Gespräch mit Hans Pleschinski anlässlich der Tagung zu seinem Werk (Teil II)
Im Januar 2018 erschien der Roman Wiesenstein des Münchner Autors Hans Pleschinski. Das Buch erzählt die letzte Lebensphase des Schriftstellers Gerhart Hauptmann und sorgte nach dem Thomas-Mann-Roman Königsallee (2013) wieder für große Aufmerksamkeit bei Publikum und Medien. Zum vielfältigen Gesamtwerk von Hans Pleschinski findet am 15. Juni 2018 eine öffentliche und interdisziplinär ausgerichtete Tagung unter dem Titel „Eleganz und Eigensinn. Das Werk von Hans Pleschinski“ in den Räumen der Monacensia im Hildebrandhaus statt. Das Literaturportal Bayern wird darüber berichten. Im Vorfeld der Tagung haben die Organisatoren Dr. Laura Schütz und Dr. Kay Wolfinger (beide LMU München) den Autor Hans Pleschinski interviewt. Hier nun der zweite Teil des Gesprächs ...
*
Und wie ist Ihr Verhältnis zu anderen Gattungen, also Lyrik zum Beispiel oder Drama? Haben Sie das mal dezidiert probiert oder weiter ausweiten wollen?
Hans Pleschinski: Ich habe früher Gedichte geschrieben. Schon als Schüler, alljährlich am und über den 13. Februar, den Untergang Dresdens: Klagegedicht über den Untergang des Schönen. Es gibt einiges an Lyrik. Ist davon irgendwas veröffentlicht? Kann sein in irgendeiner Jugendzeitschrift. Lyrik ist das Feinste – ich weiß es ohne Neid –, entweder man ist lyrisch oder weniger. Man muss auch zum Dramatiker geboren sein. Und eine Gattung wird einen vollkommen aufsaugen. Als Prosaautor mit manchmal ironischem Einschlag kann man fast keine Gedichte schreiben. Ich brauche die Facettierungen der Prosa, mehrere Menschen; das versetzt mich in Spannung. Ich muss Geschichten, Gespräche, Situationen aufschreiben, und das wird dann zwangsläufig ein Roman. Obwohl ich mir auch vorstellen kann – ich meine, die Bücher könnte man gut verfilmen –, die Bücher zu Dramen umzuarbeiten. Aber dazu fehlt mir die Energie. Zum Beispiel beim Roman Leichtes Licht habe ich mir gedacht, dass es ein wunderbares Einpersonenstück fürs Theater wäre. Doch das verlangt einige Mühe, und neue Themen rufen.
Wie verhält sich das Leichte Licht zu Ihrem Gesamtwerk? Es fällt ja doch ein wenig heraus.
Mein Frauenroman ... Das Buch sollte sonnig und duftig werden. Das hatte ich schon immer vor: Ein Buch, das schwebend ist. Das war ein früher Wunsch. Es ist eine Novelle ohne besonderes Ereignis. Ein gleitendes Geschehnis, eine junge, gestresste Frau, die an den Strand will. Das Geschehnis ist, dass nichts geschieht, wie wunderbar. Leichtes Licht ist eine pure Novelle, derzeit muss aber alles Roman genannt werden.
Aber Novelle ohne Handlung …
Als theoretischer Widerspruch gegen Paul Heyses Theorie, eine Novelle handle einen besonders merkwürdigen Fall ab. – Leichtes Licht hat auch zu tun mit dem inneren Zerfließen der Menschen heutzutage, wo es selten krasse Schicksalseinbrüche gibt, in unserem Frieden, in unserem Wohlstand; alles fließt und zerfließt. Das Buch hat dennoch möglicherweise ein bitteres Ende: Christine Perlacher liegt am Strand und möchte nur noch ein leichtes Nichts sein. Das ähnelt fast einem Todeswunsch. Aber sie bittet jemanden um Feuer, und das Leben geht weiter. Insofern ist Leichtes Licht ambivalent, wie auch Brabant. Eine schätzenswerte Bekannte hat Brabant dreimal gelesen und sagte mir, sie habe es zuerst als Komödie gelesen, dann als Tragikomödie und schließlich als Tragödie, als Tragödie Europas, das verzagt und keine kulturelle Utopie mehr hat, möglicherweise. Wie kann man Leichtes Licht in eine Werkphase einordnen? Vielleicht gar nicht. Aber das macht nichts. Den Holzvulkan kann man auch nicht präzise einordnen. Eine postmoderne Rückgewinnung deutscher Geschichte.
