Nora Gomringer über den Sexismusverdacht gegen ein Gedicht ihres Vaters Eugen Gomringer
Der Allgemeine Studierendenausschuss der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin will ein Gedicht Eugen Gomringers von der Fassade entfernen lassen, da es angeblich Frauen herabsetzt. Eugen Gomringer, der 2011 mit dem Poetik-Preis der Hochschule ausgezeichnet wurde, hat eine Wand des Gebäudes mit spanischen Versen gestaltet. Übersetzt lauten sie: alleen / alleen und blumen / blumen / blumen und frauen / alleen / alleen und frauen / alleen und blumen und frauen und / ein bewunderer. Das Gedicht erschien ursprünglich 1953 in der Zeitschrift Spirale.
Im vergangenen Jahr forderte der AStA der Hochschule in einem offenen Brief, das Gedicht zu entfernen, da es in seinem Bewunderungsgestus u.a. wirke „wie eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können“. So befürchte man durch das Gedicht eine „Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht“. Bis Mitte Oktober ist die Neugestaltung der Fassade nun ausgeschrieben.
Die umrissene Wahrnehmung und die Pläne zur Umgestaltung haben bereits Widerspruch erfahren. Der Rektor der Hochschule, Uwe Bettig, teilt die Ansicht, des AStA, dass die Zeilen zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führen, „in keinster Weise“. Die B.Z. spricht von Zensur durch eine „Art politischer Studentenpolizei“.
Als Erfinder der Konkreten Poesie zählt Eugen Gomringer, der 92 Jahre alt ist, zu den bedeutendsten lebenden Dichtern unseres Sprachraums. Seine Tochter ist die vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin Nora Gomringer. Mit ihr sprachen wir über die Debatte.
*
Literaturportal Bayern: Können Sie die fragliche Wahrnehmung des Gedichts Ihres Vaters nachvollziehen?
Nora Gomringer: Nein.
Welche Rolle spielen möglicherweise außerliterarische Kriterien? Offenbar fühlten sich ja Vertreter der Studierenden bei der ursprünglichen Entscheidung zur Gestaltung des Gebäudes übergangen. Wofür Eugen Gomringer nichts kann.
Das sehe ich auch so. Und vor allem kann dieser Text nichts dafür, und er kann schon dreimal nicht die Dinge, die den Frauen und Männern des AStA daran so aufstoßen. Er kann nicht aufhetzen. Höchstens die Mundwinkel. Ich muss immer schmunzeln, wenn ich ihn lese, denn er ist wie ein verführerisches Musikstück. Rhythmisch, einfach, trotzdem pfiffig und gekonnt.
Die Wahrnehmung des Gedichts als weibliche Herabsetzung ist, gelinde gesagt, strittig. Selbst der Rektor der Hochschule teilt den Vorwurf nicht. Im Zweifelsfall für die Sichtbarkeit von Kunst – gilt das nicht mehr?
Auf jeden Fall gilt: Jeder darf mitmischen, und das bricht der Kunst immer den Hals. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Kunst immer das Urteil und die Urteilsfähigkeit weniger zu einer bestimmten Zeit repräsentiert. Hardliner sagen: Kunst braucht Diktatur. Ich sage: Entscheidungsfreude und Line reichen erstmal. Hier hatte man beides bewiesen. Und zupft nun mit der „Verschnupftheit“ der 13. Fee aka „Ich wurde nicht zur Fassadengestaltung befragt“ Fadenscheiniges aus dem Ärmel, um ein gefasstes Urteil zu revidieren. Ich finde nicht, dass wir alle zu jeder Zeit dazu das Recht haben, bin aber irgendwie froh, dass das jetzt aufkommt und nicht etwa, wenn mein Vater längst verstorben ist.
Die Verleihung des Preises an Ihren Vater stand nie in der Kritik. Trotzdem soll nun die Fassade neu- oder umgestaltet werden, eine Ausschreibung läuft. Nichts davon war ursprünglich so abgesprochen oder geplant. Wird hier ein bedeutender Schriftsteller diskreditiert?
Hier wird ein bedeutender Dichter, der einzige genuine Erfinder einer Untergattung in der deutschsprachigen Literatur seit dem Zweiten Weltkrieg, abgewatscht. Ich verstehe aber nicht, warum nicht mehr – gerade im Multi-Kulti-Berlin – sich wehren.
Momentan ist im Literaturbetrieb vermehrt von Sexismus die Rede, etwa in der Diskussion um Strukturen und Habitus an Schreibschulen. Sehen Sie in Hinblick auf das Gedicht Ihres Vaters die Gefahr einer Übersensibilisierung?
Sensibel auf den Holocaust: gut. Sensibel gegen rechts: gut. Es ist schon gut, wenn wir Frühwarnsysteme ausbilden. Aber Sprache muss diskutiert, nicht überstrichen, verändert, abgeschmeckt werden mit Prisen von Fair-weather-Feminism und Zensur.
Und Kunstwerke … was denken sich eigentlich alle Konsumenten von Kunst so? Dass das alles „fun and games“ ist? Ein Gedicht besitzt Autonomie. Ein Freund hat meinem Vater geraten, sich die Neusumme für zwei Jaguare zu ermitteln und die als Wiedergutmachung vom AStA zu verlangen. Fänd ich gut.
Wie hat Ihr Vater auf die Vorwürfe reagiert?
