Bayern im Sommer 1914: Simplicissimus
[Links: Titelblatt der Zeitschrift Simplicissimus, Jg. 19, Heft 20, 17. August 1914. Die beiden Hefte 18 und 19 sind im Zuge des Kriegsausbruchs nicht in den Verkauf gelangt. Rechts: Titelblatt der ersten Nummer der „Kriegsflugblätter“ des Simplicissimus, Anfang August 1914; darunter ein Kriegsgedicht von Ludwig Thoma.]
In staatlich protegierten Veröffentlichungen wird der Frontalltag bayerischer Soldaten zu Zwecken der Propaganda verharmlost: Die Begeisterung der ersten Augusttage 1914 soll auch in den Folgejahren anhalten und deshalb gefördert werden.
In der Redaktion der Satirezeitschrift Simplicissimus herrscht Uneinigkeit darüber, ob ein Satireblatt in Zeiten des Großen Krieges opportun ist oder nicht. Ludwig Thoma will die Zeitschrift einstellen, der Karikaturist Thomas Theodor Heine hält dagegen mit der Forderung von mehr Patriotismus in der Zeitschrift „zur Unterstützung der Kriegsführung“.
Als Resultat erscheinen in Folge – neben den „Kriegsflugblättern“ des Simplicissimus – eigenständige „Kampfschriften in Bild und Wort“ mit den so typischen Titeln wie „Gott strafe England!“ oder „Franzos und Russ in Spiritus“. Die Broschüren sind für jeweils eine Mark im damaligen Handel erhältlich. Darüber hinaus besuchen einige der Simplicissimus-Zeichner die Kriegsgefangenenlager in Puchheim und Lechfeld, um Typenstudien „der gegen uns im Feld stehenden Völker“ zu betreiben.
Der Schriftsteller Erich Mühsam schildert die Situation in seiner Anekdote „Was ist Wahrheit?“:
Ende August 1914. „Was sagen Sie zum Simplicissimus?“ fragte ich wütend Frank Wedekind und zeigte ihm die neue Nummer, die von der ersten bis zur letzten Seite nichts als die tollsten Kriegshetzereien und die übelsten Schmähungen der gegnerischen Nationen enthielt. „Diese schamlose Verleugnung aller Traditionen des Blattes! Diese Heuchelei! Jedes Wort ist doch eine innere Lüge!“
Wedekind grinste boshaft. „Sie täuschen sich, Herr Mühsam. Der Simplicissimus lügt nicht. Dies ist seine wahre Meinung. Gelogen hat er die zwanzig Jahre vorher!“
(Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, S. 270)
Wedekind ist es auch, der in seinem Schlüsselstück Oaha. Die Satire der Satire (1908) den politischen Kurswechsel des Simplicissimus ausschlachten wird: die Verlags- und Literatursatire, in der das opportunistische Geschäfts- und Erfolgsmodell einer modernen illustrierten Zeitschrift angeprangert wird, bringt er 1916 unter dem Namen Till Eulenspiegel neu heraus. (Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 99f.)
Die patriotische Ausrichtung des Simplicissimus führt dazu, dass im gleichen Jahr dem Verlag der Ehrentitel einer „offiziellen Feldbuchhandlung der 3. bayerischen Armee“ vom Generalkommando verliehen wird. Die Ehrung hat aber unerwünschte Folgen: die bayerische Königin Marie Therese reagiert entsetzt, und das erzbischöfliche Ordinariat protestiert beim Königlich Bayerischen Innenministerium. Die Gründe liegen auf der Hand: die frühere Ausrichtung der Zeitschrift als kulturell-politisches Satireorgan wird als „Schmähung“ ihrer Zielobjekte Staat und Kirche verstanden; die jetzige Ehrung erscheint vor diesem Hintergrund wie ein gemeiner „Dank“ dafür.
(Wilhelm, Hermann [2013]: München im Ersten Weltkrieg, S. 70)
(Rösch, Gertrud M. [1989]: Ludwig Thoma als Journalist, S. 288-291)
(Thumser, Gerd [1966]: Ludwig Thoma und seine Welt, S. 181ff.)
