München, Türkenstraße 57: Künstlerkneipe Simplicissimus
Der heutige Alte Simpl ist eines der wenigen Lokale, die an die legendäre große Zeit der Schwabinger Boheme anknüpfen und etwas von der damaligen Atmosphäre wiedergeben. Immer noch hängen Bilder an den Wänden, die zum genaueren Hinschauen einladen. „Und mich zieht's mit Geisterhänden, / Ob ich will, ob nicht, ich muss, / Nach den bildgeschmückten Wänden, in den Simplicissimus“, hatte schon der aus dem sächsischen Wurzen stammende Dichter Joachim Ringelnatz in seinem Simplicissimus-Lied bekannt. Er ist auf den Fotos genauso zu sehen wie Karl Valentin, Liesl Karlstadt, Franziska zu Reventlow und die anderen Protagonisten der Boheme. Neben der von Thomas Theodor Heine entworfenen prächtigen Simplicissimus-Bulldogge auf dem Wirtshausschild, die eine Sektflasche entkorkt, und der dunklen Holzvertäfelung an den Wänden sind auch die langen Tische in der Gaststube – wahrscheinlich sogar in ähnlicher Anordnung wie früher – erhalten geblieben.
Künstlerpublikum im Simplicissimus 1909 (c) Stadtarchiv München
Zur Geschichte: Die Traunsteiner Gastwirtstochter Kathi Kobus kam 1890 nach München, schlug sich als Kellnerin und Malermodell durch und übernahm schließlich die Trinkstube „Dichtelei“ in der Adalbertstraße. 1897 wechselte sie die Adresse und begründete in der Türkenstraße 57 die „Neue Dichtelei“. Diese benannte sie 1903 um in „Simplicissimus“ – in Anlehnung an die von dem Verleger Albert Langen herausgegebene gleichnamige satirische Zeitschrift. Langen war Stammgast bei Kathi Kobus, genau wie Frank Wedekind, der es von seinem in der Türkenstraße 28 gelegenen Auftrittsort, „Elf Scharfrichter“ im Hinterhaus des Gasthauses zum goldenen Hirschen, nicht weit hatte.
Links: Das Simplicissimus 1932 (c) Archiv Monacensia. Rechts: Die berühmte Simplicissimus-Bulldogge, gezeichnet von Thomas Theodor Heine (Cover 1926, Jg. 31, Heft 1)
Der russische Symbolist Andrej Belyi, der 1906 in einem Zustand der Überreiztheit nach München kam und sich von der Beschaulichkeit der Residenzstadt Ruhe und Erholung versprach, zeigte sich von der Wirtin des Simplicissimus beeindruckt: Die stattliche Frau, ganz in schwarze Seide gekleidet und mit einem Fächer aus schwarzer Spitze in der Hand, habe zwar für alle Gäste – die stillen wie die übermütigen – ein Lächeln parat gehabt, jedoch gleichzeitig keinen Zweifel daran gelassen, „dass an diesem Ort ein ordinärer Ton deplaziert war“.
Nicht um des Vorteils willen verköstigte sie monatelang arme Teufel, die ihr dann später als Geschenk ihre Etuden brachten, mit denen ihre Räume ausgeschmückt wurden, die sich in ganz München sehen lassen konnten: sie waren kokett eingerichtet, von außen war es in den Fenstern dunkel von schweren herabgelassenen Vorhängen – da glühte nur ein rotes Lämpchen an einer Rute über dem Eingang und ließ verlauten: „Simplicissimus bleibt wach!“ Nach zehn füllte sich das Lokal; und das ging – das war in ganz München bekannt – bis zwölf, oft bis zum frühen Morgen, wenn Kathi ausgerechnet hatte, dass eine Überschreitung der Polizeistunde die ganzen Strafkosten decken würde; sie stand dann auf und ließ mit graziösem Lächeln die Bemerkung fallen: „Also, Kinder, heute wollen wir feiern!“
(Andrej Belyi: Café Simplicissimus, zit. nach Schmitz, Walter [Hg.]: Die Münchner Moderne, a.a.O., S. 508)
Und so lässt Joachim Ringelnatz sein Simplicissimus-Lied mit den Worten beginnen: „Mitternacht ist`s. Längst im Bette / Liegt der Spießer steif und tot./ Ja, dann winkt das traulich nette/ Simpel-Gasglüh-Morgenrot.“ In seinen Memoiren schwärmt er von der „Künstlerkneipe!“ und dem „Künstlerleben!“:
Der „Simpl“ war der Mittelpunkt der Boheme und war weltbekannt geworden, Wer in München lebte oder studierte, ging dorthin. Wer durch München reiste, kehrte bei Kathi ein. Ja, es kamen Leute aus Amerika und andern Ländern weit her, nur um sie und ihre Künstlerkneipe kennenzulernen. Die jungen Künstler sangen zur Laute oder zum Klavier. Andere tanzten, führten Theaterszenen, Zauberkünste vor, jede Art künstlerischer Unterhaltung ward geboten. Anfangs geschah das improvisiert, später, als die Kathi dadurch viel Geld gewann, nach Vereinbarung und gegen Bezahlung, allerdings sehr spärliche Bezahlung.
