Den Bayern aufs Maul geschaut – Ein Interview mit Prof. Anthony Rowley über den bayerischen Dialekt
Das Münchner Studentenmagazin Philtrat ist Gewinner des Pro Campus Presse Awards 2015 und damit das beste Studentenmagazin Deutschlands. Bereits seit 21 Ausgaben schreiben die Studierenden hier über die Universität, Politik, Kultur, das Großstadtleben – und Literatur und Sprache:
Prof. Anthony Rowley doziert über altertümliche Dialekte, betreut an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften das Bayerische Wörterbuch und sorgt nebenbei mit seiner Sendung Host mi? für Einschaltquoten. Die Philtrat-Autoren Peter Tarras und Daniel Bayerstorfer haben mit ihm über seine Arbeit, Dialekte und „das Münchnerische“ gesprochen.
*
Herr Prof. Rowley, den Studierenden in München fehlt oft der Diridari – was ist das und wo kommt das Wort her?
„Diridari“ bedeutet Geld. Ich glaube, das ist irgendein italienischer Satz. Ich müsste allerdings kurz nachschauen. (Holt einen Stapel Blätter aus einer Schreibtischschublade.) Es ist nicht so, dass ich alles im Kopf hätte. (Liest vor.) Hoppadidl, Dimpfl, Dirndl, Ditschidatschi ... Ah, hier: Das Wort „Diridari“ ist seit etwa hundert Jahren belegt. Es findet sich zum Beispiel bei Ludwig Thoma und Oskar Maria Graf. Eigentlich heißt es „das nötige Kleingeld“. Wahrscheinlich geht es auf einen italienischen Satz wie „dare denari“ zurück, den der Bayer, der Italienisch nicht versteht, dann verballhornt hat. Wenn man „Diridari“ sagt, reibt man in der Regel Zeige- und Mittelfinger mehrmals hin und her.
Sie kommen ursprünglich aus Skipton im Norden Englands. Welchen Dialekt spricht man dort und wie kamen Sie auf das Bairische?
In Yorkshire heißt der Dialekt „Tyke“.Mein Interesse am Bairischen kam aber über das Deutschstudium, über die Sprachgeschichte und darüber, dass ich in Regensburg studiert habe, wo ich dann Dialekt lernen musste, weil unter Studenten damals das Bairische die Umgangssprache war. Der Großteil der Studenten kam aus Niederbayern oder der Oberpfalz und die große Menge hat die Minderheit majorisiert. Man hat das Bairische nicht sprechen müssen, aber wollte man mit den Leuten auf ein Bier gehen oder Alltagsgespräche führen, war der Dialekt unglaublich nützlich. Am Ende habe ich dann meine Magisterarbeit, später eine Doktorarbeit über eine Sprachinsel in Italien geschrieben habe.
Wenn Sie selbst Bairisch sprechen, welches Bairisch sprechen Sie dann?
Nachdem meine Frau das Donautalerische spricht, ist das wohl die Variante, die ich sprechen würde. Es ist natürlich schwierig, einen Dialekt zu sprechen, wenn man von außen kommt. Im Fersental in Oberitalien habe ich mich so lange aufgehalten, dass ich den Dialekt lernen musste. Das geht nicht mit Binnenbairisch, die verstehen das gar nicht. Hier habe ich mich intensiv mit der Nordoberpfalz befasst, aber ich würde nicht sagen, ich spreche diesen Dialekt. Es klänge wahrscheinlich falsch, würde ich das sprechen.
Wie wichtig ist es, einen Dialekt zu beherrschen?
Viele Leute kommen gut ohne Dialekt aus. Wenn Sie aber vom Land sind, dann sollten Sie sich einmal fragen, ob es denkbar ist, dass jemand am Stammtisch oder im Verein beschließt, ab morgen nur noch nach der Schrift zu reden? Ich glaube, solche Leute würden sich sozial unmöglich machen. Dialekt ist immer ein Identitätsbekenntnis. Wenn man sich zu einer Gegend oder zu einem Ort bekennt, dann ist es wichtig, den Dialekt zu sprechen. In München dagegen ist wichtig, was ich verdiene. Hier ist der Dialekt überflüssig geworden.
Hat es Vorteile, Dialekt zu sprechen?
