München, Akademiestraße 15: Brechts letzte Wohnung
Beginnen wir mit dem Ende, der letzten Wohnung Brechts in München, Akademiestraße 15/0 (heute Neubau), vor der Kunstakademie [Abb. 1]. Hier wohnte der junge Dramatiker Bertolt Brecht (1898-1956) im Herbst 1923 mit Frau und Kind, bevor er im Anfang 1924 allein nach Berlin umzog. Verheiratet seit November 1922 mit der fünf Jahre älteren Opernsängerin Marianne Zoff (1893-1984) [Abb. 2], schrieb er aufgrund einer Reise von Frau und Kind nach Pichling bei Wien in Berlin Ende August 1923 in einer Nachschrift zu einem Brief an seine Frau an die gemeinsame, halbjährige Tochter Hanne (1923-2009), sie, Hanne, solle zurückkehren und „nach dem Rechten sehen“: „Die Adresse Deines Vaters ist Akademiestraße 15. Die Stadt heißt München, das Land Bayern, der Stern Erde.“[1] Dass das nicht nur ein Scherz war, sondern durch die möglicherweise unsichere Rückkehr die ehelichen Probleme andeutete, die 1927 zur Scheidung führten, gibt diesem Brief eine besondere Note.[2]
Abb. 2: Brecht mit seiner Frau Marianne, um 1922. Fotograf unbekannt, hier reproduziert nach: Hecht, Werner (Hg.): Bertolt Brecht. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt/M. 1988, S. 49, Abb. 60.
Brecht war seit der erfolgreichen Uraufführung der „Komödie“ Trommeln in der Nacht am 29. September 1922 in den Kammerspielen an der Augustenstraße 89 (Station 10) der neue Star einer bürgerlichen Theaterwelt, die vor lauter Lob und Preis nicht gleich bemerkte, dass hier einer ihrer größten Kritiker die Bühnenbretter erobert hatte. Bis dahin war der junge Brecht in Augsburg ein Rebell aus gutem Hause. Die Eltern, der Prokurist und spätere Direktor der Papierfabrik Haindl, Berthold Friedrich Brecht (1869-1939), und seine Frau Sophie, geb. Brezing (1871-1920), lebten mit zwei Söhnen in guten Verhältnissen in einer fabrikeigenen Wohnanlage nahe der sogenannten „Kahnfahrt“ am Lech. Der Jungdichter Eugen Berthold Brecht, von der Familie „Eugen“ (sprich: Eigen), von den Freunden „Bert“ genannt, gab sich später anlässlich seiner ersten Buchpublikationen, der Dramen Baal (Potsdam 1922) [Abb. 3] und Trommeln in der Nacht (München 1922) [Abb. 4], erstmals öffentlich den Kunstnamen „Bertolt Brecht“.[3]
Abb. 3: Bertolt Brecht: Potsdam, Gustav Kiepenheuer Verlag, 1922. Erste öffentliche Ausgabe der ersten Veröffentlichung Brechts. Umschlagzeichnung vermutlich von Brechts Freund Caspar Neher. Privatbesitz.
Angeregt zu dem zweiten ‚t‘ im Vornamen hatte ihn sein Kollege Arnolt (vormals Arnold) Bronnen (1895-1959), der Autor des Dramas Vatermord (1920), und ein wenig wohl auch der naturalistische Dramatiker und ‚Klassiker‘ Gerhart Hauptmann (1862-1946), dem damit von den jungen Kollegen eine eigenwillige Reverenz erwiesen wurde. Seit 1919 war Brecht Vater eines außerehelich geborenen Sohnes, dem er den Vornamen Frank nach seinem Vorbild Frank Wedekind gegeben hatte. Frank Banholzer (1919-1943), das Kind Brechts mit seiner Augsburger Jugendliebe, der Arzttochter Paula Banholzer (später Groß, 1901-1989), starb im November 1943 als Obergefreiter der Wehrmacht im Westen Russlands bei einem Angriff von Partisanen auf ein Kino.[4]
Zur Station 2 und 3 von 11 Stationen
[1] Bertolt Brecht: Brief an Marianne Zoff-Brecht und Hanne Brecht, Berlin, Ende August/Anfang September 1923. In: Ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus Detlef Müller. Bd. 1-30. Berlin und Weimar/Frankfurt 1989-1998 (hinfort GBA), Bd. 28, Briefe 1, Nr. 225, S. 199f., hier S. 200. Die Erde ist freilich kein Stern, sondern ein Planet.