(Joachim Ringelnatz: Memoiren, zit. nach Schwab, Hans-Rüdiger [Hg.]: München, Dichter sehen eine Stadt, a.a.O., S. 180)
Kathi Kobus, Wirtin des Simplicissimus 1865-1929 (c) Bayerische Staatsbibliothek / Bildarchiv
Davon weiß auch die aus Flensburg stammende Diseuse und Schriftstellerin Emmy Hennings in ihrem Buch Das flüchtige Spiel ein Lied zu singen:
Im Simplizissimus war es üblich, dass die Künstler nach den Darbietungen im Publikum ihre Postkarten verkauften, eine Nebeneinnahme, die uns sehr erwünscht war, weil Kathi uns keine hohe Gage zahlen konnte. Dafür taten Marietta, unserer reizende Diseuse, und ich uns allabendlich an einer Leberknödelsuppe gütlich, die uns gratis gespendet wurde, während der Dichter Joachim Ringelnatz, der auch hier auftrat und der damals nur in München bekannt war, soviel trinken durfte wie er Lust hatte.
(Emmy Hennings: Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau [1940], zit. nach zitiert nach Schwab, Hans-Rüdiger [Hg.]: München, Dichter sehen eine Stadt, a.a.O., S. 180)
--------------------------------------------------------------------------
Biegen Sie an der nächsten Ecke nach rechts in die Schellingstraße ab. Das nächste Ziel befindet sich nach ca. 200 m auf der rechten Seite.
Zur Station 7 von 17 Stationen
Verfasser: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt
Der heutige Alte Simpl ist eines der wenigen Lokale, die an die legendäre große Zeit der Schwabinger Boheme anknüpfen und etwas von der damaligen Atmosphäre wiedergeben. Immer noch hängen Bilder an den Wänden, die zum genaueren Hinschauen einladen. „Und mich zieht's mit Geisterhänden, / Ob ich will, ob nicht, ich muss, / Nach den bildgeschmückten Wänden, in den Simplicissimus“, hatte schon der aus dem sächsischen Wurzen stammende Dichter Joachim Ringelnatz in seinem Simplicissimus-Lied bekannt. Er ist auf den Fotos genauso zu sehen wie Karl Valentin, Liesl Karlstadt, Franziska zu Reventlow und die anderen Protagonisten der Boheme. Neben der von Thomas Theodor Heine entworfenen prächtigen Simplicissimus-Bulldogge auf dem Wirtshausschild, die eine Sektflasche entkorkt, und der dunklen Holzvertäfelung an den Wänden sind auch die langen Tische in der Gaststube – wahrscheinlich sogar in ähnlicher Anordnung wie früher – erhalten geblieben.
Künstlerpublikum im Simplicissimus 1909 (c) Stadtarchiv München
Zur Geschichte: Die Traunsteiner Gastwirtstochter Kathi Kobus kam 1890 nach München, schlug sich als Kellnerin und Malermodell durch und übernahm schließlich die Trinkstube „Dichtelei“ in der Adalbertstraße. 1897 wechselte sie die Adresse und begründete in der Türkenstraße 57 die „Neue Dichtelei“. Diese benannte sie 1903 um in „Simplicissimus“ – in Anlehnung an die von dem Verleger Albert Langen herausgegebene gleichnamige satirische Zeitschrift. Langen war Stammgast bei Kathi Kobus, genau wie Frank Wedekind, der es von seinem in der Türkenstraße 28 gelegenen Auftrittsort, „Elf Scharfrichter“ im Hinterhaus des Gasthauses zum goldenen Hirschen, nicht weit hatte.
