München, Prinzregentenstraße 50: Wedekinds Wohnung
Wedekind mit Familie, rechts Unbekannte (Bayerische Staatsbibliothek/Hoffmann). Außenansicht Prinzregentenstraße 50 (c) Literaturportal Bayern.
Am Ende seiner Gastspielzeit in München, im Herbst 1907, beschließt Wedekind, Berlin aufzugeben und seinen Wohnort wieder nach München zu verlegen. Ende Mai 1908 wird er fündig: Seine Wohnung im dritten Stock der Prinzregentenstraße 50 ist vornehm, ist früher Sitz des argentinischen Konsulats gewesen und liegt direkt gegenüber der Preußischen Gesandtschaft (heute: Bayerische Staatskanzlei). Sie hat acht Zimmer, wobei jedes Zimmer nach Wedekinds Anweisungen tapeziert wird – das Esszimmer dunkelblau, sein Arbeitszimmer rot und ein Schlafzimmer blassweiß, Tillys Boudoir orange und ein weiteres Schlafzimmer blaublumig, während Anna Pamelas Kinderzimmer einen rosafarbenen Anstrich bekommt. Einen Gesamtüberblick über die gemeinsame Wohnung gibt Tilly in ihren Erinnerungen:
Die Wirtschaftsräume und zwei Schlafzimmer gingen nach Süden mit einem ziemlich weiten Ausblick über den kastanienbestandenen Garten eines kleinen Nonnenklosters, in dem die Kinder aus der Klosterschule sangen und spielten; es war lustig und sonnig und grün. Vorne nach Norden, wo die großen repräsentativen Räume zur Straße hin lagen, war alles mehr kalte Pracht. Wie schon in Berlin, richtete sich Frank das größte Zimmer, das geradezu ein Saal war, als Arbeitszimmer ein: mit rotem Teppich und roter Tapete, roten Vorhängen aus billigem Stoff, mit gelben Borten eingefaßt, gelb gebeizten und rot gestrichenen Bücherregalen und Sesseln, auch möglichst rot, in einem großen Kreis arrangiert, mit seinem Büroschreibtisch im Hintergrund. Darüber das Gemälde von mir als Lulu, an den Wänden die Laute, die Gitarre, die Mandoline, die Flöte, die stumme Geige, Cinellen, und was er sonst noch an Instrumenten spielte. Dazwischen unzählige Rollenbilder von mir, Familienfotos, aber auch Ausschnitte aus La Vie Parisienne, die er hatte rahmen lassen. Zu beiden Seiten eines hohen rotgerahmten Spiegels waren die Kugel und die Trommel aufgestellt. Das Ganze wirkte wie eine mit Büchern und Büroutensilien ausgestattete Zirkusarena. (Tilly Wedekind: Lulu. Die Rolle meines Lebens. In: Wo die Geister wandern, S. 41f.)
Einen nicht weniger differenzierten Eindruck gibt der Schriftsteller und Verlagslektor Max Krell in seinem Buch Das alles gab es einmal über Wedekinds Arbeitszimmer:
[...] nirgends war etwas Dekoratives zu entdecken, bis auf die große Kugel, wie Equilibristen in der Manege sie haben, ein Erinnerungsstück an die frühe Wanderzeit mit dem Zirkus Herzog. Gegen die lange Innenwand aufgereiht standen Büroschränke von gelber fiskalischer Nüchternheit, sie enthielten die peinlich geführte Registratur seines Lebens, die kein Buchhalter hätte sachlicher in Ordnung halten können; gewiß auch Manuskripte, vor allem aber aus Jahrzehnten Rechnungen für Licht, Gas, Telefon, Hausputz, die Korrespondenz, für jeden Zweck und Augenblick griffbereit. (Max Krell: Das alles gab es einmal. In: Unsterbliches München, S. 289)
Das Leben ordnet sich dabei nach bestimmten zeitlichen Abläufen: Wedekind stellt sich jeden Morgen auf die Waage, macht Gymnastik, übt mit Tilly Rollen, Lieder und das Gehen auf seiner Lauftrommel. Nach dem gemeinsamen Mittagessen, nachmittags um zwei Uhr, läuft er an der Isar entlang nach Thalkirchen oder ans Nordende des Englischen Gartens zum Wirtshaus Aumeister. Alternativ spielt, musiziert, tanzt und singt er mit seinen beiden Töchtern Anna Pamela und Fanny Kadidja, die 1911 geboren wird.
