Seerosenkreis
1948, im Jahr der Währungsreform, wird der Seerosenkreis von Künstlerinnen und Künstlern aller Sparten als Stammtisch in dem Schwabinger Lokal Seerose in der Feilitzschstraße gegründet. Die Initiatoren sind unter anderem der Schauspieler Gustl Weigert, der Dichter Peter Paul Althaus und der Maler Hermann Geiseler. Ihr Ziel ist es, nach der Zeit des Nationalsozialismus und den Wirren des Zweiten Weltkriegs den Geist des alten Schwabings der Jahrhundertwende wiederzubeleben.
Der Neubeginn des Viertels erweist sich als Erfolg, die Künstler- und Literatenszene floriert und die Seerose wird zum informell-familiären Zentrum für die kulturell ausgehungerten Münchner Anfang der 50er Jahre.
Die von Peter Paul Althaus erdichtete „Traumstadt Schwabing“ blüht und der Seerosenkreis macht sich einen Ruf: mit Ausstellungen aktueller Werke, mit einer Wiederbelebung des Kabaretts und den für die damalige Zeit innovativen Autorenlesungen.
Das verschollene Bild Traumstadt Schwabing bei Nacht von Hermann Geiseler, das ursprünglich in der Seerose hing (Foto: Galerie Roucka)
Die Seerose ist ein Ort der gegenseitigen Unterstützung und der Beratung v.a. auch für jüngere Künstler. Und obwohl sich der Kreis nicht institutionalisiert, schafft und verbindet er Institutionen – der damalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel nennt den ‚Traumstadtbürgermeister‘ Peter Paul Althaus einen „Kollegen“, und während seiner Amtszeit gelingt es 1962, den Seerosenpreis der Stadt München für bildende Künstler zu etablieren.
Der Erfolg führt freilich auch dazu, dass man aus Platzgründen häufiger die Lokalität wechseln muss; und im Zuge dessen macht sich die zunehmende Trennung der beiden großen Sparten – bildnerische und literarische Seerose – bemerkbar. Im Jahr 1976 wird schließlich mit einem Umbau das endgültige Ende der Gaststätte Seerose als zentralem Ort besiegelt: Die bildenen Künstler der Seerose finden mittelfristig im Allotriakeller des Münchner Künstlerhauses ihre Heimstatt, während die literarische Seerose für die nächsten Jahre in der Schwabinger Seidlvilla zu Hause ist.
Wenngleich die beiden Sparten ihre eigenen Wege gehen, wird die gemeinsame Tradition am Leben erhalten: Zum 50. Geburtstag des Seerosenkreises veranstalten die Literat*innen eine Jubiläumsfeier in der Seidlvilla, der 55. Geburtstag wird mit einer Ausstellung der Seerosenkünstler*innen der ersten zwei Jahrzehnte (1948-68) in der Rathaushalle und einer Werkschau der lebenden Mitglieder im Pavillon des Botanischen Gartens begangen. Dem 60. Geburtstag widmen die Seerosen-Mitglieder aller Sparten schließlich wieder ein gemeinsames Festprogramm – zu diesem Anlass erscheint auch ein 60-seitiger Katalog über die Geschichte des Seerosenkreises von 1948 bis 2008 mit Beiträgen der literarischen Seerosianer.
Seerosenabend in der Feilitzschstraße © Dr. Hans Althaus, Köln
Das 70-jährige Bestehen im Jahr 2018 wird mit zwei zentralen Veranstaltungen im Künstlerhaus am Lenbachplatz unter dem Motto 70 Jahre Seerosenkreis. Kunst ist Leben – Leben ist Kunst gefeiert. In den Clubräumen des Künstlerhauses findet vom 5. Juni bis 2. Juli eine Ausstellung von Bildern und Skulpturen statt. Den Auftakt bildet eine Vernissage, bei der der Wanderpreis Seerosen-Ring an den Schwabinger Fotografen und Galeristen Wolfgang Roucka verliehen wird; den Abschluss macht eine Festveranstaltung der Literaten im Innenhof des Künstlerhauses, u.a. mit den Gratulantinnen Maria Peschek und der jungen Poetry Slammerin Fee.
