Die Villa-Concordia-Stipendiatin Lila Konomara über das Schreiben und Übersetzen
Die griechische Schriftstellerin und Übersetzerin Lila Konomara ist dieses Jahr Stipendiatin der Villa Concordia in Bamberg. Die gebürtige Athenerin wird von April bis September 2017 im Internationalen Künstlerhaus leben und arbeiten. 2002 veröffentlichte sie mit dem Novellen-Diptychon Makao ihr erstes literarisches Werk, das ihr direkt einen Platz in der Shortlist des Griechischen Staatspreises für Erzählung einbrachte. Zwei Jahre darauf erschienen ihr Roman Tésseris Epochés – Leptomereia („Vier Jahreszeiten – Detail“) sowie der Kinderroman Stis 11 kai 11 akrivós („Genau um 11 Uhr 11“). Danach erschienen I Anaparastassi (Die Rekonstruction, 2009) und To Dipno (The Dinner, 2012). Ihr vorläufig letzter Roman, I Anisihies tou Geometri ("The worries of the geometer"), erschien 2014. Das Literaturportal Bayern hat mit Lila Konomara über ihre Arbeit gesprochen.
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LITERATURPORTAL BAYERN: Frau Konomara, Sie schreiben auf Griechisch und übersetzen aus dem Französischen. Ist Ihre Art des Schreibens von der Übersetzertätigkeit beeinflusst?
LILA KONOMARA: Ich übersetze nicht oft, und wenn ich es doch tue, wähle ich das Buch selbst aus und schlage es dem Verleger vor. Es muss also unbedingt eine „Wahlverwandtschaft“ geben, etwas, das mich berührt und das ich wiedererkenne in der Betrachtungsweise, wie der andere die Welt wahrnimmt. Das letzte Buch, das ich übersetzt habe, war der Briefwechsel von Van Gogh, ein bemerkenswerter, bewegender Text, von unerhörtem intellektuellen Reichtum und Scharfsinn. Bei der Übersetzung gab es Phasen, wo der zu übersetzende Text die Oberhand gewann und meine Zeit und mein Denken völlig besetzte, und wieder andere, wo das Umgekehrte passierte und ich ganz von meinem eigenen Buch in Anspruch genommen war. Ich spürte jedenfalls, wie die beiden Texte miteinander in einen Dialog traten. Aber das passiert mir auch, wenn ich bloß ein gutes Buch lese. Ist nicht die gesamte Literatur unter der Oberfläche von Strömungen durchspült, die alle Texte verbinden? Ich unterliege mit Sicherheit dem Einfluss des übersetzten Textes, so wie jeder Schriftsteller unter dem Einfluss anderer Texte steht. Dies ist nichts Negatives, sondern ganz im Gegenteil eine bereichernde Erfahrung. Negativ ist hingegen, wenn man den Übersetzer im übersetzten Text erkennt. Der Übersetzer darf niemals seinen eigenen Stil auf Kosten des Textstils in den Vordergrund rücken.
LITERATURPORTAL BAYERN: Sie werden in den nächsten Monaten in der Villa Concordia leben. Was haben Sie für Pläne? Woran werden Sie während des Aufenthalts arbeiten?
LILA KONOMARA: Während meines Aufenthalts in Bamberg habe ich vor, an dem Roman weiterzuarbeiten, an dem ich seit zwei Jahren schreibe, und wenn möglich, ihn zu beenden. Die Arbeitsbedingungen hier sind übrigens sehr vorteilhaft: ein sehr schönes, inspirierendes Umfeld, nicht die üblichen Ablenkungen wie zu Hause, und nette Leute, die alles tun, um einem das Leben leichter zu machen. Der Roman, um den es geht, behandelt die Themen des Übergangs und des Erinnerns. Wir alle erleben Übergangsperioden in unserem Leben, von einem Altersabschnitt zum nächsten, von einem Ort zum nächsten, von einem Gemütszustand zum nächsten oder von einer wichtigen Beziehung zur anderen. Es ist offensichtlich, dass Übergang auch Zeit meint, ein Thema, das mich generell beschäftigt. Ich nehme Zeit nicht als etwas Lineares wahr mit einem Anfang und einem Ende, sondern eher wie die alten Griechen als einen Zyklus, eine ewige Wiederholung. Aber neben dem Planvollen gibt es immer etwas Unvorhergesehenes, das durch einen beliebigen Umstand erzeugt werden kann. Es ist sehr interessant, sich selbst und die laufend stattfindenden Veränderungen zu beobachten, sowohl im Alltag als auch bei der Recherchearbeit, beginnend mit der Ankunft an einem unbekannten Ort bis hin zum Moment des Aufbruchs. Es ist eine Reise, deren Ende man nie kennt.
