München, Bogenhausen: Neuberghauserstraße mit Heine-Denkmal
Doch Heine schränkt seine Bewunderung für München gleich wieder ein, wenn er zu Beginn von Kapitel III der neuen Reisebilder diese grandiose Wirtshausszene wiedergibt. Um sie angemessen verstehen zu können fahren wir mit dem Bus nach Bogenhausen und gehen in der Neuberghauserstraße zum Friedhof St. Georg. Dort hören wir Heine zu: „Daß man aber die ganze Stadt ein neues Athen nennt, ist, unter uns gesagt, etwas ridikül, und es kostete mich viele Mühe, wenn ich sie in solcher Qualität vertreten soll. Dieses empfand ich aufs tiefste in dem Zwiegespräch mit dem Berliner Philister, der, obgleich er schon eine Weile mit mir gesprochen hatte, unhöflich genug war, alles attische Salz im neuen Athen zu vermissen. ‚Des‘, rief er ziemlich laut, ‚gibt es nur in Berlin. Da nur ist Witz und Ironie. Hier gibt es ein gutes Weißbier, aber wahrhaftig keine Ironie.‘ ,Ironie haben wir nicht‘ – rief Nannerl, die schlanke Kellnerin, die in diesem Augenblick vorbeisprang – ‚aber jedes andre Bier können Sie doch haben.‘“[18] Wir können uns nicht nur vorstellen, wie Nannerl ausgesehen haben mag. Sondern wir können ganz konkret sagen, wo dieses Gespräch stattgefunden hat, da Heine selbst, zu Beginn von Kapitel IV der neuen Reisebilder, den Ort genau angibt: „Der Ort, wo dieses Gespräch stattfand, heißt Bogenhausen, oder Neuburghausen, oder Villa Hompesch, oder Montgelasgarten, oder das Schlössel, ja man braucht ihn nicht einmal zu nennen, wenn man von München dort hinfahren will, der Kutscher versteht uns schon an einem gewissen durstigen Augenblinzeln, an einem gewissen vorseligen Kopfnicken und ähnlichen Bezeichnungsgrimassen. [...] Das Bier ist an besagtem Orte wirklich sehr gut [...], besonders auf jener Treppenterrasse, wo man die Tiroler Alpen vor Augen hat. Ich saß dort oft vorigen Winter und betrachtete die schneebedeckten Berge, die, glänzend in der Sonnenbeleuchtung, aus eitel Silber gegossen zu sein schienen.“[19]
„Neuburghausen“ meint „Neuberghausen“, das längst verschwundene Schlößchen des Grafen von Törring-Jettenbach am Hochufer der Isar gegenüber dem St. Georgs-Kirchlein von Johann Michael Fischer; die Neuberghauserstraße erinnert seit 1897 daran. In diesem Edelsitz wohnte kurzfristig der bayerische Finanzminister Johann Wilhelm von Hompesch bis zu seinem Tod 1809. Mit dem „Montgelasgarten“ des nahe gelegenen Edelsitzes Stepperg des Freiherrn von Montgelas hat Neuberghausen allerdings nichts zu tun. In dem einstigen Schlösschen wurde stattdessen Anfang 1828 eine Ausflugsgaststätte eröffnet, die bald gut florierte. Hier saß Heinrich Heine als einer der ersten Gäste und hatte noch den freien Blick auf die Alpenkette, und eben hier wurde ihm ein besonders schönes Denkmal gesetzt, das alle Widrigkeiten der Zeit überdauert hat.
M.E.: Heinrich Heine. Marmorrelief mit Schriftzug (datiert 1828). 1907. 61,0 x 48,5 cm. Privatbesitz, München. Foto: Dirk Heißerer, 2007, noch im Schmitthenner-Klinkerbau der Frankonia-Versicherung. Zitat aus Heinrich Heine: Reisebilder III. Teil (1830).
