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04.10.2016, 15:33 Uhr
Redaktion
Gespräche

Interview mit der Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo – Teil I

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Sharon Dodua Otoo in Berlin © Literaturportal Bayern

Die Schriftstellerin, Publizistin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo wurde im Jahr 2016 mit dem 40. Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt ausgezeichnet. Die gebürtige Britin lebt heute in Berlin und erhielt die Auszeichnung für ihren Text Herr Gröttrup setzt sich hin, in dem sie sich satirisch mit dem Frühstücksritual eines deutschen Ehepaares auseinandersetzt – und so mit der Mentalität eines ganzen Landes. Wir treffen die Autorin einen Tag nach der ersten großen Lesung nach Klagenfurt in Berlin.

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Literaturportal Bayern: Sharon Dodua Otoo, was hat sich durch den großen Erfolg in Ihrem Leben verändert?

Sharon Dodua Otoo: Es kommen jetzt viel mehr Anfragen für Interviews und Lesungen. Als ich noch unbekannter war, habe ich mich über jede Anfrage gefreut und alles angenommen. Jetzt hätte ich keine Zeit mehr für das Schreiben, wenn ich alles zusagen würde. Die Herausforderung besteht jetzt darin, meine Zeit gut einzuteilen und einzuschätzen, was ich machen kann und will und wozu ich leider nicht mehr genug Kapazität habe. Das ist eine neue Erfahrung.

Sie arbeiten schon lange als Autorin und Aktivistin auf verschiedenen Ebenen, waren aber bisher nicht im Fokus der Aufmerksamkeit des deutschen Literaturbetriebs. Jetzt wurden Sie da von gestern auf heute „hineingeworfen“. Wie fühlt sich das an? Was bedeutet das für Ihre tägliche Arbeit?

Ich bin noch dabei, das herauszufinden. Ich habe im Moment das Gefühl, ein Doppelleben zu führen. Ich arbeite 40 Stunden bei RAA Berlin (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie e.V.). Ich bin froh, dass es dadurch immer noch einen „normalen“ Tagesablauf gibt. Ich bin immer noch Sharon und freue mich, dass mich meine Kolleginnen dabei unterstützen, auf dem Boden zu bleiben.

Und auf der anderen Seite hängen Plakate von mir in der Berliner U-Bahn. Ich staune darüber, dass es Menschen gibt, die 12 Euro für ein Ticket bezahlen, um mich lesen zu hören, während ich das die ganze Zeit über umsonst gemacht habe. Es wird noch ein bisschen dauern, bis sich das gesetzt hat.

Der Bachmann-Text erzählt, vereinfacht gesagt, eine bürgerliche Tischszene zwischen zwei Menschen aus der Sicht eines Frühstückseis, das zu sprechen beginnt. Das ist zum Teil sehr lustig, greift aber unterschwellig auch ernste Themen auf: Kommunikationsunfähigkeit, Geschlechterfragen und eine gewisse deutsche Grundhärte im Umgang miteinander. Wie kamen Sie auf diese auf den ersten Blick skurrile Idee mit dem Ei?

Der Text entstand nach einer Anfrage vor zwei Jahren: Ich sollte einen wissenschaftlichen Text zum Thema Weiß-Sein und Diskriminierung schreiben, der etwas wahrnehmbar macht, was sonst „unmarkiert“ ist. Ich habe damals gesagt, ich würde gerne versuchen, das Thema literarisch umzusetzen. So ist die Erzählung entstanden.

Ich wollte mit der Geschichte ausdrücken, wie ich weiße deutsche Männer wahrnehme: Sie haben überwiegend einen sehr sicheren Umgang mit ihrer Umwelt. Es geht immer um Wissen und Expertise. Wenn sie über Erfahrungen reden, dann haben diese immer Gewicht, weil sie diese selbst gemacht haben. Ich glaube, weiße deutsche Frauen sind weniger fest auf Wissen und Fakten fixiert. Sie machen selbst Diskriminierungserfahrungen durch Sexismus. Deswegen haben sie ein gewisses Gespür für Ambivalenzen. Das wollte ich mit den beiden Figuren im Text ausdrücken.

Mir gefiel die Idee dieser Frühstücksszene: Die beiden kochen zusammen ein Ei, die Frau weiß, dass das Ei nicht hart werden wird, aber der Mann geht fest davon aus, weil das Ei genau 7,5 Minuten gekocht hat. Ich kam lange nicht darauf, wie die Szene ausgehen könnte. Was hätte die Frau tun können, um zu verhindern, dass das Ei hart wird? Irgendwann hatte ich den Einfall, es so zu drehen, dass das Ei selbst sich geweigert hatte, hart zu werden.

Der Herr in der Geschichte heißt Gröttrup. Es gibt einen historischen Bezug bei dieser Figur, der auch den Jurorinnen und Juroren in Klagenfurt gleich aufgefallen ist. Der reale Helmut Gröttrup (1916-1981) war Raketenbauer und Ingenieur. Warum haben Sie diesen historischen Bezug eingebaut?

Die Figur sollte zeigen, wie ich den Umgang Deutschlands mit der Vergangenheit wahrnehme, speziell mit der Nazi-Vergangenheit. Ich habe das Gefühl, dass es auch weiterhin sehr schwierig bleibt, über die Verbrechen von damals zu reden und wenn das stattfindet, dann immer nur unter der Perspektive „Wir haben es überwunden“, „Das war nicht ich, das war jemand anderes“.

Für mich ist diese Figur Helmut Gröttrup auf den ersten Blick eine Person, die wir alle kennen. Das könnte unser Großvater oder Onkel sein, oder sind wir selbst so, ich nehme mich da gar nicht raus. Die Waffen, die Gröttrup entwickelt hat, wurden in KZs durch Zwangsarbeit hergestellt. Also hat er auch etwas mit den Nazi-Verbrechen zu tun. Aber wir verbinden das nicht sofort mit dem Mann in der Frühstücksszene.

Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf ihn zu zeigen, sondern eher darum, etwas anzusprechen, was wir alle potentiell in uns haben, was wir jetzt verdrängen und wozu es führen könnte, wenn wir nicht genau hinschauen. In dem Roman, an dem ich gerade schreibe, wird das noch deutlicher werden als in der Kurzgeschichte.

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Hier lesen Sie den zweiten Teil des Interviews mit der Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo im Blog des Literaturportals Bayern.