Ja, wenn man bekennen will: Ich gehöre zu diesem Ort, ich bin stolz, von hier zu sein. Denn wenn man den Dialekt aufgibt, sagt man: Ich lehne euch und eure Sprache ab. Sprachliches Handeln ist immer soziales Handeln, die Wahl einer Sprachform ist eine soziale Handlung.
An der Universität benutzen selbst Dialektsprecher untereinander oft Hochdeutsch. Wieso?
Das halte ich für überflüssig. Ich kenne Studenten, die stur überall Dialekt sprechen. Immerhin steht im Grundgesetzt, dass kein Mensch wegen seiner Sprache benachteiligt werden darf und es gibt gerichtliche Entscheidungen, die davon ausgehen, dass damit auch der Dialekt gemeint ist. Man hat keinen Nachteil vom Dialektsprechen und wer einem einen Nachteil bereitet, dem muss man widersprechen. In der Regel wechselt man die Sprachform wegen der Situation. Man schaue in die Schweiz: Es gibt Gemeinschaften, wo es angemessen ist, auch an der Uni Dialekt zu sprechen.
Verbindet sich entsprechend ein sozialer Status mit dem Dialekt?
In den angelsächsischen Ländern oder in Frankreich wurde das oft so gesehen. In Bayern weniger. Auf dem Land sprachen früher alle Dialekt, das ist die Sprache der Bauern. Natürlich hier in München, wo man auf die sogenannten „Bauerndeppen“ hinunter schaut, ist das wieder anders. Auch hier in München haben sie dann noch Bairisch geredet, aber nicht ländliches Bairisch. Deshalb ist starker Dialekt oft ein Indiz für Ländlichkeit, aber noch lange nicht für Unterschicht. Die alteingesessenen Münchner Bürger reden eben ein etwas erleseneres Bairisch.
Wie steht es im Moment um das Münchnerische? In der Generation der Babyboomer war es ja noch gang und gäbe, Bairisch zu sprechen, bei den jungen Münchnern scheint das anders zu sein.
Die jungen Leute sind zweisprachig, könnte man sagen. Es mag viele geben, die immer noch den Dialekt beherrschen, aber früher hat man das Hochdeutsche nicht noch zusätzlich gebraucht. Einige meiner Studenten sagen, sie beherrschen kein Bairisch mehr. Es gibt aber auch Situationen, in denen man den Dialekt können muss. Etwa bei den Sechz’gern in den Rängen, wenn man flucht und auf die Mannschaft schimpft oder sie anfeuert, da gehört es sich, dass es bairisch klingt. Man müsste eigentlich eine sozio-linguistische Studie in München machen, das wäre sicher faszinierend.
In der Sendung Host mi? erklären Sie die Bedeutung bairischer Wörter. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Fernsehen?
Das war die Idee einer Redakteurin. Ich glaube, der Bayerische Rundfunk hatte eigentlich keine Vorstellung, wie viele Dialektwörter es gibt. Aber sie haben zwei, drei Folgen gedreht und das schlug irgendwie ein. Die Leute schicken uns immer noch Wörter und der Stoff geht nicht aus. Offensichtlich interessiert das die Leute. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass es doch einen gewissen Wandel in der Mundart gibt. Es gibt keine Dorfschulen mehr, die Dialekte sind noch vorhanden, aber sie sind nicht mehr so örtlich geprägt wie einst. Man hat das Gefühl, die gute, alte Zeit geht verloren.
Haben Sie zur Zeit ein Lieblingswort?
Ach, ich mag sie alle. Mein Lieblingswort ist immer dasjenige, für das ich gerade einen Eintrag im Bayerischen Wörterbuch schreibe. Im Moment ist das „Bub“, also der Bua.
Was gibt es über das Wort zu erfahren?
Der Bua ist erstens das junge männliche Wesen oder der Sohn. Der Junggeselle kann ein Bua sein, auch wenn er 40 Jahre alt ist. Die alten Buam sind unverheiratete Männer, der Bua ist ein Gehilfe im Handwerk und am Bauernhof ist der Bua der Niedrigste von allen, der noch nicht einmal Knecht ist. Der Bua ist auch eine Spielkarte, die vier Ober sind die vier Haxen oder vier Buam im Schafkopf. Das sind die Bedeutungen und dann gibt es ein paar Nebenbedeutungen. Schöner sind die Sätze, zum Beispiel Ausrufe wie „Oh, Bua!“ – das kann man zu einem Mädchen auch sagen oder zum Opa. Das habe ich hier alles sortiert und dann muss ich es aufs Papier bringen.