Können Sie noch etwas zu Ihren Herausgeberschaften sagen bzw. zu Ihren Übersetzungen aus dem Französischen. Welchen Stellenwert in Ihrem Werk hat dieses Zurücktreten Ihrer Person als Autor und die Vermittlung und Bewahrung einer anderen Stimme?
Übersetzen und Herausgeben sind für mich Erholung, eine Reise in fremde Welten. Geschichte ist für mich ein spannender, entdeckungswerter Kontinent. Im Geschichtlichen verschränkt sich oft das Phantastische mit dem Wirklichen. Damit zu arbeiten, bedeutet Freude; ich muss nicht meine eigene Substanz ausschlachten, Romane fordern oft das Letzte ab, man muss sich beinahe selbst ausweiden. In den geschichtlichen Werken kann ich, falls alles glückt, den Leser mit auf Reisen nehmen. Im Von der Heydt-Museum im Wuppertal soll ab Oktober eine große Croÿ-Ausstellung stattfinden. Der Museumsleiter war von dem Buch so begeistert, dass er eine Ausstellung plant ‚Im Licht der Aufklärung‘ anhand der Memoiren des Herzogs von Croÿ. Das ist ein tolles Nachleben der Bücher: Auch der Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen bleibt sozusagen ein geschriebener Palast. Auch diese Korrespondenz ermöglicht Rückgewinnung von Geschichte, Bewusstsein und Identität, Europäertum. Das ist mir natürlich neben der geistvollen Erholung ein Herzensanliegen.
War dann die E.T.A. Hoffmann-Herausgabe ein Nebenprojekt?
Das war ein Wunsch vom Hanser Verlag. Es war gut, mich in etwas zu vertiefen, das mir bisher nicht so geläufig war, und es half mir, Zeit zu überbrücken bis zu einem Roman. Dass man präsent bleibt. Ich kann nichts gegen das Buch sagen. Ich selbst wäre nicht darauf gekommen, doch der Verlag meinte, es gebe schon länger keine neue Hoffmann-Anthologie mehr und ich könnte diese frei zusammenstellen. Wunderbar. Das Buch ist auch sehr schön gestaltet, und ich durfte E.T.A Hoffmann besser kennenlernen. Ich hatte auch Lesungen damit, die nicht einfach waren, denn es ist sehr schwer, Hoffmanns Traumgeschichten laut zu lesen. Er ist ein Gigant der Literatur, unerreicht in seiner Weise, bedeutend in der Nachwirkung.
Es ist ja immer auch eine Interpretation, wenn man es laut liest.
Das zum einen. Seine Sätze sind komplex, und dieses Realistisch-Gespenstische vorzutragen und Dinge in der Schwebe zu lassen ... Es gibt kaum gut eingelesene E.T.A. Hoffmann-Geschichten.
Auch die Verfilmung vom Sandmann von 1992 ist gruselig.
Das glaube ich. Das ist sicher mit gutem Willen gemacht, aber Jacques Offenbachs Oper ist dann wahrscheinlich noch die beste Umsetzung von Hoffmanns Phantasien. Mit Musik ist vieles möglich. Aber das ist ja auch herrlich, wenn ein Schriftsteller nicht dingfest zu machen ist.
Sollen wir noch auf München zu sprechen kommen? Fühlen Sie sich denn mittlerweile als Münchner Schriftsteller? Da Sie ja als Zugezogener mittlerweile als Münchner Autor wahrgenommen werden durch Ihre Rolle in der Akademie, durch Ihre Arbeit für den Bayerischen Rundfunk, als Verfasser eines München-Romans mit Das Bildnis eines Unsichtbaren, durch Ludwigshöhe?
