichs ohne große ideologische Zugeständnisse zu überbrücken. In über 200 Veranstaltungen ist „mit zwei oder drei unvermeidlichen Ausnahmen“ kein Thema „nationalsozialistischer Art behandelt worden“. Selbst Kurt Huber kann dort in der Saison 1942/43 sprechen. Dieser gehört auch privat zum Freundeskreis des Vorsitzendes Engelmann, ebenso wie der koreanische Schriftsteller Mirok Li, der 1919 aus dem von Japan besetzten Korea nach Bayern geflüchtet ist. In München kommt er mit Prof. Huber und dem Umfeld der Weißen Rose in Berührung. Seine 1946 im Piper Verlag veröffentlichte Autobiografie Der Yalu fließt ist ein Überraschungserfolg.
1946 können die Veranstaltungen unter Walter Goetz wieder aufgenommen werden. Nach Goetz übernehmen der Kinderarzt Frank Höfer und ab 1958 der Verlagshersteller Werner Lehmann die Leitung der Gesellschaft. Wichtige Schriftsteller wie Fedor Stepun, Eugen Roth, Ernst Heimeran, Carl Orff, Ernst Penzoldt, Paul Eipper, Leonhard Frank, Erich Kästner, Joachim Kaiser und Ilse Aichinger sind zu Gast in Gräfelfing.
1973 übernimmt der Buchhändler Wolfgang Pollner den Vorsitz, der seine Kontakte zur Literaturszene einsetzt. Viele Größen des Literaturbetriebs von Elias Canetti, Herbert Rosendorfer, Sarah Kirsch, Marieluise Fleißer, Monika Maron, Hermann Lenz bis Sten Nadolny und Herta Müller kommen nach Gräfelfing. 1980 gründet Pollner mit Sinda Dimroth den Kunstkreis der Literarischen Gesellschaft, der 1995 ein eigener Verein wird.
Dieter Dorn sowie Binette Schröder mit Sybil Gräfin Schönfeldt (c) Literarische Gesellschaft Gräfelfing
Nach 36 Jahren löst Dr. Klaus Stadler, bis zum Ruhestand Sachbuch-Lektor beim Piper Verlag, 2009 Pollner als Vorsitzenden ab. Der fünfköpfige Vorstand arbeitet ehrenamtlich und organisiert bis zu 14 Abende pro Jahr, auch immer wieder literarisch-musikalische Veranstaltungen. Derzeit hat die Gesellschaft rund 420 Mitglieder. Sie wird seit vielen Jahren von der Gemeinde mit einem Zuschuss unterstützt und nützt das Bürgerhaus Gräfelfing als Veranstaltungsort. Zum 90-jährigen Jubiläum der „Literarischen“ (2011) lesen und sprechen neben anderen Hildegard Hamm-Brücher, Wolfgang Frühwald, Hans Maier, Harald Lesch, Martin Walser und Joachim Gauck. 2015 sind u.a. Lena Gorelik, Dieter Dorn und Michael Krüger zu Gast. Im darauffolgenden Dezember wird Sybil Gräfin Schönfeldt im siebten Jahr hintereinander wichtige Herbstbücher vorstellen.
Doll, Birgit (Hg.): Die Gräfelfinger Vereine. Freizeit aktiv gestalten in einer lebendigen Gemeinschaft. Gräfelfing 2014.