Der beliebte Ausflugsort wurde 1862 abgerissen. An seiner Stelle entstand eine mehrstöckige „Kgl. Versorgungsanstalt für Beamtentöchter“, auch „Beamten-Relicten-Anstalt“, im Volksmund angeblich sogar „Drachenburg“ genannt.[20] Wie wenig aber dieses böse Wort auf die damaligen Bewohnerinnen zutrifft, zeigt das Relief, das, 1907 datiert, in dieser Zeit auf diesem Gelände, vermutlich in einer Laube, seinen Ort gefunden hat. Wir wissen kaum etwas zu diesem Marmorbildnis mit den Maßen 61 x 48,5 cm; wir können es immerhin als Ableitung einer Zeichnung von Gottlieb Gassen identifizieren, mit dem Heine in München näher zusammen war. Das Monogramm „M.E. / 1907“ des Bildhauers ist noch nicht entschlüsselt; den schönen Satz Heines über seinen Ausblick von der Terrasse in Neuberghausen an einem Wintertag im Jahr 1828 können wir dagegen gut lesen, und dass die Sentenz von „H. Heine“ stammt, ist ebenfalls unverkennbar. Denkbar ist, dass die literatur- und kunstsinnigen Damen der „Drachenburg“ Heinrich Heine 110 Jahre nach seiner Geburt zur Erinnerung an seinen geistvollen Bericht von dem Gespräch auf der Terrasse in Neuberghausen mit diesem Relief ehren wollten. Zumal sich in München am 19. Januar 1908 der Literarische Verein Phoebus 80 Jahre nach Heines Zeit in München zu einer Heine-Feier zusammenfand, in deren Verlauf sich Thomas Mann ebenso zu Wort meldete wie der Herausgeber der Zeitschrift Die Gesellschaft, Michael Georg Conrad, der auch schriftlich monierte, dass die Kunststadt München, wo, wie er meinte, „noch das Wirtshaus in Bogenhausen“ stehe, von wo aus Heine „über die Alpen hinüber gegrüßt“ habe, „nicht die geringste Inschrift, nicht das bescheidenste Denkzeichen“ an Heines Wirken besitze.[21] Conrad hat das Relief von Bogenhausen also nicht gekannt. Es hat aber alle Zeitläufte überstanden. Und als nach der Kriegszerstörung der „Drachenburg“ an diesem Ort 1956 das Verwaltungsgebäude der Frankonia-Versicherung nach Plänen des Architekten Paul Schmitthenner entstand, wurde das Relief bewahrt und hing an einer Innenwand des Klinkerbaus gleich neben der Pforte. Das Haus wurde 2008 an eine Privatschule verkauft und das Relief verschwand in privatem Gewahrsam, wo es sich, angeblich noch immer wohlbehalten, weiter befinden soll.
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[18] Heine, Band 3 (wie Anm. 15), S. 320.
[19] Ebd., S. 325.
[20] Vgl. Willibald Karl: Barocke Adelssitze in Bogenhausn. In: ders.: Bogenhausen. Vom bäuerlichen Pfarrdorf zum noblen Stadtteil. München 1992, S. 26-37, hier S. 37.
[21] Vgl. Festgabe des Literarischen Vereins Phoebus München bei seiner Heine-Feier 19. Januar 1908. Stadtbibliothek München, Monacensia, o. S.
Doch Heine schränkt seine Bewunderung für München gleich wieder ein, wenn er zu Beginn von Kapitel III der neuen Reisebilder diese grandiose Wirtshausszene wiedergibt. Um sie angemessen verstehen zu können fahren wir mit dem Bus nach Bogenhausen und gehen in der Neuberghauserstraße zum Friedhof St. Georg. Dort hören wir Heine zu: „Daß man aber die ganze Stadt ein neues Athen nennt, ist, unter uns gesagt, etwas ridikül, und es kostete mich viele Mühe, wenn ich sie in solcher Qualität vertreten soll. Dieses empfand ich aufs tiefste in dem Zwiegespräch mit dem Berliner Philister, der, obgleich er schon eine Weile mit mir gesprochen hatte, unhöflich genug war, alles attische Salz im neuen Athen zu vermissen. ‚Des‘, rief er ziemlich laut, ‚gibt es nur in Berlin. Da nur ist Witz und Ironie. Hier gibt es ein gutes Weißbier, aber wahrhaftig keine Ironie.‘ ,Ironie haben wir nicht‘ – rief Nannerl, die schlanke Kellnerin, die in diesem Augenblick vorbeisprang – ‚aber jedes andre Bier können Sie doch haben.‘“[18] Wir können uns nicht nur vorstellen, wie Nannerl ausgesehen haben mag. Sondern wir können ganz konkret sagen, wo dieses Gespräch stattgefunden hat, da Heine selbst, zu Beginn von Kapitel IV der neuen Reisebilder, den Ort genau angibt: „Der Ort, wo dieses Gespräch stattfand, heißt Bogenhausen, oder Neuburghausen, oder Villa Hompesch, oder Montgelasgarten, oder das Schlössel, ja man braucht ihn nicht einmal zu nennen, wenn man von München dort hinfahren will, der Kutscher versteht uns schon an einem gewissen durstigen Augenblinzeln, an einem gewissen vorseligen Kopfnicken und ähnlichen Bezeichnungsgrimassen. [...] Das Bier ist an besagtem Orte wirklich sehr gut [...], besonders auf jener Treppenterrasse, wo man die Tiroler Alpen vor Augen hat. Ich saß dort oft vorigen Winter und betrachtete die schneebedeckten Berge, die, glänzend in der Sonnenbeleuchtung, aus eitel Silber gegossen zu sein schienen.“[19]
„Neuburghausen“ meint „Neuberghausen“, das längst verschwundene Schlößchen des Grafen von Törring-Jettenbach am Hochufer der Isar gegenüber dem St. Georgs-Kirchlein von Johann Michael Fischer; die Neuberghauserstraße erinnert seit 1897 daran. In diesem Edelsitz wohnte kurzfristig der bayerische Finanzminister Johann Wilhelm von Hompesch bis zu seinem Tod 1809. Mit dem „Montgelasgarten“ des nahe gelegenen Edelsitzes Stepperg des Freiherrn von Montgelas hat Neuberghausen allerdings nichts zu tun. In dem einstigen Schlösschen wurde stattdessen Anfang 1828 eine Ausflugsgaststätte eröffnet, die bald gut florierte. Hier saß Heinrich Heine als einer der ersten Gäste und hatte noch den freien Blick auf die Alpenkette, und eben hier wurde ihm ein besonders schönes Denkmal gesetzt, das alle Widrigkeiten der Zeit überdauert hat.