Als ich nach München kam, war es die heimliche Hauptstadt Deutschlands. Es war magnetisch. Hier geschah künstlerisch anscheinend alles. Berlin war auf dem absteigenden Ast. München schien natürlich ein Teil Deutschlands zu sein, aber auch schon Italien. Es war verlockend, was hier geschah, auch im Film, und wieviele Schriftsteller hier lebten! Es war ein geistiger Motor der Bundesrepublik. Auch in der bildenden Kunst. Ich hab ja einige Zeit in einer Galerie gearbeitet. Wer hier alles ausstellte und malte! Das war faszinierend. Ingmar Bergman war Regisseur am Residenztheater, in Fassbinder-Filmen konnte ich als Komparse dabeisein und lernte auch dessen fulminanten Künstlerkreis gut kennen. Freddie Mercury, der nebenan wohnte. Bayern selbst hab ich jahrelang kaum wahrgenommen. Ich habe nur in der Münchner Innenstadt gelebt. Bayerisches war mir suspekt. Von Norddeutschland aus gesehen war die bayerische Mentalität nicht attraktiv. Es war damals auch ein eher armes Bundesland im Vergleich zu Niedersachsen, das Länderfinanzausgleich in den Süden zahlte, sogar Bremen tat das. Die Münchner Innenstadt war wie ein Salon. Unendlich reich Tag und Nacht an Begegnungen und Geschehnissen. Man war stolz in München zu sein und sich hier selbstzuverwirklichen. Es war auch schick und avantgardistisch. Bayern lernte ich erst nach fünf, sechs Jahren kennen und war dem verbreiteten Irrtum aufgesessen, dass es besonders dumpf sei. Ich halte es längst für eine der europäischsten Regionen Deutschlands. Auch durch die keltische, römische Vergangenheit und alle europäischen Verknüpfungen seit Jahrhunderten. Das ist hochbeeindruckend, und das Land nahm dann auch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Als ich hierher kam, waren Passau und Regensburg finster, finster. Das hat sich kolossal geändert. Jetzt bin ich Münchner Schriftsteller, was ja schon Rarität geworden ist, weil so viele Kollegen in Berlin leben. Bei Reisen bin ich zum Verteidiger Münchens geworden. Ich weiß ja, wer weggezogen ist: Rainald Goetz, Ulrike Draesner, Helmut Krausser und und ... Ein immenser Aderlass. Nun, wenn einen die Standlfrauen vom Viktualienmarkt kennen und grüßen, dann ist man wohl Münchner Schriftsteller. Einer mit Wurzeln in der Lüneburger Heide.
Berlin wäre jetzt aber nicht eine Option für Sie gewesen in den letzten Jahren?
Doch, schon. Berlin ist ein spannendes Dauerereignis. Vor einigen Jahren dachte ich noch, wenn man in Berlin lebt, schreibt man Wichtigeres, aber das ist völliger Unsinn. Und an dieser Vision sind viele gescheitert, deren Namen wir nicht mehr kennen: Die Gleichung Metropole = Geist stimmt nicht zwangsläufig. Es gab auch Jean Paul in Bayreuth und Goethe und Schiller in Weimar, Storm in Husum. Die Größe des Ortes bedingt nicht die Qualität des Geschriebenen, und ich bin hier fest verankert, obwohl ein Satz von Fernando Pessoa mich weiterhin betört: „Ich möchte jeder Mensch an jedem Ort zu jeder Zeit sein.“ Das geht einem auch auf Lesereisen so. In Baden-Baden, wo ich mir denke: Ist das schön, bezaubernd, hier möchte ich leben. Oder Dresden vor Pegida – ich dachte mir, hier könnte ich wohnen. Viele Orte haben ihre eigene Magie, aber bei der Arbeit kommt es auf meinen Schreibtisch in meiner Zimmerecke an, dann wird anderes unwichtig.
Aber was ist dann aus dieser spannenden Anfangsphase geworden? Wie kann man das kulturelle Leben in München aktuell beurteilen?