Das Porträt Johann Schmellers ziert nicht nur Ihr Büro, mit Ihrer Arbeit am Bayerischen Wörterbuch treten Sie auch in seine Fußstapfen. Bereits im 19. Jahrhundert hat er ein Bayerisches Wörterbuch erstellt, an dem die Arbeit nach seinem Tod noch fortgesetzt wurde. Ihr Projekt soll etwa 2065 abgeschlossen sein. Was macht die Arbeit daran so zeitintensiv?
Die Kollegen in der Schweiz erstellen ein Dialekt-Wörterbuch, die haben 1880 begonnen und sind jetzt endlich beim Z. Die machen das natürlich besonders gründlich, denn in der Schweiz ist der Dialekt ein absolut nationales Anliegen, wie das in Bayern nicht der Fall ist. Wir machen das ein bisschen pauschaler. Die lange Zeitdauer liegt auch an der Anzahl der Wörter. Wir nehmen ohnehin eine Auswahl, aber wir haben sicher an die vier Millionen Belegzettel für bis zu 30.000 einzelne Wörtern. Neben den Sammlerbelegen geben wir auch immer die Verbreitung an. Wir versuchen, die Bedeutungen zu gliedern. Es ist also kein kurzes Wörterbuch für den Oktoberfestbesuch, sondern eine wissenschaftliche Dokumentation, die philologischen Ansprüchen genügen muss. Das Vorgehen ist relativ aufwendig. Es umfasst alle Varianten in Altbayern von Wunsiedel bis Garmisch, von Eichstätt bis Berchtesgaden.
Was sind die Kriterien, die ein Wort erfüllen muss, um aufgenommen zu werden?
Zunächst müssen wir Belege in der Sammlung haben. Es sollte auch keine Eintagsfliege sein. Wenn es ein Kompositum ist, dann wollen wir, dass es nicht einfach aus den Bestandteilen erklärbar ist. Wenn es ein Wort wie „Arm“ oder „Bein“ ist, dann sollen Redensarten, Sprichwörter, Bilder da sein. „Arsch“ zum Beispiel ist an sich nichtssagend, „Arsch“ bedeutet „Hintern“. Interessant sind die Redensarten. (Schlägt den ersten Band des Wörterbuchs auf.) „Am Arsch lecken“, das gibt es nicht nur im Bairischen, es ist aber im Bairischen unglaublich gut belegt, etwa „Leck mich am Arsch“ als Ausruf des Staunens oder „Mi leckst am Arsch“ als Ausdruck blanken Entsetzens oder „Koa Griaßgod, koa Pfiatgod, koa Leckmiamarsch“ oder „Dem war der Arsch z’ganga, wenn er’s net kriagt hät“. Es sind die Vergleiche, die Redensarten, die Sprichwörter, die die Aufnahme solcher Wörter rechtfertigen. Es sollte eine Bedeutung haben für den Volksmund.
Sie haben einmal eine Vorlesung über das Zimbrische gehalten. Warum sollte man sich als Germanist eine solche Vorlesung nicht entgehen lassen?
Der Dialekt ist exotisch und altertümlich und damit etwas für Sprachliebhaber oder für diejenigen, die sich mit Mittelhochdeutsch beschäftigen. Denn diese Altertümlichkeit hat zur Folge, dass manches dort erhalten geblieben ist, was in den heutigen Mundarten weg ist, zum Beispiel alte Wörter, alte grammatische Konstruktionen. Das veranschaulicht also die Sprachgeschichte und auch, was aus einer Sprache in der Fremde wird. Das Zimbrische ist stark vom Italienischen geprägt und zeigt sehr anschaulich, dass die Geschichte der Sprache nicht telisch ist, also nicht unsere heutige Standardsprache als Ziel hat. Die Standardsprache ist eher ein zufälliges Endergebnis. Wenn man sich die Dialekte anschaut, gerade das Zimbrische, sieht man sehr gut, wie es anders hätte gehen können und wo die Sprachgeschichte auch anders hingegangen ist. Das Bairische ist also den Weg weiter gegangen, den die Standardsprache ein kleines bisschen betreten hat. Das Bairische ist weit voraus, was Kasusabbau und ähnliches angeht.