Weitere Kapitel:
[Links: Titelblatt der Zeitschrift Simplicissimus, Jg. 19, Heft 20, 17. August 1914. Die beiden Hefte 18 und 19 sind im Zuge des Kriegsausbruchs nicht in den Verkauf gelangt. Rechts: Titelblatt der ersten Nummer der „Kriegsflugblätter“ des Simplicissimus, Anfang August 1914; darunter ein Kriegsgedicht von Ludwig Thoma.]
In staatlich protegierten Veröffentlichungen wird der Frontalltag bayerischer Soldaten zu Zwecken der Propaganda verharmlost: Die Begeisterung der ersten Augusttage 1914 soll auch in den Folgejahren anhalten und deshalb gefördert werden.
In der Redaktion der Satirezeitschrift Simplicissimus herrscht Uneinigkeit darüber, ob ein Satireblatt in Zeiten des Großen Krieges opportun ist oder nicht. Ludwig Thoma will die Zeitschrift einstellen, der Karikaturist Thomas Theodor Heine hält dagegen mit der Forderung von mehr Patriotismus in der Zeitschrift „zur Unterstützung der Kriegsführung“.
Als Resultat erscheinen in Folge – neben den „Kriegsflugblättern“ des Simplicissimus – eigenständige „Kampfschriften in Bild und Wort“ mit den so typischen Titeln wie „Gott strafe England!“ oder „Franzos und Russ in Spiritus“. Die Broschüren sind für jeweils eine Mark im damaligen Handel erhältlich. Darüber hinaus besuchen einige der Simplicissimus-Zeichner die Kriegsgefangenenlager in Puchheim und Lechfeld, um Typenstudien „der gegen uns im Feld stehenden Völker“ zu betreiben.
Der Schriftsteller Erich Mühsam schildert die Situation in seiner Anekdote „Was ist Wahrheit?“:
Ende August 1914. „Was sagen Sie zum Simplicissimus?“ fragte ich wütend Frank Wedekind und zeigte ihm die neue Nummer, die von der ersten bis zur letzten Seite nichts als die tollsten Kriegshetzereien und die übelsten Schmähungen der gegnerischen Nationen enthielt. „Diese schamlose Verleugnung aller Traditionen des Blattes! Diese Heuchelei! Jedes Wort ist doch eine innere Lüge!“
Wedekind grinste boshaft. „Sie täuschen sich, Herr Mühsam. Der Simplicissimus lügt nicht. Dies ist seine wahre Meinung. Gelogen hat er die zwanzig Jahre vorher!“
(Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, S. 270)
Wedekind ist es auch, der in seinem Schlüsselstück Oaha. Die Satire der Satire (1908) den politischen Kurswechsel des Simplicissimus ausschlachten wird: die Verlags- und Literatursatire, in der das opportunistische Geschäfts- und Erfolgsmodell einer modernen illustrierten Zeitschrift angeprangert wird, bringt er 1916 unter dem Namen Till Eulenspiegel neu heraus. (Schneider, Uwe [2000]: Krieg, Kultur, Kunst und Kitsch, S. 99f.)
Die patriotische Ausrichtung des Simplicissimus führt dazu, dass im gleichen Jahr dem Verlag der Ehrentitel einer „offiziellen Feldbuchhandlung der 3. bayerischen Armee“ vom Generalkommando verliehen wird. Die Ehrung hat aber unerwünschte Folgen: die bayerische Königin Marie Therese reagiert entsetzt, und das erzbischöfliche Ordinariat protestiert beim Königlich Bayerischen Innenministerium. Die Gründe liegen auf der Hand: die frühere Ausrichtung der Zeitschrift als kulturell-politisches Satireorgan wird als „Schmähung“ ihrer Zielobjekte Staat und Kirche verstanden; die jetzige Ehrung erscheint vor diesem Hintergrund wie ein gemeiner „Dank“ dafür.
(Wilhelm, Hermann [2013]: München im Ersten Weltkrieg, S. 70)
(Rösch, Gertrud M. [1989]: Ludwig Thoma als Journalist, S. 288-291)
(Thumser, Gerd [1966]: Ludwig Thoma und seine Welt, S. 181ff.)