29. Kapitel
Grobe Hände rissen Kidogo aus dem Schlaf. Bevor er wusste, wie ihm geschah, traf ihn ein Schlag in den Magen, einer gegen den Kopf, er wurde zu Boden gestoßen, Tritte prasselten auf ihn ein. Dröhnendes Vergessen.
Als er erwachte, befand er sich zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen in der vollkommenen Dunkelheit eines Kerkerlochs wieder. Sein ganzer Körper schmerzte, der steinerne Boden drückte wie ein Folterbrett. Vorsichtig tastete er sich ab. Zahlreiche Blutergüsse und Prellungen, aber nichts gebrochen. Die Wunde an seiner Schulter nässte wieder. Welcher Grund auch immer ihn in das Loch gebracht hatte, Kidogo hatte kein Erbarmen mit sich – am dritten Tag hatte er aufbrechen wollen, und sieben waren vergangen, ohne dass er seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hätte.
Jeden Tag waren neue Bedienstete gekommen, erst nur aus dem Hause Mokara, dann auch andere, und hatten ihm ihre Leiden geklagt. Ihretwegen bleibe er, hatte er sich eingeredet, aber von Anfang an wusste er um die Selbsttäuschung. Er war geblieben, weil ihm nicht klar war, wohin er hätte gehen sollen. Er wusste, dass er keine Heimat finden würde, wo die Regeln Tiratangas gälten. Aber Tiratanga war überall. Zu den Styrkur nach Osten konnte er nicht – zu qualvoll brannte die Erinnerung, dass Styrkur Dok das ursprüngliche Ziel gewesen war, das er Aki vorgeschlagen hatte. Orofar, die alte Heimat seines Meisters? Das Land der obstschweren Gärten war schon lange ranaische Provinz. Blieb nur die große Wüste Charalesch. Er würde die Sprachen der Nomaden lernen müssen. Sieben Tage hatte er die Entscheidung vertagt, und jetzt hatte man ihn in dieses Loch geworfen. Fast dankbar gab er sich seinen körperlichen Schmerzen hin, als der einzigen Ablenkung, die er gegen seine Selbstvorwürfe ins Feld führen konnte.
Schließlich hörte er Schritte, ein Licht flackerte über ihm auf. Das vertraute Gesicht Pawes beugte sich in sein Sichtfeld. »Kidogo. Ich habe dir etwas Brot und Früchte gebracht.« Sie ließ einen Korb zu ihm herunter. »Es tut mir so leid, dass die Herrin dich hier eingesperrt hat.«
»Wie bist du hier hereingekommen?«, fragte Kidogo, während er den Korb in Empfang nahm, »haben die Wachen dich nicht aufgehalten?«
»Welche Wachen? Du bist immer noch im Hause Mokara.«
»Sokai hat ein eigenes Verlies?«
»Gewöhnlich nutzt sie es für die Bediensteten, wenn sie ihr nicht zu Willen sind.«
»Sag mal, Pawe, weißt du, warum sie mich eingesperrt hat?«
»Das fragen wir uns alle. Du warst doch nach Amokapuas Tod bei der neuen Hohepriesterin; vielleicht hat es damit etwas zu tun. Denn Herrin Sokai scheint ihr seitdem spinnefeind zu sein.«
Das konnte nur eines heißen – Kaïkopura verdächtigte Sokai, die eigene Mutter ermordet zu haben. Und musste ihn für ihre Beweisführung herangezogen haben. So viel dazu, dass er versucht hatte, sich nicht angreifbar zu machen. Es war zum Verzweifeln. Mutlos betastete er den Inhalt des Korbes. »Weißt du, wie lange sie mich hier unten festhalten will?«
»Leider nicht. Sie ist auch die letzten Tage kaum im Hause gewesen. Zur Zeit beraten die Satrapanim in einem fort.«
»Worüber? Was ist passiert?«
»Die Königin hat befohlen, fünftausend Besitzlose mit handwerklichen Fähigkeiten zu versammeln. Sie sollen bis zum nächsten vollen Mond in die Nebelzinnen aufbrechen.« Pawes Gesicht flackerte unbedarft im Lampenschein. »Es geht um irgendwelche Grabungen.«
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Grobe Hände rissen Kidogo aus dem Schlaf. Bevor er wusste, wie ihm geschah, traf ihn ein Schlag in den Magen, einer gegen den Kopf, er wurde zu Boden gestoßen, Tritte prasselten auf ihn ein. Dröhnendes Vergessen.
