Rainer Maria Rilke über München
München, Hotel Continental,
Ottostraße am 23. Dezember 1917 (Sonntag)
Meine verehrte Fürstin,
ich habe die wenigen Tage, die ich wieder hier bin, recht unbehaglich mit aussichtsloser Wohnungssuche zugebracht, es ist nichts zu haben; meine Wohnung der letzten zwei Jahre, in der Keferstraße, wäre immer noch beziehbar und gehört mir noch halb, aber sie ist durch die Verteilung der Räume besonders schwer zu heizen – alle Welt warnt mich hineinzuziehen und die klügsten Leute empfehlen mir, überhaupt im Hotel zu bleiben, was ein Übel ist, aber von allen jetzt wählbaren Übeln, wie es scheint, das kleinste. Ich bin also gezwungen, die Hotelexistenz zunächst fortzuführen, und das nach zwei Monaten Hotelleben in Berlin und in einem Moment, wo mir ein „Nachhausekommen“ unbeschreiblich wohl getan hätte!
Rainer Maria Rilke an Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe, 23. Dezember 1917 (Zit. aus: Rainer Maria Rilke: Briefe in zwei Bänden. Erster Band 1896 bis 1919. Hg. v. Horst Nalewski. Frankfurt a. Main 1991, S. 654f.)
München, Hotel Continental
am 30. März 1918 (Kar-Samstag)
Teuere Fürstin,
der Winter für mich in diesem kleinen, von lauter Sorgen abgenutzten Hotelzimmer war eine Pein, und München wird immer mehr ein Gräuel für mich; ich stoße Schreie aus nach allen Seiten, ob nicht einer der Freunde mir eine ländliche Zuflucht geben will, wo ich im leidenschaftlichsten Anschluss an die Jahreszeit eine festere Stelle innerer Besinnung gewinnen könnte – aber die Antworten auf diese Schreie sind so wenig aussichtsvoll, dass Sie mich wohl in der zweiten Hälfte des April noch hier denken dürfen ... Schutzlos wie man in dieser Hotelexistenz ist, bin ich eben zwei Mal unterbrochen worden und komme nur nach robuster Gegenwehr an mein Schreibblatt, das ich, aus Furcht vor weiteren Verzögerungen, schnell zu Ende bringen will.
Rainer Maria Rilke an Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe, 30. März 1918 (Zit. aus: Rainer Maria Rilke: Briefe in zwei Bänden. Erster Band 1896 bis 1919. Hg. v. Horst Nalewski. Frankfurt a. Main, S. 671f.)
Rainer Maria Rilke (1875-1926), österreichischer Dichter; Aufenthalt in München: zwischen 1896 und 1919
Weitere Kapitel:
München, Hotel Continental,
Ottostraße am 23. Dezember 1917 (Sonntag)
Meine verehrte Fürstin,
ich habe die wenigen Tage, die ich wieder hier bin, recht unbehaglich mit aussichtsloser Wohnungssuche zugebracht, es ist nichts zu haben; meine Wohnung der letzten zwei Jahre, in der Keferstraße, wäre immer noch beziehbar und gehört mir noch halb, aber sie ist durch die Verteilung der Räume besonders schwer zu heizen – alle Welt warnt mich hineinzuziehen und die klügsten Leute empfehlen mir, überhaupt im Hotel zu bleiben, was ein Übel ist, aber von allen jetzt wählbaren Übeln, wie es scheint, das kleinste. Ich bin also gezwungen, die Hotelexistenz zunächst fortzuführen, und das nach zwei Monaten Hotelleben in Berlin und in einem Moment, wo mir ein „Nachhausekommen“ unbeschreiblich wohl getan hätte!
Rainer Maria Rilke an Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe, 23. Dezember 1917 (Zit. aus: Rainer Maria Rilke: Briefe in zwei Bänden. Erster Band 1896 bis 1919. Hg. v. Horst Nalewski. Frankfurt a. Main 1991, S. 654f.)
München, Hotel Continental
am 30. März 1918 (Kar-Samstag)
Teuere Fürstin,
der Winter für mich in diesem kleinen, von lauter Sorgen abgenutzten Hotelzimmer war eine Pein, und München wird immer mehr ein Gräuel für mich; ich stoße Schreie aus nach allen Seiten, ob nicht einer der Freunde mir eine ländliche Zuflucht geben will, wo ich im leidenschaftlichsten Anschluss an die Jahreszeit eine festere Stelle innerer Besinnung gewinnen könnte – aber die Antworten auf diese Schreie sind so wenig aussichtsvoll, dass Sie mich wohl in der zweiten Hälfte des April noch hier denken dürfen ... Schutzlos wie man in dieser Hotelexistenz ist, bin ich eben zwei Mal unterbrochen worden und komme nur nach robuster Gegenwehr an mein Schreibblatt, das ich, aus Furcht vor weiteren Verzögerungen, schnell zu Ende bringen will.
Rainer Maria Rilke an Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe, 30. März 1918 (Zit. aus: Rainer Maria Rilke: Briefe in zwei Bänden. Erster Band 1896 bis 1919. Hg. v. Horst Nalewski. Frankfurt a. Main, S. 671f.)
Rainer Maria Rilke (1875-1926), österreichischer Dichter; Aufenthalt in München: zwischen 1896 und 1919