Das kann ich nicht so recht beurteilen. Erstens bin ich selbst älter geworden und nicht mehr Tag und Nacht unterwegs. Das kulturelle Angebot Münchens ist so groß, dass man es niemals bewältigen kann. Ich brauche keine Orte, in denen noch mehr nicht zu bewältigen ist. Entscheidende Debatten um das Neue, die Ästhetik finden überall kaum mehr statt. Auch in Berlin leben die Schriftsteller vereinzelt. Sie leben überall vereinzelt. Zu meiner Zeit begann schon massiv diese Vereinzelung; dass man nur noch Kämpfer für seine eigene Sache war, keine geistigen Zusammenschlüsse mehr. Der Haffmans Verlag hatte noch den Hauch einer Schule. Der Solipsismus nimmt rundum, im Leben aller, zu: Ich erzähle meine Geschichte und rühr mich nicht an. Ein gesellschaftliches Programm der Literatur gibt es wohl kaum mehr. Das ist Freiheit, aber auch bitter. Die künstlerische Ausdünnung Münchens – Maler, Fotografen, Filmemacher – beunruhigt mich sehr. Die Stadt wird immer größer und womöglich immer langweiliger. München ist teuer, saturiert. Wenn man als junger Mensch sagt: Ich will mich selbst verwirklichen in dem und dem Bereich, geht man nicht mehr nach München. Von der Filmhochschule, die perfekt ausgestattet ist, weiß ich es. Sie haben Studenten, die ihre Seminare absolvieren und nach Berlin pendeln, weil sie dort wohnen. Der Nachwuchs besteht aus höheren Töchtern und Söhnen Schwabings. – Man kann nicht entgegensteuern. Es ist eine durchsanierte Stadt. Berlin auch mehr und mehr, aber es hat halt noch dunkle Stellen. Die Künste brauchen unausgeleuchtete Orte. Die gibt es hier nicht mehr. Leipzig ist natürlich wegen der Räume und der Ateliers für Fotografen, Maler sehr attraktiv. – Ich selbst habe genug Gesprächsmöglichkeiten in München. Aber mir tut es weh, dass so wenig künstlerischer Nachwuchs nach München kommt, die Zahl origineller Menschen immer kleiner wird. Wo sind noch angenehme Verrückte, Draufgänger, Phantasten?
Wie ist Ihr Verhältnis zur Gegenwartsliteratur? Wie begreifen Sie als gegenwärtiger Autor Ihre Stellung im Literaturbetrieb?
Wenn man sich selbst definiert, klingt das immer scheinbar vermessen. Mein Verhältnis zur Gegenwartsliteratur ist vielfältig. Ich lese nicht genug.
Sie lesen aber viel?
Ich lese meist Sachbücher, denn Romane schreibe ich selbst. – Viele Bücher von Kollegenfreunden kann ich erst nach Monaten lesen; es erscheint so viel. Und wie jeder Kritiker, Lektor und Buchhändler sagt: Es ist nicht annähernd zu schaffen, was auf den Markt gestoßen wird. Wie ich mich selbst darin sehe? Wie ein altes Kampfross, noch nicht Dinosaurier.
Wieso Kampf?
Jedes Buch ist ein Kampf im Schreiben, und es ist nolens volens zu positionieren in der Öffentlichkeit. Dass ich offenbar, in Ton und Themen, eine Unverwechselbarkeit habe, die sich behauptet hat, erfreut natürlich. Ich selbst weiß über mich vielleicht nicht das Richtige, und ich nehme nichts für garantiert. Wer weiß, vielleicht gibt es noch einen radikalen Schwenk im Schaffen? Ich werde jetzt sicherlich keinen vierten Nobelpreisträgerroman schreiben. Ein dritter würde mich schon reizen: über André Gide. Ich habe mich aber immer auch von Etikettierungen wieder entfernt, glaube ich. Lange wurde mir das Ewig-Heitere nachgesagt, nur ich selbst weiß und wenige wissen, wie ich zur Melancholie neige. Vielleicht schützt Kunst vor Verzweiflung.
Eine letzte Frage kurz vor unserer Tagung zu Ihrem Werk: Wie fühlt es sich als Autor an, jetzt literaturwissenschaftlich bearbeitet zu werden?
Ich versuche, darüber gar nicht nachzudenken. Es ist eine unglaubliche Ehrung. Es würde mir eine große Freude machen, wenn dort freie Geister sich äußern, und Geschriebenes auch Anregung für weiterreichende Gedanken ist. Die Zufälle des Lebens haben es so ergeben, dass in diesem Falle ich ein thematischer Auslöser bin. Da bin ich ganz demütig. Es passt dann letztlich doch zum Beständigbleiben, zum Durchhalten, zum Arbeiten, zum Einer-Sache-treu-Bleiben, in dem Falle der Literatur und den Geschichten. Wenn man – das ist ja alles auch Zufall – weiterlebt, dann ergibt sich so etwas, eine Tagung zum Beispiel oder die Aufnahme in Schullesebücher, wofür man dankbar sein darf. Es ist vielleicht ein Apfelbaum, den ich irgendwo gepflanzt habe, und jetzt pflücken Passanten die Äpfel und probieren, ob sie gut sind.
Herzlichen Dank für das Gespräch. Die Freude und Ehre, diese Tagung veranstalten zu dürfen, liegt auf unserer Seite.
Zweiter Teil des Gesprächs mit Hans Pleschinski am 30. April 2018 am Institut für Deutsche Philologie der LMU. Ende.