Seit einiger Zeit gibt es eine bairische Wikipedia. Sie haben selbst einen Eintrag auf der Seite, in dem steht, dass Sie sich kritisch über die Oberflächlichkeit des dort verwendeten Dialekts geäußert hätten. Hat sich das mittlerweile gebessert?
Eigentlich war das gar nicht kritisch gemeint. Ich habe beschreibend festgehalten, dass das ein Bairisch ist, das ziemlich an die Standardsprache angelehnt ist. Ich habe das als Argument dafür benutzt, dass die Bayern das Bairische eigentlich nicht als eigene Sprache verstehen, sondern als Variante des Deutschen. Das sieht man daran, dass man die Schreibung des Bairischen sehr oft nach der Schriftsprache ausrichtet. Das führt zur leichteren Lesbarkeit, der Schreiber bekennt aber gleichzeitig, dass er geschriebenes Bairisch als eine abgewandelte Art des Deutschen behandelt. Würden sie eine eigene Sprache wollen, dann würden sie eine völlig andere Rechtschreibung einführen. Sinnvoll ist das Schreiben im Dialekt auf jeden Fall, es stärkt das Bewusstsein. Manche haben eine Freude daran. Da bin ich sehr dafür.
Das Bairische hat viele Fremdwörter aus dem Italienischen und Französischen konserviert. Kann man sich vorstellen, dass es vielleicht in der Zukunft einen bairischen Dialekt mit türkischen Einsprengseln gibt?
Der Einfluss wird wohl eher vom Englischen ausgehen. Auch das Deutsche hat ja sehr wenige türkische Lehnwörter. Die Entlehnungsrichtung geht eher von prestigeträchtigen Sprachen zu prestigelosen Sprachen. Typischerweise haben in Deutschland lebende Türken deutsche Lehnwörter in ihrem Türkisch. Bairisch ist in diesem Sinne Deutsch und die Prestigesprache. Wenn es so weitergeht wie bisher, würde ich also Nein tippen. Allerdings: Wenn man ein kräftiges, schönes Schimpfwort hat, das kling einfach viel stärker, wenn es fremd ist. Da kann ich mir schon vorstellen, dass türkische Schimpfwörter gegebenenfalls ins Bairische gelangen.
Den Bayern aufs Maul geschaut – Ein Interview mit Prof. Anthony Rowley über den bayerischen Dialekt>
Das Münchner Studentenmagazin Philtrat ist Gewinner des Pro Campus Presse Awards 2015 und damit das beste Studentenmagazin Deutschlands. Bereits seit 21 Ausgaben schreiben die Studierenden hier über die Universität, Politik, Kultur, das Großstadtleben – und Literatur und Sprache:
Prof. Anthony Rowley doziert über altertümliche Dialekte, betreut an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften das Bayerische Wörterbuch und sorgt nebenbei mit seiner Sendung Host mi? für Einschaltquoten. Die Philtrat-Autoren Peter Tarras und Daniel Bayerstorfer haben mit ihm über seine Arbeit, Dialekte und „das Münchnerische“ gesprochen.
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Herr Prof. Rowley, den Studierenden in München fehlt oft der Diridari – was ist das und wo kommt das Wort her?
„Diridari“ bedeutet Geld. Ich glaube, das ist irgendein italienischer Satz. Ich müsste allerdings kurz nachschauen. (Holt einen Stapel Blätter aus einer Schreibtischschublade.) Es ist nicht so, dass ich alles im Kopf hätte. (Liest vor.) Hoppadidl, Dimpfl, Dirndl, Ditschidatschi ... Ah, hier: Das Wort „Diridari“ ist seit etwa hundert Jahren belegt. Es findet sich zum Beispiel bei Ludwig Thoma und Oskar Maria Graf. Eigentlich heißt es „das nötige Kleingeld“. Wahrscheinlich geht es auf einen italienischen Satz wie „dare denari“ zurück, den der Bayer, der Italienisch nicht versteht, dann verballhornt hat. Wenn man „Diridari“ sagt, reibt man in der Regel Zeige- und Mittelfinger mehrmals hin und her.
Sie kommen ursprünglich aus Skipton im Norden Englands. Welchen Dialekt spricht man dort und wie kamen Sie auf das Bairische?