Doch der schöne Schein trügt. Mitte September 1908 erscheint Wedekinds Schlüsselstück Oaha bei Bruno Cassirer, eine Travestie auf den Verleger Albert Langen, dessen Frau Dagny Bjørnson und die Redaktion des Simplicissimus. Die Zeitschrift schießt ihrerseits mit einer Karikatur unter dem Titel „Der Satanist“ zurück und zeigt Wedekind als schmerbäuchigen satanischen Dichter „Franz Wedelgrind“, den zwei Richter vor dem königlichen Gericht in Leipzig lächerlich machen; Text und Illustration dazu stammen von Ludwig Thoma (Peter Schlemihl) und Olaf Gulbransson. Zwischen Wedekind und Langen kommt es zum endgültigen Bruch, Langen verkauft seine Wedekind-Bestände an Bruno Cassirer.
Darüber hinaus gibt es Probleme mit der Aufführung von Wedekinds Stücken. 1908 wird in München unter Polizeipräsident Julius von der Heydte ein Zensurbeirat berufen, der danach fragt, ob etwas genehmigungstauglich und aufführbar ist oder nicht, und so für eine verschärfte polizeiliche Überwachung des örtlichen Kulturbetriebs sorgt. Den Mitgliedern gehören neben pensionierten Gymnasialdirektoren, Professoren und Studienräten zeitweise Max Halbe (1908-1911) und Thomas Mann an (1912-13). Während Wedekinds Frühlings Erwachen noch unter Kürzungen durch den Beirat kommt, plädiert dieser 1908 und 1910 jeweils mehrheitlich für ein Aufführungsverbot von Die Büchse der Pandora. Ein ebenso ablehnendes Votum gibt es 1908 und 1911 für Oaha. Nachdem im April 1913 Wedekinds Tragödie in fünf Akten Lulu verboten wird, tritt Thomas Mann aus dem Gremium aus.
Zwischen 1908 und 1918 ist kein anderer Autor so häufig mit Aufführungsverboten belegt oder hat mit Zensurschwierigkeiten zu kämpfen wie Frank Wedekind. Ein Grund liegt in der gesellschaftlich herrschenden rigiden Sexualmoral, die den Autor der Unsittlichkeit in seinem Werk bezichtigt.
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Wedekind mit Familie, rechts Unbekannte (Bayerische Staatsbibliothek/Hoffmann). Außenansicht Prinzregentenstraße 50 (c) Literaturportal Bayern.
Am Ende seiner Gastspielzeit in München, im Herbst 1907, beschließt Wedekind, Berlin aufzugeben und seinen Wohnort wieder nach München zu verlegen. Ende Mai 1908 wird er fündig: Seine Wohnung im dritten Stock der Prinzregentenstraße 50 ist vornehm, ist früher Sitz des argentinischen Konsulats gewesen und liegt direkt gegenüber der Preußischen Gesandtschaft (heute: Bayerische Staatskanzlei). Sie hat acht Zimmer, wobei jedes Zimmer nach Wedekinds Anweisungen tapeziert wird – das Esszimmer dunkelblau, sein Arbeitszimmer rot und ein Schlafzimmer blassweiß, Tillys Boudoir orange und ein weiteres Schlafzimmer blaublumig, während Anna Pamelas Kinderzimmer einen rosafarbenen Anstrich bekommt. Einen Gesamtüberblick über die gemeinsame Wohnung gibt Tilly in ihren Erinnerungen:
Die Wirtschaftsräume und zwei Schlafzimmer gingen nach Süden mit einem ziemlich weiten Ausblick über den kastanienbestandenen Garten eines kleinen Nonnenklosters, in dem die Kinder aus der Klosterschule sangen und spielten; es war lustig und sonnig und grün. Vorne nach Norden, wo die großen repräsentativen Räume zur Straße hin lagen, war alles mehr kalte Pracht. Wie schon in Berlin, richtete sich Frank das größte Zimmer, das geradezu ein Saal war, als Arbeitszimmer ein: mit rotem Teppich und roter Tapete, roten Vorhängen aus billigem Stoff, mit gelben Borten eingefaßt, gelb gebeizten und rot gestrichenen Bücherregalen und Sesseln, auch möglichst rot, in einem großen Kreis arrangiert, mit seinem Büroschreibtisch im Hintergrund. Darüber das Gemälde von mir als Lulu, an den Wänden die Laute, die Gitarre, die Mandoline, die Flöte, die stumme Geige, Cinellen, und was er sonst noch an Instrumenten spielte. Dazwischen unzählige Rollenbilder von mir, Familienfotos, aber auch Ausschnitte aus La Vie Parisienne, die er hatte rahmen lassen. Zu beiden Seiten eines hohen rotgerahmten Spiegels waren die Kugel und die Trommel aufgestellt. Das Ganze wirkte wie eine mit Büchern und Büroutensilien ausgestattete Zirkusarena. (Tilly Wedekind: Lulu. Die Rolle meines Lebens. In: Wo die Geister wandern, S. 41f.)