LITERATURPORTAL BAYERN: Leider sind Ihre Bücher noch nicht übersetzt. Bitte erzählen Sie uns, wovon Ihr letzter Roman I Anisihies tou Geometri ("The worries of the geometer") handelt. Welche Themen bewegen Sie in Ihren Romanen am meisten?
LILA KONOMARA: Mein letztes Buch ist eine Sammlung von Erzählungen, die eine „réécriture“ (Neufassung) alter Mythen verkörpern, jene vom Minotaurus und dem Labyrinth, die Mythen von Ödipus, Orpheus usw. Zwei dieser Erzählungen werden gerade ins Deutsche übertragen. Mythen behandeln bekanntermaßen Archetypen, diachrone Fragestellungen, welche die gesamte Menschheit betreffen, wie die Lebenszyklen, die Liebe, den Verlust der ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur. So kann das Labyrinth für mich das Gebäude unseres eigenen Lebens sein, in dem wir uns oft selbst einschließen, aber gleichzeitig das Oeuvre des Schriftstellers, der ein ganzes Universum konstruiert und sich in dessen unzähligen Parametern verliert. Außerdem interessiert mich die Beziehung zwischen dem Mythos und der Geschichte und wie diese den Weg Griechenlands von der Antike bis in unsere Tage prägt. Die Sprache sollte diesen Übergang von einer Epoche zu einer anderen ausdrücken, denn jeder Epoche ist ihre Sprache eigen. Man bewegt sich so von der prägnanten Sprache des Thukydides zu einer eher lyrischen Sprache, dann zu der Welt des Märchens und der Volkstradition, bis man bei der fragmentierten Sprache von heute angelangt ist. Es geht mir gleichermaßen um eine Reflexion auf das Schreiben und um ein anderes Thema, das auch häufig in meinen Büchern vorkommt: die vielfältigen Aspekte der Wirklichkeit und die Unmöglichkeit, dieser einen definitiven Sinn zuzuordnen. Das Register des Fantastischen, dessen ich mich bediene, öffnet das kompakte Gebäude des Realismus einen Spaltbreit. Es verwischt die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und führt den Zweifel ein, den Doppelsinn in der Erzählung, der auch als Allegorie gelesen werden kann, die politische, soziale oder existenzielle Fragen reflektiert.
Übersetzung des Interviews aus dem Französischen von Dr. Birgit Ziegler-Stryczek
Die Villa-Concordia-Stipendiatin Lila Konomara über das Schreiben und Übersetzen>
Die griechische Schriftstellerin und Übersetzerin Lila Konomara ist dieses Jahr Stipendiatin der Villa Concordia in Bamberg. Die gebürtige Athenerin wird von April bis September 2017 im Internationalen Künstlerhaus leben und arbeiten. 2002 veröffentlichte sie mit dem Novellen-Diptychon Makao ihr erstes literarisches Werk, das ihr direkt einen Platz in der Shortlist des Griechischen Staatspreises für Erzählung einbrachte. Zwei Jahre darauf erschienen ihr Roman Tésseris Epochés – Leptomereia („Vier Jahreszeiten – Detail“) sowie der Kinderroman Stis 11 kai 11 akrivós („Genau um 11 Uhr 11“). Danach erschienen I Anaparastassi (Die Rekonstruction, 2009) und To Dipno (The Dinner, 2012). Ihr vorläufig letzter Roman, I Anisihies tou Geometri ("The worries of the geometer"), erschien 2014. Das Literaturportal Bayern hat mit Lila Konomara über ihre Arbeit gesprochen.
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LITERATURPORTAL BAYERN: Frau Konomara, Sie schreiben auf Griechisch und übersetzen aus dem Französischen. Ist Ihre Art des Schreibens von der Übersetzertätigkeit beeinflusst?
LILA KONOMARA: Ich übersetze nicht oft, und wenn ich es doch tue, wähle ich das Buch selbst aus und schlage es dem Verleger vor. Es muss also unbedingt eine „Wahlverwandtschaft“ geben, etwas, das mich berührt und das ich wiedererkenne in der Betrachtungsweise, wie der andere die Welt wahrnimmt. Das letzte Buch, das ich übersetzt habe, war der Briefwechsel von Van Gogh, ein bemerkenswerter, bewegender Text, von unerhörtem intellektuellen Reichtum und Scharfsinn. Bei der Übersetzung gab es Phasen, wo der zu übersetzende Text die Oberhand gewann und meine Zeit und mein Denken völlig besetzte, und wieder andere, wo das Umgekehrte passierte und ich ganz von meinem eigenen Buch in Anspruch genommen war. Ich spürte jedenfalls, wie die beiden Texte miteinander in einen Dialog traten. Aber das passiert mir auch, wenn ich bloß ein gutes Buch lese. Ist nicht die gesamte Literatur unter der Oberfläche von Strömungen durchspült, die alle Texte verbinden? Ich unterliege mit Sicherheit dem Einfluss des übersetzten Textes, so wie jeder Schriftsteller unter dem Einfluss anderer Texte steht. Dies ist nichts Negatives, sondern ganz im Gegenteil eine bereichernde Erfahrung. Negativ ist hingegen, wenn man den Übersetzer im übersetzten Text erkennt. Der Übersetzer darf niemals seinen eigenen Stil auf Kosten des Textstils in den Vordergrund rücken.