Die Seerose ist bis heute kein Verein, sondern nach ihrem Selbstverständnis eine offene Gruppierung, eine Künstlerheimat von durchaus familiärem Charakter. Ihre Sprecherin („Ober-Seerosianerin“) ist seit 2004 Brigitta Rambeck, die für ihr Engagement 2017 mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde. Neben dem seit 1962 von der Stadt München finanzierten Seerosenpreis vergeben die bildenden Künstler*innen seit dem Jahr 2000 auch den Wanderpreis Seerosenring. Amtierender Bürgermeister der Traumstadt-Bürgerversammlungen ist seit den letzten Jahren der ehemalige Oberbürgermeister von München, Christian Ude.
Die Seerosenkreise haben mit dem Künstlerhaus Lenbachplatz heute wieder einen zentralen Veranstaltungsort. Durch die Trägerschaft der Münchner Künstlerhaus-Stiftung unter der Präsidentschaft von Maja und Peter Grassinger haben Künstler aller Sparten ein dauerhaftes Zuhause gefunden. Dort finden der Stammtisch der Bildenden Künstler im Allotriakeller und Ausstellungen im Innenhof bzw. in den Clubräumen statt; die Literaten nutzen für Veranstaltungen meist den Festsaal oder die Clubetage.
Seerosenabend im Festsaal des Künstlerhauses am Lenbachplatz © Fridolin Schley
In seiner Programmatik hat der literarische Seerosenkreis sich von den klassischen Dichterlesungen verabschiedet und veranstaltet stattdessen themenbezogene Abende unterschiedlichster Art – meist auch mit musikalischer Begleitung, professionellen Sprechern oder Elementen des literarischen Kabaretts und Poetry Slams. Einen breiten Raum nimmt von Anfang an die Beschäftigung mit literarischen Epochen und ihren Vertretern ein – mit Schwerpunkt auf der Charakterisierung des jeweiligen Zeitgeists.
Die Vielseitigkeit der Seerosen-Autor*innen, die auf der Basis ihrer breitgefächerten literarischen Schwerpunkte und ihrer jeweiligen Kontakte zu anderen Künstlern die Abende gestalten, spiegelt sich in der Vielfalt der mittlerweile über 100 abgehaltenen Veranstaltungen, die man auf der Homepage des Kreises Revue passieren lassen kann.
Zu den vielen Höhepunkten der letzten Jahre zählt etwa der Abend zum gesellschaftlich brisanten Thema 'Willkommenskultur' – (k)ein deutsches Thema? (14.11.2016) u.a. mit Doris Dörrie, Andreas Unger und Gert Heidenreich, der eine bewegende Rede an junge Menschen vorträgt. An dem Abend Jugendstyle – unter dem Motto Aufbruch, Leichtsinn und das Überwinden von Grenzen (23.6.2017) – ist auch das Literaturportal Bayern als Kooperationspartner beteiligt. Neben einer Performance von Fee stellen dabei der Schriftsteller Thomas Lang und die Nachwuchsautorin Sophie Stroux den interaktiven Netzroman Der gefundene Tod vor, der in Zusammenarbeit mit dem Literaturportal Bayern entstanden ist.
Links: 'Willkommenskultur' mit Brigitta Rambeck, Dagmar Nick und Gert Heidenreich; rechts: 'Jugendstyle' mit Thomas Lang, Sophie Stroux, Fridolin Schley und Fee
Zu den derzeit aktiven literarischen „Seerosianern“ zählen u.a. die Autorinnen und Autoren Dagmar Nick, Asta Scheib, Brigitta Rambeck, Katrin Baumer, Christine Grän, Gisela Heidenreich, Gert Heidenreich, Albert von Schirnding, Anatol Regnier, Michael Skasa, Thomas Lang, Fridolin Schley sowie Andrew Malura, die Sprecherin Julia Cortis und die Kabarettisten Maria Peschek und Thomas Steierer.