In Yorkshire heißt der Dialekt „Tyke“.Mein Interesse am Bairischen kam aber über das Deutschstudium, über die Sprachgeschichte und darüber, dass ich in Regensburg studiert habe, wo ich dann Dialekt lernen musste, weil unter Studenten damals das Bairische die Umgangssprache war. Der Großteil der Studenten kam aus Niederbayern oder der Oberpfalz und die große Menge hat die Minderheit majorisiert. Man hat das Bairische nicht sprechen müssen, aber wollte man mit den Leuten auf ein Bier gehen oder Alltagsgespräche führen, war der Dialekt unglaublich nützlich. Am Ende habe ich dann meine Magisterarbeit, später eine Doktorarbeit über eine Sprachinsel in Italien geschrieben habe.
Wenn Sie selbst Bairisch sprechen, welches Bairisch sprechen Sie dann?
Nachdem meine Frau das Donautalerische spricht, ist das wohl die Variante, die ich sprechen würde. Es ist natürlich schwierig, einen Dialekt zu sprechen, wenn man von außen kommt. Im Fersental in Oberitalien habe ich mich so lange aufgehalten, dass ich den Dialekt lernen musste. Das geht nicht mit Binnenbairisch, die verstehen das gar nicht. Hier habe ich mich intensiv mit der Nordoberpfalz befasst, aber ich würde nicht sagen, ich spreche diesen Dialekt. Es klänge wahrscheinlich falsch, würde ich das sprechen.
Wie wichtig ist es, einen Dialekt zu beherrschen?
Viele Leute kommen gut ohne Dialekt aus. Wenn Sie aber vom Land sind, dann sollten Sie sich einmal fragen, ob es denkbar ist, dass jemand am Stammtisch oder im Verein beschließt, ab morgen nur noch nach der Schrift zu reden? Ich glaube, solche Leute würden sich sozial unmöglich machen. Dialekt ist immer ein Identitätsbekenntnis. Wenn man sich zu einer Gegend oder zu einem Ort bekennt, dann ist es wichtig, den Dialekt zu sprechen. In München dagegen ist wichtig, was ich verdiene. Hier ist der Dialekt überflüssig geworden.
Hat es Vorteile, Dialekt zu sprechen?
Ja, wenn man bekennen will: Ich gehöre zu diesem Ort, ich bin stolz, von hier zu sein. Denn wenn man den Dialekt aufgibt, sagt man: Ich lehne euch und eure Sprache ab. Sprachliches Handeln ist immer soziales Handeln, die Wahl einer Sprachform ist eine soziale Handlung.
An der Universität benutzen selbst Dialektsprecher untereinander oft Hochdeutsch. Wieso?
Das halte ich für überflüssig. Ich kenne Studenten, die stur überall Dialekt sprechen. Immerhin steht im Grundgesetzt, dass kein Mensch wegen seiner Sprache benachteiligt werden darf und es gibt gerichtliche Entscheidungen, die davon ausgehen, dass damit auch der Dialekt gemeint ist. Man hat keinen Nachteil vom Dialektsprechen und wer einem einen Nachteil bereitet, dem muss man widersprechen. In der Regel wechselt man die Sprachform wegen der Situation. Man schaue in die Schweiz: Es gibt Gemeinschaften, wo es angemessen ist, auch an der Uni Dialekt zu sprechen.
Verbindet sich entsprechend ein sozialer Status mit dem Dialekt?
In den angelsächsischen Ländern oder in Frankreich wurde das oft so gesehen. In Bayern weniger. Auf dem Land sprachen früher alle Dialekt, das ist die Sprache der Bauern. Natürlich hier in München, wo man auf die sogenannten „Bauerndeppen“ hinunter schaut, ist das wieder anders. Auch hier in München haben sie dann noch Bairisch geredet, aber nicht ländliches Bairisch. Deshalb ist starker Dialekt oft ein Indiz für Ländlichkeit, aber noch lange nicht für Unterschicht. Die alteingesessenen Münchner Bürger reden eben ein etwas erleseneres Bairisch.
Wie steht es im Moment um das Münchnerische? In der Generation der Babyboomer war es ja noch gang und gäbe, Bairisch zu sprechen, bei den jungen Münchnern scheint das anders zu sein.