Gespräch mit Hans Pleschinski anlässlich der Tagung zu seinem Werk (Teil II)>
Im Januar 2018 erschien der Roman Wiesenstein des Münchner Autors Hans Pleschinski. Das Buch erzählt die letzte Lebensphase des Schriftstellers Gerhart Hauptmann und sorgte nach dem Thomas-Mann-Roman Königsallee (2013) wieder für große Aufmerksamkeit bei Publikum und Medien. Zum vielfältigen Gesamtwerk von Hans Pleschinski findet am 15. Juni 2018 eine öffentliche und interdisziplinär ausgerichtete Tagung unter dem Titel „Eleganz und Eigensinn. Das Werk von Hans Pleschinski“ in den Räumen der Monacensia im Hildebrandhaus statt. Das Literaturportal Bayern wird darüber berichten. Im Vorfeld der Tagung haben die Organisatoren Dr. Laura Schütz und Dr. Kay Wolfinger (beide LMU München) den Autor Hans Pleschinski interviewt. Hier nun der zweite Teil des Gesprächs ...
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Und wie ist Ihr Verhältnis zu anderen Gattungen, also Lyrik zum Beispiel oder Drama? Haben Sie das mal dezidiert probiert oder weiter ausweiten wollen?
Hans Pleschinski: Ich habe früher Gedichte geschrieben. Schon als Schüler, alljährlich am und über den 13. Februar, den Untergang Dresdens: Klagegedicht über den Untergang des Schönen. Es gibt einiges an Lyrik. Ist davon irgendwas veröffentlicht? Kann sein in irgendeiner Jugendzeitschrift. Lyrik ist das Feinste – ich weiß es ohne Neid –, entweder man ist lyrisch oder weniger. Man muss auch zum Dramatiker geboren sein. Und eine Gattung wird einen vollkommen aufsaugen. Als Prosaautor mit manchmal ironischem Einschlag kann man fast keine Gedichte schreiben. Ich brauche die Facettierungen der Prosa, mehrere Menschen; das versetzt mich in Spannung. Ich muss Geschichten, Gespräche, Situationen aufschreiben, und das wird dann zwangsläufig ein Roman. Obwohl ich mir auch vorstellen kann – ich meine, die Bücher könnte man gut verfilmen –, die Bücher zu Dramen umzuarbeiten. Aber dazu fehlt mir die Energie. Zum Beispiel beim Roman Leichtes Licht habe ich mir gedacht, dass es ein wunderbares Einpersonenstück fürs Theater wäre. Doch das verlangt einige Mühe, und neue Themen rufen.
Wie verhält sich das Leichte Licht zu Ihrem Gesamtwerk? Es fällt ja doch ein wenig heraus.
Mein Frauenroman ... Das Buch sollte sonnig und duftig werden. Das hatte ich schon immer vor: Ein Buch, das schwebend ist. Das war ein früher Wunsch. Es ist eine Novelle ohne besonderes Ereignis. Ein gleitendes Geschehnis, eine junge, gestresste Frau, die an den Strand will. Das Geschehnis ist, dass nichts geschieht, wie wunderbar. Leichtes Licht ist eine pure Novelle, derzeit muss aber alles Roman genannt werden.
Aber Novelle ohne Handlung …
Als theoretischer Widerspruch gegen Paul Heyses Theorie, eine Novelle handle einen besonders merkwürdigen Fall ab. – Leichtes Licht hat auch zu tun mit dem inneren Zerfließen der Menschen heutzutage, wo es selten krasse Schicksalseinbrüche gibt, in unserem Frieden, in unserem Wohlstand; alles fließt und zerfließt. Das Buch hat dennoch möglicherweise ein bitteres Ende: Christine Perlacher liegt am Strand und möchte nur noch ein leichtes Nichts sein. Das ähnelt fast einem Todeswunsch. Aber sie bittet jemanden um Feuer, und das Leben geht weiter. Insofern ist Leichtes Licht ambivalent, wie auch Brabant. Eine schätzenswerte Bekannte hat Brabant dreimal gelesen und sagte mir, sie habe es zuerst als Komödie gelesen, dann als Tragikomödie und schließlich als Tragödie, als Tragödie Europas, das verzagt und keine kulturelle Utopie mehr hat, möglicherweise. Wie kann man Leichtes Licht in eine Werkphase einordnen? Vielleicht gar nicht. Aber das macht nichts. Den Holzvulkan kann man auch nicht präzise einordnen. Eine postmoderne Rückgewinnung deutscher Geschichte.