Wir haben uns nicht gesprochen. Meine Mutter schickt mir SMS oder wir chatten. Sie sagt, es schwankt alles zwischen Empörung, Fassungslosigkeit und Amüsiertheit. Mein Vater hat einen sehr vollen Kalender für einen 92-Jährigen. Er hat zum Glück Themen, die ihn ablenken. Gerade scheint er zu recherchieren, wie teuer zwei Jaguare …
Nora Gomringer über den Sexismusverdacht gegen ein Gedicht ihres Vaters Eugen Gomringer>
Der Allgemeine Studierendenausschuss der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin will ein Gedicht Eugen Gomringers von der Fassade entfernen lassen, da es angeblich Frauen herabsetzt. Eugen Gomringer, der 2011 mit dem Poetik-Preis der Hochschule ausgezeichnet wurde, hat eine Wand des Gebäudes mit spanischen Versen gestaltet. Übersetzt lauten sie: alleen / alleen und blumen / blumen / blumen und frauen / alleen / alleen und frauen / alleen und blumen und frauen und / ein bewunderer. Das Gedicht erschien ursprünglich 1953 in der Zeitschrift Spirale.
Im vergangenen Jahr forderte der AStA der Hochschule in einem offenen Brief, das Gedicht zu entfernen, da es in seinem Bewunderungsgestus u.a. wirke „wie eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können“. So befürchte man durch das Gedicht eine „Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht“. Bis Mitte Oktober ist die Neugestaltung der Fassade nun ausgeschrieben.
Die umrissene Wahrnehmung und die Pläne zur Umgestaltung haben bereits Widerspruch erfahren. Der Rektor der Hochschule, Uwe Bettig, teilt die Ansicht, des AStA, dass die Zeilen zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führen, „in keinster Weise“. Die B.Z. spricht von Zensur durch eine „Art politischer Studentenpolizei“.
Als Erfinder der Konkreten Poesie zählt Eugen Gomringer, der 92 Jahre alt ist, zu den bedeutendsten lebenden Dichtern unseres Sprachraums. Seine Tochter ist die vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin Nora Gomringer. Mit ihr sprachen wir über die Debatte.
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Literaturportal Bayern: Können Sie die fragliche Wahrnehmung des Gedichts Ihres Vaters nachvollziehen?
Nora Gomringer: Nein.
Welche Rolle spielen möglicherweise außerliterarische Kriterien? Offenbar fühlten sich ja Vertreter der Studierenden bei der ursprünglichen Entscheidung zur Gestaltung des Gebäudes übergangen. Wofür Eugen Gomringer nichts kann.
Das sehe ich auch so. Und vor allem kann dieser Text nichts dafür, und er kann schon dreimal nicht die Dinge, die den Frauen und Männern des AStA daran so aufstoßen. Er kann nicht aufhetzen. Höchstens die Mundwinkel. Ich muss immer schmunzeln, wenn ich ihn lese, denn er ist wie ein verführerisches Musikstück. Rhythmisch, einfach, trotzdem pfiffig und gekonnt.
Die Wahrnehmung des Gedichts als weibliche Herabsetzung ist, gelinde gesagt, strittig. Selbst der Rektor der Hochschule teilt den Vorwurf nicht. Im Zweifelsfall für die Sichtbarkeit von Kunst – gilt das nicht mehr?
Auf jeden Fall gilt: Jeder darf mitmischen, und das bricht der Kunst immer den Hals. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Kunst immer das Urteil und die Urteilsfähigkeit weniger zu einer bestimmten Zeit repräsentiert. Hardliner sagen: Kunst braucht Diktatur. Ich sage: Entscheidungsfreude und Line reichen erstmal. Hier hatte man beides bewiesen. Und zupft nun mit der „Verschnupftheit“ der 13. Fee aka „Ich wurde nicht zur Fassadengestaltung befragt“ Fadenscheiniges aus dem Ärmel, um ein gefasstes Urteil zu revidieren. Ich finde nicht, dass wir alle zu jeder Zeit dazu das Recht haben, bin aber irgendwie froh, dass das jetzt aufkommt und nicht etwa, wenn mein Vater längst verstorben ist.
Die Verleihung des Preises an Ihren Vater stand nie in der Kritik. Trotzdem soll nun die Fassade neu- oder umgestaltet werden, eine Ausschreibung läuft. Nichts davon war ursprünglich so abgesprochen oder geplant. Wird hier ein bedeutender Schriftsteller diskreditiert?
Hier wird ein bedeutender Dichter, der einzige genuine Erfinder einer Untergattung in der deutschsprachigen Literatur seit dem Zweiten Weltkrieg, abgewatscht. Ich verstehe aber nicht, warum nicht mehr – gerade im Multi-Kulti-Berlin – sich wehren.
Momentan ist im Literaturbetrieb vermehrt von Sexismus die Rede, etwa in der Diskussion um Strukturen und Habitus an Schreibschulen. Sehen Sie in Hinblick auf das Gedicht Ihres Vaters die Gefahr einer Übersensibilisierung?
Sensibel auf den Holocaust: gut. Sensibel gegen rechts: gut. Es ist schon gut, wenn wir Frühwarnsysteme ausbilden. Aber Sprache muss diskutiert, nicht überstrichen, verändert, abgeschmeckt werden mit Prisen von Fair-weather-Feminism und Zensur.
Und Kunstwerke … was denken sich eigentlich alle Konsumenten von Kunst so? Dass das alles „fun and games“ ist? Ein Gedicht besitzt Autonomie. Ein Freund hat meinem Vater geraten, sich die Neusumme für zwei Jaguare zu ermitteln und die als Wiedergutmachung vom AStA zu verlangen. Fänd ich gut.
Wie hat Ihr Vater auf die Vorwürfe reagiert?
Wir haben uns nicht gesprochen. Meine Mutter schickt mir SMS oder wir chatten. Sie sagt, es schwankt alles zwischen Empörung, Fassungslosigkeit und Amüsiertheit. Mein Vater hat einen sehr vollen Kalender für einen 92-Jährigen. Er hat zum Glück Themen, die ihn ablenken. Gerade scheint er zu recherchieren, wie teuer zwei Jaguare …