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06.04.2017, 14:25 Uhr
Redaktion
Gespräche

Die Schriftstellerin Julia Zange im Gespräch

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(c) Christian Werner

Julia Zange, geboren 1983, hat u.a. in München studiert und lebt seit 2006 in Berlin. 2005 gewann sie den Literaturwettbewerb Open-Mike, 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman Die Anstalt der besseren Mädchen. Neben dem literarischen Schreiben arbeitet sie als Journalistin. Auch als Schauspielerin hat sie sich einen Namen gemacht, u.a. in der Web-Serie Translantics. In ihrem neuen Roman Realitätsgewitter (Aufbau Verlag) erzählt sie von Marla, deren perfekt maskiertes Berliner Szeneleben immer brüchiger wird.

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Literaturportal Bayern: Die Veröffentlichung Ihres neuen Romans ging mit einem Paukenschlag einher. Plötzlich fanden Sie sich vor Gericht wieder. Was war passiert?

Julia Zange: Meine Eltern wussten, dass ich vorhatte, einen Roman zu schreiben, in dem ich auch persönliche Gefühle verarbeiten würde. Woraufhin sie extrem misstrauisch wurden und mir schon vorab Briefe von ihrem Anwalt schickten. Sie wollten erzwingen, dass sie das Manuskript vor der Veröffentlichung lesen durften, was ich aber auf gar keinen Fall wollte. Es ist meine künstlerische Freiheit, was ich schreibe und was nicht. Letzten Endes hat meine Mutter tatsächlich eine einstweilige Verfügung eingereicht, als das Buch herauskam. Die wurde dann aber sofort dadurch abgefedert, dass der Verlag eine Schutzschrift hatte. Es kam zwar zu einem Gerichtsverfahren, aber die einstweilige Verfügung wurde nicht vollstreckt.

Wie ist das Verfahren ausgegangen?

Für mich positiv. Es ist vorbei, und das Buch darf leben.

Es hat ja einen recht geheimnisvollen Titel, Realitätsgewitter. Was hat es damit auf sich?

Es gibt mehrere Ebenen von Gewitter in dem Buch. Einerseits das digitale Kommunikationsgewitter, in dem Marla sich die ganze Zeit befindet. Sie ist ständig vernetzt über Facebook, SMS, und die meisten ihrer Kontakte findet sie auf Facebook. Dazu kommt dieses ständige Einprasseln von digitalen Nachrichten; das ist auch eine Form von Gewitter: dass man ständig Eilmeldungen auf seinem Handy bekommt, dass man keine Ruhe mehr vor der Welt hat. Man ist die ganze Zeit online mit seinen Gedanken. Und die dritte Form von Realitätseinbruch oder Gewitter ist das, was in Marlas Familie passiert.

Im Vergleich zum ersten Roman hat sich Ihre Sprache deutlich entwickelt. Sie wirkt jetzt direkter, offener, auch schutzloser.

Ja, das stimmt. Ich glaube, früher habe ich mich noch mehr hinter der Sprache versteckt. Sie war im ersten Buch viel poetischer, aber auch nebliger und verspielter, was auch daher rührt, dass damals mein Geisteszustand noch irgendwie vernebelter war. Die Sprache spiegelt ja immer auch wider, wie man zur Welt steht, und damals habe ich mich selbst eher noch in einer Art Schutzraum befunden. In dem neuen Buch habe ich stärker versucht, Beobachtungen von Welt und Alltag sehr genau in Sprache zu übersetzen, und das ist dann deutlich ruhiger geworden und weniger verspielt.

Eine kleine Fußnote: Sie haben zwei Jahre in München gelebt, haben den Manuskriptum-Kurs von Thomas Meinecke besucht. Wie kam es überhaupt zum ersten Buch?

Ich habe damals bei Manuskriptum meine drei allerersten geschriebenen Din-A-4-Seiten eingereicht. Da waren Lektoren vom Suhrkamp Verlag, Rainer Weiss und Charlotte Brombach, mit im Kurs, und die wollten nach den drei Seiten gleich einen Roman von mir haben. Der ist dann aber erst später in Berlin entstanden.

In der Berliner Szene, die Sie beschreiben, ist viel Rollenspiel und Narzissmus spürbar. Die Hauptfigur Marla flieht irgendwann davor, geht auf eine Reise. Sie sind ja selbst auch ziemlich aktiv in der Berliner Künstlerszene. Was machen Sie denn, wenn Sie diesen Realitätsgewittern einmal entfliehen wollen?

Ganz schlechte Frage, weil: Erst letzte Nacht konnte ich zum Beispiel nicht schlafen und habe dann bis morgens um fünf auf meinem Handy herumgespielt, das hat es natürlich noch viel schlimmer gemacht. Oder ich bin nachts stundenlang auf eBay oder auf Facebook. Ich bin leider ein bisschen süchtig.

Sie leiden aber vielleicht nicht so stark darunter wie Marla.

Noch schlimmer! Gestern auf der Zugfahrt habe ich erst wieder gemerkt, wie ich ein Foto auf Instagram poste und dann alle fünf Minuten nachschaue, ob es neue Likes hat. Das ist so banal und bescheuert, aber es wirkt halt verdammt gut, wenn man all diese Likes kriegt, und es ist ja auch bewiesen, dass dabei Dopamin im Hirn ausgeschüttet wird. Andererseits kann einen das in den Wahnsinn treiben, wenn man immer wieder diese Apps öffnet, das ist einfach kein gesunder Rhythmus für den Kopf. Aber Gegenstrategien ... Fehlanzeige. Ich bin abhängig, das gebe ich jetzt einfach zu.

Sie sind auch als Schauspielerin tätig. Dieses Jahr kommen zwei Filme mit Ihnen heraus, Hauptrollen sogar. Wie passt das mit dem Schreiben zusammen?

Das sind, glaube ich, meine zwei ganz extremen Persönlichkeiten. Es gibt da eine sehr extrovertierte Seite, die ich mir im Schauspiel zugestehen darf. Beim Schreiben kommt dann eher zum Zuge, dass ich eine sehr genaue und auch stille Beobachterin sein kann. Meine Literatur entsteht immer stark aus der Beobachtung. Mich macht das Schauspielern aber auf jeden Fall glücklicher; das Schreiben ist einfach ein zu einsamer Prozess. Es ist für mich eher die schmerzvollere Seite, und deswegen wird es auch wieder ein paar Jahre dauern, bis das nächste Buch kommt. Ich kann mir das nicht so oft antun.

Was für Filme sind das, in denen wir Sie dieses Jahr sehen?

Das eine ist Mein Bruder Robert von Phililp Gröning, eigentlich auch ein Coming-of-Age-Film. Es geht um ein Zwillingsgeschwisterpaar, ich bin die Zwillingsschwester. Die beiden sind so symbiotisch miteinander verbunden, dass einer von ihnen sterben muss, damit der andere erwachsen werden kann. Das bin zum Glück nicht ich! Und der andere Film ist von Irene von Alberti: Der lange Sommer der Theorie. Das ist ein Film, in dem es um die Entdeckung von politischem Bewusstsein in unserer Zeit geht. Das wird ein intellektueller Film.

 

Mitarbeit: Sophie Obwexer