Die jungen Leute sind zweisprachig, könnte man sagen. Es mag viele geben, die immer noch den Dialekt beherrschen, aber früher hat man das Hochdeutsche nicht noch zusätzlich gebraucht. Einige meiner Studenten sagen, sie beherrschen kein Bairisch mehr. Es gibt aber auch Situationen, in denen man den Dialekt können muss. Etwa bei den Sechz’gern in den Rängen, wenn man flucht und auf die Mannschaft schimpft oder sie anfeuert, da gehört es sich, dass es bairisch klingt. Man müsste eigentlich eine sozio-linguistische Studie in München machen, das wäre sicher faszinierend.
In der Sendung Host mi? erklären Sie die Bedeutung bairischer Wörter. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Fernsehen?
Das war die Idee einer Redakteurin. Ich glaube, der Bayerische Rundfunk hatte eigentlich keine Vorstellung, wie viele Dialektwörter es gibt. Aber sie haben zwei, drei Folgen gedreht und das schlug irgendwie ein. Die Leute schicken uns immer noch Wörter und der Stoff geht nicht aus. Offensichtlich interessiert das die Leute. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass es doch einen gewissen Wandel in der Mundart gibt. Es gibt keine Dorfschulen mehr, die Dialekte sind noch vorhanden, aber sie sind nicht mehr so örtlich geprägt wie einst. Man hat das Gefühl, die gute, alte Zeit geht verloren.
Haben Sie zur Zeit ein Lieblingswort?
Ach, ich mag sie alle. Mein Lieblingswort ist immer dasjenige, für das ich gerade einen Eintrag im Bayerischen Wörterbuch schreibe. Im Moment ist das „Bub“, also der Bua.
Was gibt es über das Wort zu erfahren?
Der Bua ist erstens das junge männliche Wesen oder der Sohn. Der Junggeselle kann ein Bua sein, auch wenn er 40 Jahre alt ist. Die alten Buam sind unverheiratete Männer, der Bua ist ein Gehilfe im Handwerk und am Bauernhof ist der Bua der Niedrigste von allen, der noch nicht einmal Knecht ist. Der Bua ist auch eine Spielkarte, die vier Ober sind die vier Haxen oder vier Buam im Schafkopf. Das sind die Bedeutungen und dann gibt es ein paar Nebenbedeutungen. Schöner sind die Sätze, zum Beispiel Ausrufe wie „Oh, Bua!“ – das kann man zu einem Mädchen auch sagen oder zum Opa. Das habe ich hier alles sortiert und dann muss ich es aufs Papier bringen.
Das Porträt Johann Schmellers ziert nicht nur Ihr Büro, mit Ihrer Arbeit am Bayerischen Wörterbuch treten Sie auch in seine Fußstapfen. Bereits im 19. Jahrhundert hat er ein Bayerisches Wörterbuch erstellt, an dem die Arbeit nach seinem Tod noch fortgesetzt wurde. Ihr Projekt soll etwa 2065 abgeschlossen sein. Was macht die Arbeit daran so zeitintensiv?
Die Kollegen in der Schweiz erstellen ein Dialekt-Wörterbuch, die haben 1880 begonnen und sind jetzt endlich beim Z. Die machen das natürlich besonders gründlich, denn in der Schweiz ist der Dialekt ein absolut nationales Anliegen, wie das in Bayern nicht der Fall ist. Wir machen das ein bisschen pauschaler. Die lange Zeitdauer liegt auch an der Anzahl der Wörter. Wir nehmen ohnehin eine Auswahl, aber wir haben sicher an die vier Millionen Belegzettel für bis zu 30.000 einzelne Wörtern. Neben den Sammlerbelegen geben wir auch immer die Verbreitung an. Wir versuchen, die Bedeutungen zu gliedern. Es ist also kein kurzes Wörterbuch für den Oktoberfestbesuch, sondern eine wissenschaftliche Dokumentation, die philologischen Ansprüchen genügen muss. Das Vorgehen ist relativ aufwendig. Es umfasst alle Varianten in Altbayern von Wunsiedel bis Garmisch, von Eichstätt bis Berchtesgaden.
Was sind die Kriterien, die ein Wort erfüllen muss, um aufgenommen zu werden?