LITERATURPORTAL BAYERN: Sie werden in den nächsten Monaten in der Villa Concordia leben. Was haben Sie für Pläne? Woran werden Sie während des Aufenthalts arbeiten?
LILA KONOMARA: Während meines Aufenthalts in Bamberg habe ich vor, an dem Roman weiterzuarbeiten, an dem ich seit zwei Jahren schreibe, und wenn möglich, ihn zu beenden. Die Arbeitsbedingungen hier sind übrigens sehr vorteilhaft: ein sehr schönes, inspirierendes Umfeld, nicht die üblichen Ablenkungen wie zu Hause, und nette Leute, die alles tun, um einem das Leben leichter zu machen. Der Roman, um den es geht, behandelt die Themen des Übergangs und des Erinnerns. Wir alle erleben Übergangsperioden in unserem Leben, von einem Altersabschnitt zum nächsten, von einem Ort zum nächsten, von einem Gemütszustand zum nächsten oder von einer wichtigen Beziehung zur anderen. Es ist offensichtlich, dass Übergang auch Zeit meint, ein Thema, das mich generell beschäftigt. Ich nehme Zeit nicht als etwas Lineares wahr mit einem Anfang und einem Ende, sondern eher wie die alten Griechen als einen Zyklus, eine ewige Wiederholung. Aber neben dem Planvollen gibt es immer etwas Unvorhergesehenes, das durch einen beliebigen Umstand erzeugt werden kann. Es ist sehr interessant, sich selbst und die laufend stattfindenden Veränderungen zu beobachten, sowohl im Alltag als auch bei der Recherchearbeit, beginnend mit der Ankunft an einem unbekannten Ort bis hin zum Moment des Aufbruchs. Es ist eine Reise, deren Ende man nie kennt.
LITERATURPORTAL BAYERN: Leider sind Ihre Bücher noch nicht übersetzt. Bitte erzählen Sie uns, wovon Ihr letzter Roman I Anisihies tou Geometri ("The worries of the geometer") handelt. Welche Themen bewegen Sie in Ihren Romanen am meisten?
LILA KONOMARA: Mein letztes Buch ist eine Sammlung von Erzählungen, die eine „réécriture“ (Neufassung) alter Mythen verkörpern, jene vom Minotaurus und dem Labyrinth, die Mythen von Ödipus, Orpheus usw. Zwei dieser Erzählungen werden gerade ins Deutsche übertragen. Mythen behandeln bekanntermaßen Archetypen, diachrone Fragestellungen, welche die gesamte Menschheit betreffen, wie die Lebenszyklen, die Liebe, den Verlust der ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur. So kann das Labyrinth für mich das Gebäude unseres eigenen Lebens sein, in dem wir uns oft selbst einschließen, aber gleichzeitig das Oeuvre des Schriftstellers, der ein ganzes Universum konstruiert und sich in dessen unzähligen Parametern verliert. Außerdem interessiert mich die Beziehung zwischen dem Mythos und der Geschichte und wie diese den Weg Griechenlands von der Antike bis in unsere Tage prägt. Die Sprache sollte diesen Übergang von einer Epoche zu einer anderen ausdrücken, denn jeder Epoche ist ihre Sprache eigen. Man bewegt sich so von der prägnanten Sprache des Thukydides zu einer eher lyrischen Sprache, dann zu der Welt des Märchens und der Volkstradition, bis man bei der fragmentierten Sprache von heute angelangt ist. Es geht mir gleichermaßen um eine Reflexion auf das Schreiben und um ein anderes Thema, das auch häufig in meinen Büchern vorkommt: die vielfältigen Aspekte der Wirklichkeit und die Unmöglichkeit, dieser einen definitiven Sinn zuzuordnen. Das Register des Fantastischen, dessen ich mich bediene, öffnet das kompakte Gebäude des Realismus einen Spaltbreit. Es verwischt die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und führt den Zweifel ein, den Doppelsinn in der Erzählung, der auch als Allegorie gelesen werden kann, die politische, soziale oder existenzielle Fragen reflektiert.
Übersetzung des Interviews aus dem Französischen von Dr. Birgit Ziegler-Stryczek