Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (29). Und ist da an einem Ort, wo nur der Raum sich ihre Spuren merkt

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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29

Ich mag solche Orte. Sie leben alleine von ihrer Funktion. Sind ein Radio-Studio, das sich nicht dafür interessiert, was für Vorlieben oder was für einen ästhetischen Geschmack die Person hat, die gleich kommen wird. Orte, die nur aus ihrem Zweck heraus leben, und für alle immer gleich ausschauen: Wenn man kommt, schauen sie genauso aus wie beim Gehen, außer man hinterlässt etwas. Aber natürlich hinterlässt man nichts. Ich hinterlasse an solchen Orten nichts.

Das stimmt aber nicht.

Heute, als ich an diesem Ort war, hatte ich eine Telefonschaltung nach Köln und während ich mit meinem Gesprächspartner von diesem Studioraum im Bayerischen Rundfunk aus sprach und er mit mir von seinem Studioraum im Westdeutschen Rundfunk, zeichnete ich mit dem Kugelschreiber auf dem Block eine Muschelschale. Eine von diesen großen flachen, von der Form fast Austern gleichen Exemplaren und ich zeichnete fünfzehn Minuten lang an ihr herum, während ich redete und nachdachte, machte meine Hand das vollkommen sicher und die Muschel wurde ein ganz plastisches Exemplar. Sie sah gut aus. Aber es war eben eine Kugelschreibermuschelschale. Kurz überlegte ich, ob ich sie dalassen soll. Hinterlassen soll auf diesem Block, der extra meinetwegen dort platziert wurde, aber dann riss ich das Blatt ab. Ich wollte, dass der Raum alles behielt, was er hatte, als ich gekommen bin. Alles soll wieder so sein wie es vor mir war, egal also.

Der Gedanke, dass nur dieser Raum, in dem ich eine halbe Stunde lang saß, mich hat sprechen hören, mich hat malen sehen, mich hat atmen gehört, mich hat nachdenken gespürt, zögern, zweifeln, all sowas, hat mir sehr gefallen; es gab mich darin eine halbe Stunde lang, so wie es vor mir jemanden gab und nach mir jemanden gab in diesem Raum. Aber nur der Raum hat sich das gemerkt, weiß von meinen Spuren auf dem Kugelschreiber, auf dem Schreibblock, behält das eine oder andere ausgefallene Haar von mir, die eine oder andere Hautschuppe, bis ein Staubsauger kommt, atmet meine Atemluft, bis sie sich mit der nächsten Atemluft vermischt.

Ich bin also da, ohne dass man mich sieht. Ich war da.

Ich mag an solchen Orten, wie diesem Radiostudio, dass ich immer denken kann, sie sind voller unsichtbarer Menschen und Gedanken und Gefühle und Spuren, und in ihrer Kargheit deshalb sehr reich, sehr voller Leben. Man muss sich das eben nur vorstellen.

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