Verfasser: Thomas Nachreiner, Julian Miksch
1948, im Jahr der Währungsreform, wird der Seerosenkreis von Künstlerinnen und Künstlern aller Sparten als Stammtisch in dem Schwabinger Lokal Seerose in der Feilitzschstraße gegründet. Die Initiatoren sind unter anderem der Schauspieler Gustl Weigert, der Dichter Peter Paul Althaus und der Maler Hermann Geiseler. Ihr Ziel ist es, nach der Zeit des Nationalsozialismus und den Wirren des Zweiten Weltkriegs den Geist des alten Schwabings der Jahrhundertwende wiederzubeleben.
Der Neubeginn des Viertels erweist sich als Erfolg, die Künstler- und Literatenszene floriert und die Seerose wird zum informell-familiären Zentrum für die kulturell ausgehungerten Münchner Anfang der 50er Jahre.
Die von Peter Paul Althaus erdichtete „Traumstadt Schwabing“ blüht und der Seerosenkreis macht sich einen Ruf: mit Ausstellungen aktueller Werke, mit einer Wiederbelebung des Kabaretts und den für die damalige Zeit innovativen Autorenlesungen.
Das verschollene Bild Traumstadt Schwabing bei Nacht von Hermann Geiseler, das ursprünglich in der Seerose hing (Foto: Galerie Roucka)
Die Seerose ist ein Ort der gegenseitigen Unterstützung und der Beratung v.a. auch für jüngere Künstler. Und obwohl sich der Kreis nicht institutionalisiert, schafft und verbindet er Institutionen – der damalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel nennt den ‚Traumstadtbürgermeister‘ Peter Paul Althaus einen „Kollegen“, und während seiner Amtszeit gelingt es 1962, den Seerosenpreis der Stadt München für bildende Künstler zu etablieren.
Der Erfolg führt freilich auch dazu, dass man aus Platzgründen häufiger die Lokalität wechseln muss; und im Zuge dessen macht sich die zunehmende Trennung der beiden großen Sparten – bildnerische und literarische Seerose – bemerkbar. Im Jahr 1976 wird schließlich mit einem Umbau das endgültige Ende der Gaststätte Seerose als zentralem Ort besiegelt: Die bildenen Künstler der Seerose finden mittelfristig im Allotriakeller des Münchner Künstlerhauses ihre Heimstatt, während die literarische Seerose für die nächsten Jahre in der Schwabinger Seidlvilla zu Hause ist.
Wenngleich die beiden Sparten ihre eigenen Wege gehen, wird die gemeinsame Tradition am Leben erhalten: Zum 50. Geburtstag des Seerosenkreises veranstalten die Literat*innen eine Jubiläumsfeier in der Seidlvilla, der 55. Geburtstag wird mit einer Ausstellung der Seerosenkünstler*innen der ersten zwei Jahrzehnte (1948-68) in der Rathaushalle und einer Werkschau der lebenden Mitglieder im Pavillon des Botanischen Gartens begangen. Dem 60. Geburtstag widmen die Seerosen-Mitglieder aller Sparten schließlich wieder ein gemeinsames Festprogramm – zu diesem Anlass erscheint auch ein 60-seitiger Katalog über die Geschichte des Seerosenkreises von 1948 bis 2008 mit Beiträgen der literarischen Seerosianer.
Seerosenabend in der Feilitzschstraße © Dr. Hans Althaus, Köln
Das 70-jährige Bestehen im Jahr 2018 wird mit zwei zentralen Veranstaltungen im Künstlerhaus am Lenbachplatz unter dem Motto 70 Jahre Seerosenkreis. Kunst ist Leben – Leben ist Kunst gefeiert. In den Clubräumen des Künstlerhauses findet vom 5. Juni bis 2. Juli eine Ausstellung von Bildern und Skulpturen statt. Den Auftakt bildet eine Vernissage, bei der der Wanderpreis Seerosen-Ring an den Schwabinger Fotografen und Galeristen Wolfgang Roucka verliehen wird; den Abschluss macht eine Festveranstaltung der Literaten im Innenhof des Künstlerhauses, u.a. mit den Gratulantinnen Maria Peschek und der jungen Poetry Slammerin Fee.