Zunächst müssen wir Belege in der Sammlung haben. Es sollte auch keine Eintagsfliege sein. Wenn es ein Kompositum ist, dann wollen wir, dass es nicht einfach aus den Bestandteilen erklärbar ist. Wenn es ein Wort wie „Arm“ oder „Bein“ ist, dann sollen Redensarten, Sprichwörter, Bilder da sein. „Arsch“ zum Beispiel ist an sich nichtssagend, „Arsch“ bedeutet „Hintern“. Interessant sind die Redensarten. (Schlägt den ersten Band des Wörterbuchs auf.) „Am Arsch lecken“, das gibt es nicht nur im Bairischen, es ist aber im Bairischen unglaublich gut belegt, etwa „Leck mich am Arsch“ als Ausruf des Staunens oder „Mi leckst am Arsch“ als Ausdruck blanken Entsetzens oder „Koa Griaßgod, koa Pfiatgod, koa Leckmiamarsch“ oder „Dem war der Arsch z’ganga, wenn er’s net kriagt hät“. Es sind die Vergleiche, die Redensarten, die Sprichwörter, die die Aufnahme solcher Wörter rechtfertigen. Es sollte eine Bedeutung haben für den Volksmund.
Sie haben einmal eine Vorlesung über das Zimbrische gehalten. Warum sollte man sich als Germanist eine solche Vorlesung nicht entgehen lassen?
Der Dialekt ist exotisch und altertümlich und damit etwas für Sprachliebhaber oder für diejenigen, die sich mit Mittelhochdeutsch beschäftigen. Denn diese Altertümlichkeit hat zur Folge, dass manches dort erhalten geblieben ist, was in den heutigen Mundarten weg ist, zum Beispiel alte Wörter, alte grammatische Konstruktionen. Das veranschaulicht also die Sprachgeschichte und auch, was aus einer Sprache in der Fremde wird. Das Zimbrische ist stark vom Italienischen geprägt und zeigt sehr anschaulich, dass die Geschichte der Sprache nicht telisch ist, also nicht unsere heutige Standardsprache als Ziel hat. Die Standardsprache ist eher ein zufälliges Endergebnis. Wenn man sich die Dialekte anschaut, gerade das Zimbrische, sieht man sehr gut, wie es anders hätte gehen können und wo die Sprachgeschichte auch anders hingegangen ist. Das Bairische ist also den Weg weiter gegangen, den die Standardsprache ein kleines bisschen betreten hat. Das Bairische ist weit voraus, was Kasusabbau und ähnliches angeht.
Seit einiger Zeit gibt es eine bairische Wikipedia. Sie haben selbst einen Eintrag auf der Seite, in dem steht, dass Sie sich kritisch über die Oberflächlichkeit des dort verwendeten Dialekts geäußert hätten. Hat sich das mittlerweile gebessert?
Eigentlich war das gar nicht kritisch gemeint. Ich habe beschreibend festgehalten, dass das ein Bairisch ist, das ziemlich an die Standardsprache angelehnt ist. Ich habe das als Argument dafür benutzt, dass die Bayern das Bairische eigentlich nicht als eigene Sprache verstehen, sondern als Variante des Deutschen. Das sieht man daran, dass man die Schreibung des Bairischen sehr oft nach der Schriftsprache ausrichtet. Das führt zur leichteren Lesbarkeit, der Schreiber bekennt aber gleichzeitig, dass er geschriebenes Bairisch als eine abgewandelte Art des Deutschen behandelt. Würden sie eine eigene Sprache wollen, dann würden sie eine völlig andere Rechtschreibung einführen. Sinnvoll ist das Schreiben im Dialekt auf jeden Fall, es stärkt das Bewusstsein. Manche haben eine Freude daran. Da bin ich sehr dafür.
Das Bairische hat viele Fremdwörter aus dem Italienischen und Französischen konserviert. Kann man sich vorstellen, dass es vielleicht in der Zukunft einen bairischen Dialekt mit türkischen Einsprengseln gibt?
Der Einfluss wird wohl eher vom Englischen ausgehen. Auch das Deutsche hat ja sehr wenige türkische Lehnwörter. Die Entlehnungsrichtung geht eher von prestigeträchtigen Sprachen zu prestigelosen Sprachen. Typischerweise haben in Deutschland lebende Türken deutsche Lehnwörter in ihrem Türkisch. Bairisch ist in diesem Sinne Deutsch und die Prestigesprache. Wenn es so weitergeht wie bisher, würde ich also Nein tippen. Allerdings: Wenn man ein kräftiges, schönes Schimpfwort hat, das kling einfach viel stärker, wenn es fremd ist. Da kann ich mir schon vorstellen, dass türkische Schimpfwörter gegebenenfalls ins Bairische gelangen.