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08.09.2015, 15:01 Uhr
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Erlanger Poetenfest 2015: Auf einen Schluck Radler mit Christiane Neudecker

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(c) Luchterhand Verlag

Christiane Neudecker, geboren in Erlangen, hat seit 2005 die Bücher In der Stille ein Klang (2005) Nirgendwo sonst (2008), Das siamesische Klavier (2010) und Boxenstopp (2013) veröffentlicht und etliche Auszeichnungen erhalten. 2015 erschien ihre Sommernovelle und avancierte zum Bestseller. Aus dem Buch hat sie mittags schon gelesen, als wir sie auf dem Erlanger Poetenfest treffen. Da kommt sie gerade zurück in den Schlossgarten – nach einem Stadtspaziergang mit íhrer Mutter. Sie ist hier ja sozusagen auf Heimaturlaub. Später will sie aber unbedingt noch der Lesung von Nora Bossong lauschen.

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Christiane Neudecker, Sie haben hier auf dem Erlanger Poetenfest eine Art Heimspiel, sind in Erlangen geboren, in Nürnberg aufgewachsen. Aber für Sie ist es vermutlich heuer ohnehin ein besonderer Festivalbesuch: Sie haben mit der Sommernovelle eines DER Bücher dieses Sommers veröffentlicht, passenderweise auch noch im sogenannten Jahrhundertsommer. Was wird Ihnen denn aus diesem Sommer 2015 in Erinnerung bleiben?

[Lacht] Zum einen ist dieser Jahrhundertsommer natürlich mir zu verdanken, denn ich habe ihn ja quasi herbeigeschrieben. Zumindest ist das meine Theorie … Aber klar, für mich sind diese beiden Dinge – der reale Sommer und mein Buch – jetzt wohl für immer miteinander verwoben. Es gab viele wirklich sehr schöne Lesungen, und interessanterweise war keine einzige verregnete darunter. Auch hier in Erlangen ist ja heute ein traumhafter Tag, und ich glaube, der wird auf jeden Fall noch in meine Sommererinnerung mit einfließen.

Was ist für Sie das Besondere hier bei dem Festival?

Das sind zu allererst die Lesungen, das erschlägt einen wirklich. Nicht nur heute herrscht hier dank des Wetters ein ganz tolles Ambiente, sondern das ist eigentlich auch sonst immer so: dermaßen viele unbeirrte Zuhörer, die stundenlang lauschen, Bücher kaufen oder die Bücher, die vorgestellt werden, bereits gelesen haben, Fragen stellen, sich austauschen. Das habe ich in dieser Dichte und dieser Begeisterung eigentlich sonst noch nirgendwo erlebt. Ich möchte aber auch noch ein anderes fränkisches Festival sehr empfehlen, das WortWärts-Festival in Nürnberg, das zum Teil vermutlich sogar das gleiche Publikum hat.

Ihre Sommernovelle beschäftigt sich mit der Jugend, manche nennen sie auch eine Coming-of-age-Story. Trotzdem ist es kein ausschließlich leichtes und unbeschwertes Buch. Wie war das für Sie, wieder in diese Zeit einzusteigen?

Für mich war es eigentlich sehr schön, dort wieder sein zu können. Wahrscheinlich ist es bisher tatsächlich mein ‚hellstes‘ Buch, die anderen sind doch deutlich düsterer. Ich habe mich in dieser Zeit einfach gerne wieder aufgehalten, natürlich auch an der Nordsee, wo die Novelle spielt, und über die Erinnerung gewissermaßen auch an der Seite meiner selbst aus dieser Zeit. Denn wie meine Protagonistin war ich 1989 fünfzehn Jahre alt; das ist unglaublich, was da noch alles in einem schlummert und wieder nach oben kommt, wenn man sich einmal darauf besinnt. Es war aber auch eine Wiederbegegnung mit den eigenen Idealen, die ich damals hatte und immer so vehement verteidigt habe. Sie wieder heraufzubeschwören, sich gleichzeitig zu hinterfragen, warum man sie heute vielleicht nicht mehr ganz so hat, und sie dann doch noch zumindest ein wenig hinüberzuretten in die Gegenwart – das hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Eine Frage zu diesem biografischen Hintergrund: Für die beiden Protagonistinnen verändert der beschriebene Sommer sehr vieles, und so hat ja fast jeder von uns irgendwann diesen EINEN Sommer erlebt, nach dem nichts mehr war wie zuvor. Welcher Sommer war das bei Ihnen?

Ah, eine heimtückische Frage, durch die Hintertür! Andere fragen immer gleich ganz unverblümt nach der ‚Authentizität‘ des Buches, und das lässt sich dann viel leichter umschiffen … Aber ich glaube schon, dass auch bei mir der Sommer 1989 besonders prägend war, natürlich weil danach, wie wir alle wissen, große geschichtliche Umwälzungen passiert sind. Bei mir ist daneben auch noch privat viel geschehen – und rückblickend ist das ganz seltsam: als wären damals die Sommer irgendwie länger gewesen. Auch wenn man nur sechs Wochen Schulferien hatte, scheint es, als hätten sie länger gedauert. Dieser Sommer 1989 hat sich mir mit einer solchen Klarheit ins Herz gebrannt ... Wenn man mich dagegen zum Beispiel nach dem Sommer von 2010 fragen würde, wüsste ich im ersten Moment gar nichts mehr davon.

Wie ist das mit dem Erwachsenwerden – gibt es da für Sie einen bestimmten Punkt, der das markiert? Und hat es vielleicht wirklich etwas mit dem Verlust von Idealen zu tun? Wieviele Ideale kann man sich als Erwachsener überhaupt noch leisten?

… oder eben: bewahren. Genau dieser Frage will mein Buch letztlich nachgehen. Eine einfache, kurze Antwort kann ich darauf kaum geben, aber ich glaube, es handelt sich um einen Prozess, auf dem man sowohl etwas verliert wie auch neu hinzugewinnt; und immer wieder ist man plötzlich einen Schritt weiter, obwohl man das vielleicht gar nicht unbedingt wollte. Im Buch fragen sich die beiden Mädchen auch einmal: Wann genau wird man so? Den genauen Punkt kann man wohl nie benennen – einen entscheidenden Zeitraum schon eher. Zum Beispiel: einen Sommer.