Die Seerose ist bis heute kein Verein, sondern nach ihrem Selbstverständnis eine offene Gruppierung, eine Künstlerheimat von durchaus familiärem Charakter. Ihre Sprecherin („Ober-Seerosianerin“) ist seit 2004 Brigitta Rambeck, die für ihr Engagement 2017 mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde. Neben dem seit 1962 von der Stadt München finanzierten Seerosenpreis vergeben die bildenden Künstler*innen seit dem Jahr 2000 auch den Wanderpreis Seerosenring. Amtierender Bürgermeister der Traumstadt-Bürgerversammlungen ist seit den letzten Jahren der ehemalige Oberbürgermeister von München, Christian Ude.
Die Seerosenkreise haben mit dem Künstlerhaus Lenbachplatz heute wieder einen zentralen Veranstaltungsort. Durch die Trägerschaft der Münchner Künstlerhaus-Stiftung unter der Präsidentschaft von Maja und Peter Grassinger haben Künstler aller Sparten ein dauerhaftes Zuhause gefunden. Dort finden der Stammtisch der Bildenden Künstler im Allotriakeller und Ausstellungen im Innenhof bzw. in den Clubräumen statt; die Literaten nutzen für Veranstaltungen meist den Festsaal oder die Clubetage.
Seerosenabend im Festsaal des Künstlerhauses am Lenbachplatz © Fridolin Schley
In seiner Programmatik hat der literarische Seerosenkreis sich von den klassischen Dichterlesungen verabschiedet und veranstaltet stattdessen themenbezogene Abende unterschiedlichster Art – meist auch mit musikalischer Begleitung, professionellen Sprechern oder Elementen des literarischen Kabaretts und Poetry Slams. Einen breiten Raum nimmt von Anfang an die Beschäftigung mit literarischen Epochen und ihren Vertretern ein – mit Schwerpunkt auf der Charakterisierung des jeweiligen Zeitgeists.
Die Vielseitigkeit der Seerosen-Autor*innen, die auf der Basis ihrer breitgefächerten literarischen Schwerpunkte und ihrer jeweiligen Kontakte zu anderen Künstlern die Abende gestalten, spiegelt sich in der Vielfalt der mittlerweile über 100 abgehaltenen Veranstaltungen, die man auf der Homepage des Kreises Revue passieren lassen kann.
Zu den vielen Höhepunkten der letzten Jahre zählt etwa der Abend zum gesellschaftlich brisanten Thema 'Willkommenskultur' – (k)ein deutsches Thema? (14.11.2016) u.a. mit Doris Dörrie, Andreas Unger und Gert Heidenreich, der eine bewegende Rede an junge Menschen vorträgt. An dem Abend Jugendstyle – unter dem Motto Aufbruch, Leichtsinn und das Überwinden von Grenzen (23.6.2017) – ist auch das Literaturportal Bayern als Kooperationspartner beteiligt. Neben einer Performance von Fee stellen dabei der Schriftsteller Thomas Lang und die Nachwuchsautorin Sophie Stroux den interaktiven Netzroman Der gefundene Tod vor, der in Zusammenarbeit mit dem Literaturportal Bayern entstanden ist.
Links: 'Willkommenskultur' mit Brigitta Rambeck, Dagmar Nick und Gert Heidenreich; rechts: 'Jugendstyle' mit Thomas Lang, Sophie Stroux, Fridolin Schley und Fee
Zu den derzeit aktiven literarischen „Seerosianern“ zählen u.a. die Autorinnen und Autoren Dagmar Nick, Asta Scheib, Brigitta Rambeck, Katrin Baumer, Christine Grän, Gisela Heidenreich, Gert Heidenreich, Albert von Schirnding, Anatol Regnier, Michael Skasa, Thomas Lang, Fridolin Schley sowie Andrew Malura, die Sprecherin Julia Cortis und die Kabarettisten Maria Peschek und Thomas Steierer.
Verfasser: Thomas Nachreiner, Julian Miksch