[2] Vgl. den Brief Brechts aus München, Akademiestraße 15, an Marianne Zoff-Brecht vom Oktober 1923. In: Ebenda, Nr. 230, S. 203f. Zur Hochzeit und Scheidung vgl. Heißerer, Dirk; Löffelmeier, Anton: „Es war eine stille, kleine Hochzeit“. Ein Quellenfund im Stadtarchiv München zu Brechts Eheschließung 1922 mit Marianne Zoff (sowie zur Scheidung 1927). In: Dreigroschenheft (Augsburg), Jg. 19, H. 3, 2012, S. 3-9, online abrufbar unter: https://www.dreigroschenheft.de/downloads/3gh2012-3.pdf.
[3] Die erste Ausgabe des Baal bei Georg Müller war noch unter dem Autorennamen „Bert Brecht“ erschienen, vgl. die Abb. des Titels in: Gier, Helmut; Hillesheim, Jürgen: Und dort im Lichte steht Bert Brecht: Rein. Sachlich. Böse. Die Schätze der Brechtsammlung der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Kat.-Ausst. Augsburg 2014, S. 111 (zu Nr. 44).
[4] Vgl. Friedrichs, Michael: Neue Ausstellungsstücke im Augsburger Brechthaus. Dokumente zu Frank Banholzer und Siegfried Weigl. In. Dreigroschenheft (Augsburg), Jg. 24, H. 4, 2017, S. 34-39, online abrufbar unter: https://www.dreigroschenheft.de/downloads/3gh2017-4abo.pdf.
Beginnen wir mit dem Ende, der letzten Wohnung Brechts in München, Akademiestraße 15/0 (heute Neubau), vor der Kunstakademie [Abb. 1]. Hier wohnte der junge Dramatiker Bertolt Brecht (1898-1956) im Herbst 1923 mit Frau und Kind, bevor er im Anfang 1924 allein nach Berlin umzog. Verheiratet seit November 1922 mit der fünf Jahre älteren Opernsängerin Marianne Zoff (1893-1984) [Abb. 2], schrieb er aufgrund einer Reise von Frau und Kind nach Pichling bei Wien in Berlin Ende August 1923 in einer Nachschrift zu einem Brief an seine Frau an die gemeinsame, halbjährige Tochter Hanne (1923-2009), sie, Hanne, solle zurückkehren und „nach dem Rechten sehen“: „Die Adresse Deines Vaters ist Akademiestraße 15. Die Stadt heißt München, das Land Bayern, der Stern Erde.“[1] Dass das nicht nur ein Scherz war, sondern durch die möglicherweise unsichere Rückkehr die ehelichen Probleme andeutete, die 1927 zur Scheidung führten, gibt diesem Brief eine besondere Note.[2]
Abb. 2: Brecht mit seiner Frau Marianne, um 1922. Fotograf unbekannt, hier reproduziert nach: Hecht, Werner (Hg.): Bertolt Brecht. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt/M. 1988, S. 49, Abb. 60.