Links: Das Simplicissimus 1932 (c) Archiv Monacensia. Rechts: Die berühmte Simplicissimus-Bulldogge, gezeichnet von Thomas Theodor Heine (Cover 1926, Jg. 31, Heft 1)
Der russische Symbolist Andrej Belyi, der 1906 in einem Zustand der Überreiztheit nach München kam und sich von der Beschaulichkeit der Residenzstadt Ruhe und Erholung versprach, zeigte sich von der Wirtin des Simplicissimus beeindruckt: Die stattliche Frau, ganz in schwarze Seide gekleidet und mit einem Fächer aus schwarzer Spitze in der Hand, habe zwar für alle Gäste – die stillen wie die übermütigen – ein Lächeln parat gehabt, jedoch gleichzeitig keinen Zweifel daran gelassen, „dass an diesem Ort ein ordinärer Ton deplaziert war“.
Nicht um des Vorteils willen verköstigte sie monatelang arme Teufel, die ihr dann später als Geschenk ihre Etuden brachten, mit denen ihre Räume ausgeschmückt wurden, die sich in ganz München sehen lassen konnten: sie waren kokett eingerichtet, von außen war es in den Fenstern dunkel von schweren herabgelassenen Vorhängen – da glühte nur ein rotes Lämpchen an einer Rute über dem Eingang und ließ verlauten: „Simplicissimus bleibt wach!“ Nach zehn füllte sich das Lokal; und das ging – das war in ganz München bekannt – bis zwölf, oft bis zum frühen Morgen, wenn Kathi ausgerechnet hatte, dass eine Überschreitung der Polizeistunde die ganzen Strafkosten decken würde; sie stand dann auf und ließ mit graziösem Lächeln die Bemerkung fallen: „Also, Kinder, heute wollen wir feiern!“
(Andrej Belyi: Café Simplicissimus, zit. nach Schmitz, Walter [Hg.]: Die Münchner Moderne, a.a.O., S. 508)
Und so lässt Joachim Ringelnatz sein Simplicissimus-Lied mit den Worten beginnen: „Mitternacht ist`s. Längst im Bette / Liegt der Spießer steif und tot./ Ja, dann winkt das traulich nette/ Simpel-Gasglüh-Morgenrot.“ In seinen Memoiren schwärmt er von der „Künstlerkneipe!“ und dem „Künstlerleben!“:
Der „Simpl“ war der Mittelpunkt der Boheme und war weltbekannt geworden, Wer in München lebte oder studierte, ging dorthin. Wer durch München reiste, kehrte bei Kathi ein. Ja, es kamen Leute aus Amerika und andern Ländern weit her, nur um sie und ihre Künstlerkneipe kennenzulernen. Die jungen Künstler sangen zur Laute oder zum Klavier. Andere tanzten, führten Theaterszenen, Zauberkünste vor, jede Art künstlerischer Unterhaltung ward geboten. Anfangs geschah das improvisiert, später, als die Kathi dadurch viel Geld gewann, nach Vereinbarung und gegen Bezahlung, allerdings sehr spärliche Bezahlung.
(Joachim Ringelnatz: Memoiren, zit. nach Schwab, Hans-Rüdiger [Hg.]: München, Dichter sehen eine Stadt, a.a.O., S. 180)
Kathi Kobus, Wirtin des Simplicissimus 1865-1929 (c) Bayerische Staatsbibliothek / Bildarchiv
Davon weiß auch die aus Flensburg stammende Diseuse und Schriftstellerin Emmy Hennings in ihrem Buch Das flüchtige Spiel ein Lied zu singen:
Im Simplizissimus war es üblich, dass die Künstler nach den Darbietungen im Publikum ihre Postkarten verkauften, eine Nebeneinnahme, die uns sehr erwünscht war, weil Kathi uns keine hohe Gage zahlen konnte. Dafür taten Marietta, unserer reizende Diseuse, und ich uns allabendlich an einer Leberknödelsuppe gütlich, die uns gratis gespendet wurde, während der Dichter Joachim Ringelnatz, der auch hier auftrat und der damals nur in München bekannt war, soviel trinken durfte wie er Lust hatte.
(Emmy Hennings: Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau [1940], zit. nach zitiert nach Schwab, Hans-Rüdiger [Hg.]: München, Dichter sehen eine Stadt, a.a.O., S. 180)
--------------------------------------------------------------------------
Biegen Sie an der nächsten Ecke nach rechts in die Schellingstraße ab. Das nächste Ziel befindet sich nach ca. 200 m auf der rechten Seite.
Zur Station 7 von 17 Stationen
Verfasser: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt