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Fotografie einer Zeichnung, Dezember 1959 (Bayerische Staatsbibliothek/Porträtsammlung)

Lieblstraße 17: Der Dschungel der Kindheit

Georg Brittings Kindheitsgeschichten spielen fast immer in den Ferien, an schulfreien Tagen oder an Wochenenden. Für die Schule war auch in seinen Geschichten wenig Platz. „Leben war [für Georg Britting] Freiheit der Jugendbanden im Räuberspiel am Dom, in den Dschungeln der Altwässer, im Fischwildern, in der Verhöhnung des Fischer-Jakl, war das Übertreten von Schulverboten und Zwang, war auch verbotener Theater- oder Varietébesuch“, erklärt Albrecht Weber.

Britting selbst stellt seine Kindheit in Regensburg als eine sehr glückliche Kindheit dar, eng verwoben mit dem Donaustrom und seiner Heimat: „Wir Buben waren meist unten an der Donau, beim Eisernen Steg, d.h. als der noch nicht gebaut war“, so Konrad Färber in seinem Artikel Zur Werksgeschichte und Biographie – Georg Britting in der Mittelbayerischen Zeitung vom 29. Apirl 1964. Seine Erzählungen, wie etwa Der Sturz in die Wolfsschlucht  handeln unter anderem von sonntäglichen Familienausflügen, „die unter den strengen Augen der Erwachsenen mir mehr eine lästige Pflicht zu sein schienen denn ein Vergnügen“. Hans Dieter Schäfer zeichnet in einem Aufsatz Britting und Regensburg ein lebhaftes Bild vom Regensburg der Kindertage Brittings: „Die meisten Straßen vor den Haustüren waren offen für Spiele“, die „Auen, die sich rechts und links unterhalb der Steinernen Brücke dschungelartig ausbreiteten, hielten geheimnisvolle Aufenthaltsorte bereit und entzündeten die Phantasie der Kinder“.

Die Regensburger Donau-Auen, Fotografie um 1900

Britting, aufgewachsen an der Donau, erinnert sich an seine Kindheit in Regensburg auch in Novellen, die von wilden „Knabenspielen“ handeln. In den Erzählungen Brudermord im Altwasser und Fischfrevel an der Donau finden sich neben Beschreibungen der Natur und von Regensburg auch Schilderungen des kindlichen Lebens, wie es Britting vielleicht selbst geführt hat. Er erzählt von einer Kindheit an „grünschwarze[n] Tümpel[n], von Weiden überhangen“, vom „großen, grünen Strom“ und von Fischen, dem „Fischkönig, […] ein Raubtier mit zackiger, kratzender Rückenflosse, mit bösen Augen und einem gefräßigen Maul, grünschwarz schillernd wie das Wasser, darin er jagt.“ Schäfer berichtet von einem Zeitungsartikel des Regensburger Anzeiger mit dem Titel „Fischerei-Frevel“, in dem Kinder verwarnt wurden, „die fischend an nicht geschlossenen Gewässern angetroffen werden“, da Tierquälerei vermieden werden sollte. Eben davon ist auch in der Erzählung Fischfrevel an der Donau die Rede, die auf diesen Zeitungsartikel Bezug zu nehmen scheint:

Da war die Donau, mächtig, wie in Stößen schien sie manchmal schneller zu fließen, drüben waren die Weisen, das Dorf war da, die Hügel jenseits, der Himmel über mir, ein paar Schwalben schossen dicht überm Wasser hin, die Sonne war schon heraufgekommen, wärmte nicht, leuchtete bloß, und als ich wieder hinabsah in den Fischkessel, da schwamm und stieg und glitt und blitzte immer noch das Fischdutzend. […] Sie mit der Hand zu fangen, wie es fast möglich schien, wollte ich doch nicht versuchen, aber hier konnte man angeln auf die einfachste Art […]. Eine große Brachse stand fast am Boden des Lochs, und da ließ ich den Köder noch tiefer sinken, bis er dicht vorm Maul des scheibenflachen Tieres hing. Der Fisch stieß ein paarmal mit dem Maul gegen den Köder, schwamm rückwärts, als nehme er Anlauf, schoss vor, schnappte zu, ich riss die Angelgerte entgegen der Richtung des Stoßes der Brachse, damit der Haken fest in ihren Gaumen dringe, schon straffte sich die Schnur, ich spürte den Ruck, ich sah den Fisch sich winden und krümmen[…] und dann schleuderte ich sie heraus ans Licht und ans Ufer.

Auch Brittings Erzählung Brudermord im Altwasser zeichnet einerseits eine glückliche Kindheit inmitten der abenteuerlichen freien Natur nach: „Kein besserer Ort ist zu finden für Knabenspiele als dieses gründämmernde Gebiet.“ Andererseits spielt sie in einer Zeit, in der Kindersterblichkeit keine Besonderheit ist. „Anders als heute verlief das Leben viel ungesicherter; Tod durch Ertrinken bei Kahnfahrten oder beim Baden gehörten zum Alltag; der Anzeiger musste […] 1898 von mehreren Unfällen berichten“, so Schäfer. Britting behauptet von sich selbst, als Kind dreimal fast ertrunken zu sein. Seine Erzählung Brudermord im Altwasser erzählt von der tragischen Alltäglichkeit solcher Unfälle während einer Kindheit am Donaustrom.

Die drei Hofberger Buben, elfjährig, zwölfjährig, dreizehnjährig, waren damals im August jeden Tag auf den heißen Steindämmen, hockten unter Weiden, waren Indianer im Dickicht und Wurzelgeflecht, pflückten Brombeeren, die schwarzfeucht, stachlig geschützt, glänzten, schlichen durch das Schilf, das in hohen Stangen wuchs, schnitten sich Weidenruten, rauften, schlugen auch wohl einmal dem Jüngsten, dem Elfjährigen, eine tiefe Schramme, dass sein Gesicht rot beschmiert war wie eine Menschenfressermaske, brachen wie Hirsche und schreiend durch Buschwerk und Graben zur breitfließenden Donau vor, wuschen den blutigen Kopf, und die Haare deckten die Wunde dann, und waren gleich wieder versöhnt.

Donau-Impression

Nelly Lemaire spricht in ihrer Interpretation der Erzählung von Jungen, die ein wildes und ungezähmtes Leben führen und ähnlich wie das Altwasser undurchsichtig und befremdlich roh erscheinen, gleich einer elementaren Urgewalt. Der Schriftsteller Harald Grill, ein Bekannter Georg Brittings, erkennt darin auch seine eigene Kindheit an der Regensburger Donau wieder: „Auch meine Freunde spielten darin eine Rolle“. Auch diese Erzählung scheint angestoßen durch einen Zeitungsbericht von 1898, in dem es heißt: „In der Wassergasse zu Stadtamthof gefiel es vorgestern einem Knaben, seinen Spielgefährten, den ca. 5 Jahre alten Sohn des Taglöhners Moritz in den Seitenarm der Donau zu stoßen.“ Britting lässt seine Geschichte tragisch enden:

Und dann lag der jüngste im Wasser und schrie, und ging unter und schlug von unten gegen das Boot, und schrie nicht mehr und pochte nicht mehr und kam auch nicht mehr unter dem Boot hervor, unter dem Boot nicht mehr hervor, nie mehr.

 


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Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Anna Keil

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