Brecht war seit der erfolgreichen Uraufführung der „Komödie“ Trommeln in der Nacht am 29. September 1922 in den Kammerspielen an der Augustenstraße 89 (Station 10) der neue Star einer bürgerlichen Theaterwelt, die vor lauter Lob und Preis nicht gleich bemerkte, dass hier einer ihrer größten Kritiker die Bühnenbretter erobert hatte. Bis dahin war der junge Brecht in Augsburg ein Rebell aus gutem Hause. Die Eltern, der Prokurist und spätere Direktor der Papierfabrik Haindl, Berthold Friedrich Brecht (1869-1939), und seine Frau Sophie, geb. Brezing (1871-1920), lebten mit zwei Söhnen in guten Verhältnissen in einer fabrikeigenen Wohnanlage nahe der sogenannten „Kahnfahrt“ am Lech. Der Jungdichter Eugen Berthold Brecht, von der Familie „Eugen“ (sprich: Eigen), von den Freunden „Bert“ genannt, gab sich später anlässlich seiner ersten Buchpublikationen, der Dramen Baal (Potsdam 1922) [Abb. 3] und Trommeln in der Nacht (München 1922) [Abb. 4], erstmals öffentlich den Kunstnamen „Bertolt Brecht“.[3]
Abb. 3: Bertolt Brecht: Potsdam, Gustav Kiepenheuer Verlag, 1922. Erste öffentliche Ausgabe der ersten Veröffentlichung Brechts. Umschlagzeichnung vermutlich von Brechts Freund Caspar Neher. Privatbesitz.
Angeregt zu dem zweiten ‚t‘ im Vornamen hatte ihn sein Kollege Arnolt (vormals Arnold) Bronnen (1895-1959), der Autor des Dramas Vatermord (1920), und ein wenig wohl auch der naturalistische Dramatiker und ‚Klassiker‘ Gerhart Hauptmann (1862-1946), dem damit von den jungen Kollegen eine eigenwillige Reverenz erwiesen wurde. Seit 1919 war Brecht Vater eines außerehelich geborenen Sohnes, dem er den Vornamen Frank nach seinem Vorbild Frank Wedekind gegeben hatte. Frank Banholzer (1919-1943), das Kind Brechts mit seiner Augsburger Jugendliebe, der Arzttochter Paula Banholzer (später Groß, 1901-1989), starb im November 1943 als Obergefreiter der Wehrmacht im Westen Russlands bei einem Angriff von Partisanen auf ein Kino.[4]
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[1] Bertolt Brecht: Brief an Marianne Zoff-Brecht und Hanne Brecht, Berlin, Ende August/Anfang September 1923. In: Ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus Detlef Müller. Bd. 1-30. Berlin und Weimar/Frankfurt 1989-1998 (hinfort GBA), Bd. 28, Briefe 1, Nr. 225, S. 199f., hier S. 200. Die Erde ist freilich kein Stern, sondern ein Planet.
[2] Vgl. den Brief Brechts aus München, Akademiestraße 15, an Marianne Zoff-Brecht vom Oktober 1923. In: Ebenda, Nr. 230, S. 203f. Zur Hochzeit und Scheidung vgl. Heißerer, Dirk; Löffelmeier, Anton: „Es war eine stille, kleine Hochzeit“. Ein Quellenfund im Stadtarchiv München zu Brechts Eheschließung 1922 mit Marianne Zoff (sowie zur Scheidung 1927). In: Dreigroschenheft (Augsburg), Jg. 19, H. 3, 2012, S. 3-9, online abrufbar unter: https://www.dreigroschenheft.de/downloads/3gh2012-3.pdf.
[3] Die erste Ausgabe des Baal bei Georg Müller war noch unter dem Autorennamen „Bert Brecht“ erschienen, vgl. die Abb. des Titels in: Gier, Helmut; Hillesheim, Jürgen: Und dort im Lichte steht Bert Brecht: Rein. Sachlich. Böse. Die Schätze der Brechtsammlung der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Kat.-Ausst. Augsburg 2014, S. 111 (zu Nr. 44).
[4] Vgl. Friedrichs, Michael: Neue Ausstellungsstücke im Augsburger Brechthaus. Dokumente zu Frank Banholzer und Siegfried Weigl. In. Dreigroschenheft (Augsburg), Jg. 24, H. 4, 2017, S. 34-39, online abrufbar unter: https://www.dreigroschenheft.de/downloads/3gh2017-4abo.pdf.