Moosinning, Eichenried: Der Garten von Helmut Dietls Haus
Helmut Dietl habe mehr für seine Serien, seine Filme gelebt als für irgendetwas anderes, erzählen seine Frauen, seine Freunde. Zu leben habe ihm bedeutet: den Rohstoff zu sammeln, aus dem man Filme und Fernsehserien macht. Im Umkehrschluss heißt das, dass er kein ödes, kein braves, kein asketisches Leben führen durfte: Woraus hätte er sonst die Filme gemacht? Das gute Leben war ihm Auftrag, Anspruch, Herausforderung – und in den Filmen kann man sehen, wie barock sein Verhältnis zu diesem guten Leben war: die Lust und der Tod sind Geschwister, im Glanz des Luxus und der Feiern spiegeln sich die Zeichen der Vergänglichkeit. Helmut Dietl hatte einen Hang zu teurem Sport, teuren Häusern, teuren Reisen. Und zu hohen Rechnungen im Restaurant. So strebte er immer nach dem Leben, das er in seinen Filmen dann so sarkastisch beschrieb. Wie nennt man das: Recherche? Kompetenz? Oder einfach: das gute Leben?
Im Januar 1999 kaufte sich Helmut Dietl ein Haus auf dem Land, in Eichenried, eine halbe Stunde nördlich von München. Er träumte vom idealen Garten, und so ließ er hundert große Obstbäume pflanzen, was ein Vermögen kostete. Ein Gärtner hätte junge Bäume in die Erde gesetzt und ihnen beim Wachsen zugeschaut. Helmut Dietl war aber Filmregisseur. Auch sein Garten in Roquefort-les-Pins mit den symmetrisch gepflanzten Zypressen und Olivenbäumen hatte etwas von einer barocken Theaterkulisse. Helmut Dietls idealer Garten konnte, wie überhaupt das ideale Leben, nur eine Inszenierung sein.
Patrick Süskind erinnert sich:
Aber da gab es auch noch das Arbeitszimmer, gleich rechts hinter der Eingangstür vom getafteten Gang abgehend, und hier herrschte eine ganz andere Atmosphäre: Regale voller Bücher, zwei kleine, schon leicht abgewetzte Ledersofas und, dominierend, ein großer, mit Manuskripten, Zetteln und Büchern übersäter Schreibtisch, ein sogenanntes Partnerdesk. Dieses nicht eben leichte Möbel mit ihm gemeinsam in eine andere Ecke des Raums zu rücken („... weil Sie grad da sind“), war meine erste Aufgabe bei Helmut Dietl. Sie wiederholte sich. Unsere nächsten vier, fünf, sechs Treffen begannen immer wieder mit dem Verrücken des vermaledeiten Schreibtischs, mal in diese, mal in jene Ecke, mal schräg, mal rechtwinklig zur Wand, mal quer in die Mitte, mal längs. Den meiner ganz aufs Praktische gerichteten Natur entspringenden Ratschlag, den Schreibtisch ganz einfach neben das Fenster zu stellen, damit das Tageslicht, sofern man Rechtshänder sei, von links komme, ignorierte er und bestand vielmehr auf einer Feinabstimmung, wobei er bis zur Tür zurücktrat und mich dirigierte: „... bissel weiter nach rechts! ... Nein, zuviel ... bissl weiter vor! ... Halt! Genau so ist’s richtig! Danke.“ Zunächst hielt ich dies Prozedere für eine Art zwangsneurotisches Ritual, ohne dessen Abhaltung er sich nicht zum Arbeiten niedersetzen konnte, bis ich allmählich dahinterkam, dass es hier um ein mir eher fremdes Gebiet, nämlich um eine ausgeklügelte Ästhetik ging: Er betrachtete den Schreibtisch wie durch das Okular einer Kamera, und die Herausforderung bestand darin, ihn so zu positionieren, dass sich, von der Türe aus gesehen, ein ausgewogenes Bild des Begriffs „Arbeitszimmer“ ergab. Umgekehrt hatten die übrigen Elemente des Raumes und der Einrichtung, vom Schreibtisch aus gesehen (Schuss – Gegenschuss), ebenfalls eine befriedigende Bildaufteilung zu ergeben. Dasselbe Prinzip wandte er später bei der Gestaltung seines Gartens in Südfrankreich an, wo er sukzessive so viele Olivenbäume in ausgetüftelter Staffelung pflanzen und mit raffinierter Beleuchtung versehen ließ, dass sich dem Betrachter, besonders nachts von der Terrasse aus gesehen, eine wirklich entzückende Szenerie bot, die wenig von einem realen, aber alles von einem idealen Olivenhain hatte und in der man sofort hätte Theater spielen oder einen Film drehen können.
Helmut Dietl: A bissel was geht immer. Unvollendete Erinnerungen. Mit einem Nachwort von Patrick Süskind, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, S. 332f., gelesen von Günther Maria Halmer (Dauer: 2:44 min)
Links: Rechnungsbelege. Es gehörte zu einem anständigen Leben, jeden Abend ins „Romagna Antica“ essen zu gehen. Wie alles andere, hob Helmut Dietl auch sämtliche Rechnungen auf. Rechts: Exponate in der Ausstellung: Schreibtisch und Schreibtischstuhl (c) Catherina Hess
Sekundärliteratur:
„Der ewige Stenz“. Helmut Dietl und sein München (Literaturhaus München HEFTE, 9). München 2016.