Können Sie noch etwas zu Ihren Herausgeberschaften sagen bzw. zu Ihren Übersetzungen aus dem Französischen. Welchen Stellenwert in Ihrem Werk hat dieses Zurücktreten Ihrer Person als Autor und die Vermittlung und Bewahrung einer anderen Stimme?
Übersetzen und Herausgeben sind für mich Erholung, eine Reise in fremde Welten. Geschichte ist für mich ein spannender, entdeckungswerter Kontinent. Im Geschichtlichen verschränkt sich oft das Phantastische mit dem Wirklichen. Damit zu arbeiten, bedeutet Freude; ich muss nicht meine eigene Substanz ausschlachten, Romane fordern oft das Letzte ab, man muss sich beinahe selbst ausweiden. In den geschichtlichen Werken kann ich, falls alles glückt, den Leser mit auf Reisen nehmen. Im Von der Heydt-Museum im Wuppertal soll ab Oktober eine große Croÿ-Ausstellung stattfinden. Der Museumsleiter war von dem Buch so begeistert, dass er eine Ausstellung plant ‚Im Licht der Aufklärung‘ anhand der Memoiren des Herzogs von Croÿ. Das ist ein tolles Nachleben der Bücher: Auch der Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen bleibt sozusagen ein geschriebener Palast. Auch diese Korrespondenz ermöglicht Rückgewinnung von Geschichte, Bewusstsein und Identität, Europäertum. Das ist mir natürlich neben der geistvollen Erholung ein Herzensanliegen.
War dann die E.T.A. Hoffmann-Herausgabe ein Nebenprojekt?
Das war ein Wunsch vom Hanser Verlag. Es war gut, mich in etwas zu vertiefen, das mir bisher nicht so geläufig war, und es half mir, Zeit zu überbrücken bis zu einem Roman. Dass man präsent bleibt. Ich kann nichts gegen das Buch sagen. Ich selbst wäre nicht darauf gekommen, doch der Verlag meinte, es gebe schon länger keine neue Hoffmann-Anthologie mehr und ich könnte diese frei zusammenstellen. Wunderbar. Das Buch ist auch sehr schön gestaltet, und ich durfte E.T.A Hoffmann besser kennenlernen. Ich hatte auch Lesungen damit, die nicht einfach waren, denn es ist sehr schwer, Hoffmanns Traumgeschichten laut zu lesen. Er ist ein Gigant der Literatur, unerreicht in seiner Weise, bedeutend in der Nachwirkung.
Es ist ja immer auch eine Interpretation, wenn man es laut liest.
Das zum einen. Seine Sätze sind komplex, und dieses Realistisch-Gespenstische vorzutragen und Dinge in der Schwebe zu lassen ... Es gibt kaum gut eingelesene E.T.A. Hoffmann-Geschichten.
Auch die Verfilmung vom Sandmann von 1992 ist gruselig.
Das glaube ich. Das ist sicher mit gutem Willen gemacht, aber Jacques Offenbachs Oper ist dann wahrscheinlich noch die beste Umsetzung von Hoffmanns Phantasien. Mit Musik ist vieles möglich. Aber das ist ja auch herrlich, wenn ein Schriftsteller nicht dingfest zu machen ist.
Sollen wir noch auf München zu sprechen kommen? Fühlen Sie sich denn mittlerweile als Münchner Schriftsteller? Da Sie ja als Zugezogener mittlerweile als Münchner Autor wahrgenommen werden durch Ihre Rolle in der Akademie, durch Ihre Arbeit für den Bayerischen Rundfunk, als Verfasser eines München-Romans mit Das Bildnis eines Unsichtbaren, durch Ludwigshöhe?
Als ich nach München kam, war es die heimliche Hauptstadt Deutschlands. Es war magnetisch. Hier geschah künstlerisch anscheinend alles. Berlin war auf dem absteigenden Ast. München schien natürlich ein Teil Deutschlands zu sein, aber auch schon Italien. Es war verlockend, was hier geschah, auch im Film, und wieviele Schriftsteller hier lebten! Es war ein geistiger Motor der Bundesrepublik. Auch in der bildenden Kunst. Ich hab ja einige Zeit in einer Galerie gearbeitet. Wer hier alles ausstellte und malte! Das war faszinierend. Ingmar Bergman war Regisseur am Residenztheater, in Fassbinder-Filmen konnte ich als Komparse dabeisein und lernte auch dessen fulminanten Künstlerkreis gut kennen. Freddie Mercury, der nebenan wohnte. Bayern selbst hab ich jahrelang kaum wahrgenommen. Ich habe nur in der Münchner Innenstadt gelebt. Bayerisches war mir suspekt. Von Norddeutschland aus gesehen war die bayerische Mentalität nicht attraktiv. Es war damals auch ein eher armes Bundesland im Vergleich zu Niedersachsen, das Länderfinanzausgleich in den Süden zahlte, sogar Bremen tat das. Die Münchner Innenstadt war wie ein Salon. Unendlich reich Tag und Nacht an Begegnungen und Geschehnissen. Man war stolz in München zu sein und sich hier selbstzuverwirklichen. Es war auch schick und avantgardistisch. Bayern lernte ich erst nach fünf, sechs Jahren kennen und war dem verbreiteten Irrtum aufgesessen, dass es besonders dumpf sei. Ich halte es längst für eine der europäischsten Regionen Deutschlands. Auch durch die keltische, römische Vergangenheit und alle europäischen Verknüpfungen seit Jahrhunderten. Das ist hochbeeindruckend, und das Land nahm dann auch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Als ich hierher kam, waren Passau und Regensburg finster, finster. Das hat sich kolossal geändert. Jetzt bin ich Münchner Schriftsteller, was ja schon Rarität geworden ist, weil so viele Kollegen in Berlin leben. Bei Reisen bin ich zum Verteidiger Münchens geworden. Ich weiß ja, wer weggezogen ist: Rainald Goetz, Ulrike Draesner, Helmut Krausser und und ... Ein immenser Aderlass. Nun, wenn einen die Standlfrauen vom Viktualienmarkt kennen und grüßen, dann ist man wohl Münchner Schriftsteller. Einer mit Wurzeln in der Lüneburger Heide.
Berlin wäre jetzt aber nicht eine Option für Sie gewesen in den letzten Jahren?
Doch, schon. Berlin ist ein spannendes Dauerereignis. Vor einigen Jahren dachte ich noch, wenn man in Berlin lebt, schreibt man Wichtigeres, aber das ist völliger Unsinn. Und an dieser Vision sind viele gescheitert, deren Namen wir nicht mehr kennen: Die Gleichung Metropole = Geist stimmt nicht zwangsläufig. Es gab auch Jean Paul in Bayreuth und Goethe und Schiller in Weimar, Storm in Husum. Die Größe des Ortes bedingt nicht die Qualität des Geschriebenen, und ich bin hier fest verankert, obwohl ein Satz von Fernando Pessoa mich weiterhin betört: „Ich möchte jeder Mensch an jedem Ort zu jeder Zeit sein.“ Das geht einem auch auf Lesereisen so. In Baden-Baden, wo ich mir denke: Ist das schön, bezaubernd, hier möchte ich leben. Oder Dresden vor Pegida – ich dachte mir, hier könnte ich wohnen. Viele Orte haben ihre eigene Magie, aber bei der Arbeit kommt es auf meinen Schreibtisch in meiner Zimmerecke an, dann wird anderes unwichtig.
Aber was ist dann aus dieser spannenden Anfangsphase geworden? Wie kann man das kulturelle Leben in München aktuell beurteilen?