Als er erwachte, befand er sich zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen in der vollkommenen Dunkelheit eines Kerkerlochs wieder. Sein ganzer Körper schmerzte, der steinerne Boden drückte wie ein Folterbrett. Vorsichtig tastete er sich ab. Zahlreiche Blutergüsse und Prellungen, aber nichts gebrochen. Die Wunde an seiner Schulter nässte wieder. Welcher Grund auch immer ihn in das Loch gebracht hatte, Kidogo hatte kein Erbarmen mit sich – am dritten Tag hatte er aufbrechen wollen, und sieben waren vergangen, ohne dass er seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hätte.
Jeden Tag waren neue Bedienstete gekommen, erst nur aus dem Hause Mokara, dann auch andere, und hatten ihm ihre Leiden geklagt. Ihretwegen bleibe er, hatte er sich eingeredet, aber von Anfang an wusste er um die Selbsttäuschung. Er war geblieben, weil ihm nicht klar war, wohin er hätte gehen sollen. Er wusste, dass er keine Heimat finden würde, wo die Regeln Tiratangas gälten. Aber Tiratanga war überall. Zu den Styrkur nach Osten konnte er nicht – zu qualvoll brannte die Erinnerung, dass Styrkur Dok das ursprüngliche Ziel gewesen war, das er Aki vorgeschlagen hatte. Orofar, die alte Heimat seines Meisters? Das Land der obstschweren Gärten war schon lange ranaische Provinz. Blieb nur die große Wüste Charalesch. Er würde die Sprachen der Nomaden lernen müssen. Sieben Tage hatte er die Entscheidung vertagt, und jetzt hatte man ihn in dieses Loch geworfen. Fast dankbar gab er sich seinen körperlichen Schmerzen hin, als der einzigen Ablenkung, die er gegen seine Selbstvorwürfe ins Feld führen konnte.
Schließlich hörte er Schritte, ein Licht flackerte über ihm auf. Das vertraute Gesicht Pawes beugte sich in sein Sichtfeld. »Kidogo. Ich habe dir etwas Brot und Früchte gebracht.« Sie ließ einen Korb zu ihm herunter. »Es tut mir so leid, dass die Herrin dich hier eingesperrt hat.«
»Wie bist du hier hereingekommen?«, fragte Kidogo, während er den Korb in Empfang nahm, »haben die Wachen dich nicht aufgehalten?«
»Welche Wachen? Du bist immer noch im Hause Mokara.«
»Sokai hat ein eigenes Verlies?«
»Gewöhnlich nutzt sie es für die Bediensteten, wenn sie ihr nicht zu Willen sind.«
»Sag mal, Pawe, weißt du, warum sie mich eingesperrt hat?«
»Das fragen wir uns alle. Du warst doch nach Amokapuas Tod bei der neuen Hohepriesterin; vielleicht hat es damit etwas zu tun. Denn Herrin Sokai scheint ihr seitdem spinnefeind zu sein.«
Das konnte nur eines heißen – Kaïkopura verdächtigte Sokai, die eigene Mutter ermordet zu haben. Und musste ihn für ihre Beweisführung herangezogen haben. So viel dazu, dass er versucht hatte, sich nicht angreifbar zu machen. Es war zum Verzweifeln. Mutlos betastete er den Inhalt des Korbes. »Weißt du, wie lange sie mich hier unten festhalten will?«
»Leider nicht. Sie ist auch die letzten Tage kaum im Hause gewesen. Zur Zeit beraten die Satrapanim in einem fort.«
»Worüber? Was ist passiert?«
»Die Königin hat befohlen, fünftausend Besitzlose mit handwerklichen Fähigkeiten zu versammeln. Sie sollen bis zum nächsten vollen Mond in die Nebelzinnen aufbrechen.« Pawes Gesicht flackerte unbedarft im Lampenschein. »Es geht um irgendwelche Grabungen.«