M.E.: Heinrich Heine. Marmorrelief mit Schriftzug (datiert 1828). 1907. 61,0 x 48,5 cm. Privatbesitz, München. Foto: Dirk Heißerer, 2007, noch im Schmitthenner-Klinkerbau der Frankonia-Versicherung. Zitat aus Heinrich Heine: Reisebilder III. Teil (1830).
Der beliebte Ausflugsort wurde 1862 abgerissen. An seiner Stelle entstand eine mehrstöckige „Kgl. Versorgungsanstalt für Beamtentöchter“, auch „Beamten-Relicten-Anstalt“, im Volksmund angeblich sogar „Drachenburg“ genannt.[20] Wie wenig aber dieses böse Wort auf die damaligen Bewohnerinnen zutrifft, zeigt das Relief, das, 1907 datiert, in dieser Zeit auf diesem Gelände, vermutlich in einer Laube, seinen Ort gefunden hat. Wir wissen kaum etwas zu diesem Marmorbildnis mit den Maßen 61 x 48,5 cm; wir können es immerhin als Ableitung einer Zeichnung von Gottlieb Gassen identifizieren, mit dem Heine in München näher zusammen war. Das Monogramm „M.E. / 1907“ des Bildhauers ist noch nicht entschlüsselt; den schönen Satz Heines über seinen Ausblick von der Terrasse in Neuberghausen an einem Wintertag im Jahr 1828 können wir dagegen gut lesen, und dass die Sentenz von „H. Heine“ stammt, ist ebenfalls unverkennbar. Denkbar ist, dass die literatur- und kunstsinnigen Damen der „Drachenburg“ Heinrich Heine 110 Jahre nach seiner Geburt zur Erinnerung an seinen geistvollen Bericht von dem Gespräch auf der Terrasse in Neuberghausen mit diesem Relief ehren wollten. Zumal sich in München am 19. Januar 1908 der Literarische Verein Phoebus 80 Jahre nach Heines Zeit in München zu einer Heine-Feier zusammenfand, in deren Verlauf sich Thomas Mann ebenso zu Wort meldete wie der Herausgeber der Zeitschrift Die Gesellschaft, Michael Georg Conrad, der auch schriftlich monierte, dass die Kunststadt München, wo, wie er meinte, „noch das Wirtshaus in Bogenhausen“ stehe, von wo aus Heine „über die Alpen hinüber gegrüßt“ habe, „nicht die geringste Inschrift, nicht das bescheidenste Denkzeichen“ an Heines Wirken besitze.[21] Conrad hat das Relief von Bogenhausen also nicht gekannt. Es hat aber alle Zeitläufte überstanden. Und als nach der Kriegszerstörung der „Drachenburg“ an diesem Ort 1956 das Verwaltungsgebäude der Frankonia-Versicherung nach Plänen des Architekten Paul Schmitthenner entstand, wurde das Relief bewahrt und hing an einer Innenwand des Klinkerbaus gleich neben der Pforte. Das Haus wurde 2008 an eine Privatschule verkauft und das Relief verschwand in privatem Gewahrsam, wo es sich, angeblich noch immer wohlbehalten, weiter befinden soll.
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[18] Heine, Band 3 (wie Anm. 15), S. 320.
[19] Ebd., S. 325.
[20] Vgl. Willibald Karl: Barocke Adelssitze in Bogenhausn. In: ders.: Bogenhausen. Vom bäuerlichen Pfarrdorf zum noblen Stadtteil. München 1992, S. 26-37, hier S. 37.
[21] Vgl. Festgabe des Literarischen Vereins Phoebus München bei seiner Heine-Feier 19. Januar 1908. Stadtbibliothek München, Monacensia, o. S.