Einen nicht weniger differenzierten Eindruck gibt der Schriftsteller und Verlagslektor Max Krell in seinem Buch Das alles gab es einmal über Wedekinds Arbeitszimmer:
[...] nirgends war etwas Dekoratives zu entdecken, bis auf die große Kugel, wie Equilibristen in der Manege sie haben, ein Erinnerungsstück an die frühe Wanderzeit mit dem Zirkus Herzog. Gegen die lange Innenwand aufgereiht standen Büroschränke von gelber fiskalischer Nüchternheit, sie enthielten die peinlich geführte Registratur seines Lebens, die kein Buchhalter hätte sachlicher in Ordnung halten können; gewiß auch Manuskripte, vor allem aber aus Jahrzehnten Rechnungen für Licht, Gas, Telefon, Hausputz, die Korrespondenz, für jeden Zweck und Augenblick griffbereit. (Max Krell: Das alles gab es einmal. In: Unsterbliches München, S. 289)
Das Leben ordnet sich dabei nach bestimmten zeitlichen Abläufen: Wedekind stellt sich jeden Morgen auf die Waage, macht Gymnastik, übt mit Tilly Rollen, Lieder und das Gehen auf seiner Lauftrommel. Nach dem gemeinsamen Mittagessen, nachmittags um zwei Uhr, läuft er an der Isar entlang nach Thalkirchen oder ans Nordende des Englischen Gartens zum Wirtshaus Aumeister. Alternativ spielt, musiziert, tanzt und singt er mit seinen beiden Töchtern Anna Pamela und Fanny Kadidja, die 1911 geboren wird.
Doch der schöne Schein trügt. Mitte September 1908 erscheint Wedekinds Schlüsselstück Oaha bei Bruno Cassirer, eine Travestie auf den Verleger Albert Langen, dessen Frau Dagny Bjørnson und die Redaktion des Simplicissimus. Die Zeitschrift schießt ihrerseits mit einer Karikatur unter dem Titel „Der Satanist“ zurück und zeigt Wedekind als schmerbäuchigen satanischen Dichter „Franz Wedelgrind“, den zwei Richter vor dem königlichen Gericht in Leipzig lächerlich machen; Text und Illustration dazu stammen von Ludwig Thoma (Peter Schlemihl) und Olaf Gulbransson. Zwischen Wedekind und Langen kommt es zum endgültigen Bruch, Langen verkauft seine Wedekind-Bestände an Bruno Cassirer.
Darüber hinaus gibt es Probleme mit der Aufführung von Wedekinds Stücken. 1908 wird in München unter Polizeipräsident Julius von der Heydte ein Zensurbeirat berufen, der danach fragt, ob etwas genehmigungstauglich und aufführbar ist oder nicht, und so für eine verschärfte polizeiliche Überwachung des örtlichen Kulturbetriebs sorgt. Den Mitgliedern gehören neben pensionierten Gymnasialdirektoren, Professoren und Studienräten zeitweise Max Halbe (1908-1911) und Thomas Mann an (1912-13). Während Wedekinds Frühlings Erwachen noch unter Kürzungen durch den Beirat kommt, plädiert dieser 1908 und 1910 jeweils mehrheitlich für ein Aufführungsverbot von Die Büchse der Pandora. Ein ebenso ablehnendes Votum gibt es 1908 und 1911 für Oaha. Nachdem im April 1913 Wedekinds Tragödie in fünf Akten Lulu verboten wird, tritt Thomas Mann aus dem Gremium aus.
Zwischen 1908 und 1918 ist kein anderer Autor so häufig mit Aufführungsverboten belegt oder hat mit Zensurschwierigkeiten zu kämpfen wie Frank Wedekind. Ein Grund liegt in der gesellschaftlich herrschenden rigiden Sexualmoral, die den Autor der Unsittlichkeit in seinem Werk bezichtigt.
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