Helmut Dietl habe mehr für seine Serien, seine Filme gelebt als für irgendetwas anderes, erzählen seine Frauen, seine Freunde. Zu leben habe ihm bedeutet: den Rohstoff zu sammeln, aus dem man Filme und Fernsehserien macht. Im Umkehrschluss heißt das, dass er kein ödes, kein braves, kein asketisches Leben führen durfte: Woraus hätte er sonst die Filme gemacht? Das gute Leben war ihm Auftrag, Anspruch, Herausforderung – und in den Filmen kann man sehen, wie barock sein Verhältnis zu diesem guten Leben war: die Lust und der Tod sind Geschwister, im Glanz des Luxus und der Feiern spiegeln sich die Zeichen der Vergänglichkeit. Helmut Dietl hatte einen Hang zu teurem Sport, teuren Häusern, teuren Reisen. Und zu hohen Rechnungen im Restaurant. So strebte er immer nach dem Leben, das er in seinen Filmen dann so sarkastisch beschrieb. Wie nennt man das: Recherche? Kompetenz? Oder einfach: das gute Leben?
Im Januar 1999 kaufte sich Helmut Dietl ein Haus auf dem Land, in Eichenried, eine halbe Stunde nördlich von München. Er träumte vom idealen Garten, und so ließ er hundert große Obstbäume pflanzen, was ein Vermögen kostete. Ein Gärtner hätte junge Bäume in die Erde gesetzt und ihnen beim Wachsen zugeschaut. Helmut Dietl war aber Filmregisseur. Auch sein Garten in Roquefort-les-Pins mit den symmetrisch gepflanzten Zypressen und Olivenbäumen hatte etwas von einer barocken Theaterkulisse. Helmut Dietls idealer Garten konnte, wie überhaupt das ideale Leben, nur eine Inszenierung sein.
Patrick Süskind erinnert sich:
Aber da gab es auch noch das Arbeitszimmer, gleich rechts hinter der Eingangstür vom getafteten Gang abgehend, und hier herrschte eine ganz andere Atmosphäre: Regale voller Bücher, zwei kleine, schon leicht abgewetzte Ledersofas und, dominierend, ein großer, mit Manuskripten, Zetteln und Büchern übersäter Schreibtisch, ein sogenanntes Partnerdesk. Dieses nicht eben leichte Möbel mit ihm gemeinsam in eine andere Ecke des Raums zu rücken („... weil Sie grad da sind“), war meine erste Aufgabe bei Helmut Dietl. Sie wiederholte sich. Unsere nächsten vier, fünf, sechs Treffen begannen immer wieder mit dem Verrücken des vermaledeiten Schreibtischs, mal in diese, mal in jene Ecke, mal schräg, mal rechtwinklig zur Wand, mal quer in die Mitte, mal längs. Den meiner ganz aufs Praktische gerichteten Natur entspringenden Ratschlag, den Schreibtisch ganz einfach neben das Fenster zu stellen, damit das Tageslicht, sofern man Rechtshänder sei, von links komme, ignorierte er und bestand vielmehr auf einer Feinabstimmung, wobei er bis zur Tür zurücktrat und mich dirigierte: „... bissel weiter nach rechts! ... Nein, zuviel ... bissl weiter vor! ... Halt! Genau so ist’s richtig! Danke.“ Zunächst hielt ich dies Prozedere für eine Art zwangsneurotisches Ritual, ohne dessen Abhaltung er sich nicht zum Arbeiten niedersetzen konnte, bis ich allmählich dahinterkam, dass es hier um ein mir eher fremdes Gebiet, nämlich um eine ausgeklügelte Ästhetik ging: Er betrachtete den Schreibtisch wie durch das Okular einer Kamera, und die Herausforderung bestand darin, ihn so zu positionieren, dass sich, von der Türe aus gesehen, ein ausgewogenes Bild des Begriffs „Arbeitszimmer“ ergab. Umgekehrt hatten die übrigen Elemente des Raumes und der Einrichtung, vom Schreibtisch aus gesehen (Schuss – Gegenschuss), ebenfalls eine befriedigende Bildaufteilung zu ergeben. Dasselbe Prinzip wandte er später bei der Gestaltung seines Gartens in Südfrankreich an, wo er sukzessive so viele Olivenbäume in ausgetüftelter Staffelung pflanzen und mit raffinierter Beleuchtung versehen ließ, dass sich dem Betrachter, besonders nachts von der Terrasse aus gesehen, eine wirklich entzückende Szenerie bot, die wenig von einem realen, aber alles von einem idealen Olivenhain hatte und in der man sofort hätte Theater spielen oder einen Film drehen können.
Helmut Dietl: A bissel was geht immer. Unvollendete Erinnerungen. Mit einem Nachwort von Patrick Süskind, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, S. 332f., gelesen von Günther Maria Halmer (Dauer: 2:44 min)
Links: Rechnungsbelege. Es gehörte zu einem anständigen Leben, jeden Abend ins „Romagna Antica“ essen zu gehen. Wie alles andere, hob Helmut Dietl auch sämtliche Rechnungen auf. Rechts: Exponate in der Ausstellung: Schreibtisch und Schreibtischstuhl (c) Catherina Hess
„Der ewige Stenz“. Helmut Dietl und sein München (Literaturhaus München HEFTE, 9). München 2016.