Das kann ich nicht so recht beurteilen. Erstens bin ich selbst älter geworden und nicht mehr Tag und Nacht unterwegs. Das kulturelle Angebot Münchens ist so groß, dass man es niemals bewältigen kann. Ich brauche keine Orte, in denen noch mehr nicht zu bewältigen ist. Entscheidende Debatten um das Neue, die Ästhetik finden überall kaum mehr statt. Auch in Berlin leben die Schriftsteller vereinzelt. Sie leben überall vereinzelt. Zu meiner Zeit begann schon massiv diese Vereinzelung; dass man nur noch Kämpfer für seine eigene Sache war, keine geistigen Zusammenschlüsse mehr. Der Haffmans Verlag hatte noch den Hauch einer Schule. Der Solipsismus nimmt rundum, im Leben aller, zu: Ich erzähle meine Geschichte und rühr mich nicht an. Ein gesellschaftliches Programm der Literatur gibt es wohl kaum mehr. Das ist Freiheit, aber auch bitter. Die künstlerische Ausdünnung Münchens – Maler, Fotografen, Filmemacher – beunruhigt mich sehr. Die Stadt wird immer größer und womöglich immer langweiliger. München ist teuer, saturiert. Wenn man als junger Mensch sagt: Ich will mich selbst verwirklichen in dem und dem Bereich, geht man nicht mehr nach München. Von der Filmhochschule, die perfekt ausgestattet ist, weiß ich es. Sie haben Studenten, die ihre Seminare absolvieren und nach Berlin pendeln, weil sie dort wohnen. Der Nachwuchs besteht aus höheren Töchtern und Söhnen Schwabings. – Man kann nicht entgegensteuern. Es ist eine durchsanierte Stadt. Berlin auch mehr und mehr, aber es hat halt noch dunkle Stellen. Die Künste brauchen unausgeleuchtete Orte. Die gibt es hier nicht mehr. Leipzig ist natürlich wegen der Räume und der Ateliers für Fotografen, Maler sehr attraktiv. – Ich selbst habe genug Gesprächsmöglichkeiten in München. Aber mir tut es weh, dass so wenig künstlerischer Nachwuchs nach München kommt, die Zahl origineller Menschen immer kleiner wird. Wo sind noch angenehme Verrückte, Draufgänger, Phantasten?
Wie ist Ihr Verhältnis zur Gegenwartsliteratur? Wie begreifen Sie als gegenwärtiger Autor Ihre Stellung im Literaturbetrieb?
Wenn man sich selbst definiert, klingt das immer scheinbar vermessen. Mein Verhältnis zur Gegenwartsliteratur ist vielfältig. Ich lese nicht genug.
Sie lesen aber viel?
Ich lese meist Sachbücher, denn Romane schreibe ich selbst. – Viele Bücher von Kollegenfreunden kann ich erst nach Monaten lesen; es erscheint so viel. Und wie jeder Kritiker, Lektor und Buchhändler sagt: Es ist nicht annähernd zu schaffen, was auf den Markt gestoßen wird. Wie ich mich selbst darin sehe? Wie ein altes Kampfross, noch nicht Dinosaurier.
Wieso Kampf?
Jedes Buch ist ein Kampf im Schreiben, und es ist nolens volens zu positionieren in der Öffentlichkeit. Dass ich offenbar, in Ton und Themen, eine Unverwechselbarkeit habe, die sich behauptet hat, erfreut natürlich. Ich selbst weiß über mich vielleicht nicht das Richtige, und ich nehme nichts für garantiert. Wer weiß, vielleicht gibt es noch einen radikalen Schwenk im Schaffen? Ich werde jetzt sicherlich keinen vierten Nobelpreisträgerroman schreiben. Ein dritter würde mich schon reizen: über André Gide. Ich habe mich aber immer auch von Etikettierungen wieder entfernt, glaube ich. Lange wurde mir das Ewig-Heitere nachgesagt, nur ich selbst weiß und wenige wissen, wie ich zur Melancholie neige. Vielleicht schützt Kunst vor Verzweiflung.
Eine letzte Frage kurz vor unserer Tagung zu Ihrem Werk: Wie fühlt es sich als Autor an, jetzt literaturwissenschaftlich bearbeitet zu werden?
Ich versuche, darüber gar nicht nachzudenken. Es ist eine unglaubliche Ehrung. Es würde mir eine große Freude machen, wenn dort freie Geister sich äußern, und Geschriebenes auch Anregung für weiterreichende Gedanken ist. Die Zufälle des Lebens haben es so ergeben, dass in diesem Falle ich ein thematischer Auslöser bin. Da bin ich ganz demütig. Es passt dann letztlich doch zum Beständigbleiben, zum Durchhalten, zum Arbeiten, zum Einer-Sache-treu-Bleiben, in dem Falle der Literatur und den Geschichten. Wenn man – das ist ja alles auch Zufall – weiterlebt, dann ergibt sich so etwas, eine Tagung zum Beispiel oder die Aufnahme in Schullesebücher, wofür man dankbar sein darf. Es ist vielleicht ein Apfelbaum, den ich irgendwo gepflanzt habe, und jetzt pflücken Passanten die Äpfel und probieren, ob sie gut sind.
Herzlichen Dank für das Gespräch. Die Freude und Ehre, diese Tagung veranstalten zu dürfen, liegt auf unserer Seite.
Zweiter Teil des Gesprächs mit Hans Pleschinski am 30. April 2018 am Institut für Deutsche Philologie der LMU. Ende.