25. Kapitel
»Nur kurz noch, Eure Heiligkeit«, redete die Fleischwalkerin auf sie ein. Durch zusammengepresste Zähne flehte Amokapua ihre Göttin um Erbarmen an. Das Wasser in ihren Knien wollte nicht weichen, und sie bezweifelte, dass die Bemühungen der Fleischwalkerin irgendetwas daran ändern würden. Die schmerzenden Knie waren nur der Anfang, Amokapua spürte es, sie näherte sich dem Ende. Und die Angst davor wuchs mit jeder schlaflosen Nacht. Gleich, wie viel sie betete, seit ihrer Vergiftung zum Frühjahrsgebet wurde sie von einem dunklen Geist verfolgt; unaufhörlich wisperte dieser ihr ins Ohr, dass der Tod nicht ins Licht führte, dass hinter der letzten Tür nur die Finsternis wartete.
Womöglich wäre es einfacher gewesen, wenn die gegenwärtigen Verhältnisse geordneter gewesen wären. Unter der Folter der Fleischwalkerin stöhnte sie auf. Die Pfeiler, auf die Atua-Kore den Gedeih ihres Volkes gestellt hatte, bröckelten. Die Königin war schwach. Die Besitzlosen waren seit der missratenen Hinrichtung der Gefallenen launischer denn je. In den Nebelzinnen lauerte das Böse. Nein, in Anbetracht dieser Herausforderungen brauchte Atua-Kore eine klare Stimme. Und davon war Kaïkopura noch Jahre entfernt.
Die Fleischwalkerin zog so fest an Amokapuas Bein, dass sie aufschrie vor Schmerz. »Das war es schon«, rief die Fleischwalkerin beflissen, »oder wünschen Eure Heiligkeit noch einen Aderlass?«
»Nein, nein, danke dir«, ächzte Amokapua und stemmte sich von der Behandlungsliege hoch. Sogleich sprangen ihre beiden Akolythinnen herbei und griffen ihr unter die Arme. Eine Sänfte, beschloss Amokapua, sie würde sich eine Sänfte besorgen lassen.
Obwohl es von der Halle der Heilung zu ihren privaten Gemächern nur wenige Schritte waren und die Akolythinnen sie stützten, schnaufte sie, als sie ankam. »Lasst nach der erhabenen Sprecherin schicken«, teilte sie dem wachhabenden Gardisten mit.
Sie ließ sich direkt in ihr Empfangszimmer bringen. Nachdem sie sich in das weiche Polster ihres liebsten Sofas hatte sinken lassen, entließ sie die Akolythinnen. Sie musste nicht lange warten, bis ihre Tochter eintraf.
»Wisst Ihr, Mutter, was ich nie verstanden habe?«, begann Sokai, nachdem sie ihr zwei schnelle Küsse auf die Wangen gedrückt hatte, »warum wohnen die Priesterinnen des Lichts in einem Tempel ohne Fenster?«
»Als eine Mahnung, Atua-Kores Gnade nicht als selbstverständlich zu nehmen. Dass die Finsternis nie fern ist. Wir sind der Göttin auserwähltes Volk. Aber nur, wenn wir treu ihren Regeln folgen, werden wir es bleiben. Setz dich doch.«
Stattdessen trat Sokai an den Getränkeschrank, füllte zwei Gläser mit Wein. »Ich habe gleich eine Ratsbesprechung.« Sie reichte ihr eines der Gläser. »Weshalb habt Ihr mich rufen lassen?«
Amokapua war dankbar über den Wein, denn was sie zu sagen hatte, ging ihr nicht leicht über die Lippen. »Ich liebe dich, meine Tochter. Ich bewundere es, wie sehr du dich für dein Reich einsetzt. Aber ich habe auch Sorge. Du wurdest vergiftet, und du tust, als sei es nichts gewesen ...«
»Auch Ihr wurdet vergiftet«, wurde sie unterbrochen, »und habt Ihr auch nur eine meiner Bitten erhört, Euch vorsichtiger zu verhalten?«
»Ich will dir nicht widersprechen, mein Kind. Ich bitte dich nur, dein Handeln zu überdenken. Nicht alle Satrapanim sehen es gerne, wie viel Zeit du mit der Königin verbringst.«
»Sie braucht meinen Rat.«
»Gewiss. Aber das sehen nicht alle so klar wie du. Und es hilft nicht, dass du deine Verachtung so deutlich zeigst.«
Sokai hatte nach ihrem Weinglas gegriffen, schnaubend setzte sie es wieder ab. »Ihr unterstellt mir, dass ...«
»Selbst der Schamane hat es gemerkt, und hat nur wenige Minuten im selben Raum mit euch verbracht.«
»Was kümmert mich dieser Knochenbrecher.«
»Darum geht es nicht. Es geht um dein Auftreten allgemein. Zügle dich.«
»War das alles, Mutter? Ich muss zu meiner Sitzung.«
»Fast«, Amokapua trank ihr Glas aus, ein letzter Schluck Mut, »Du bist die Erste der Mokara. Während du die Geschicke es Reiches lenkst, vernachlässigst du die Pflichten gegenüber unserem Haus.«
»Unser Haus?!« Sokai schleuderte ihr Weinglas zu Boden, wo es zerschellte. Es war noch voll gewesen, in alle Richtungen spritzte der Wein. »Ihr verkriecht Euch hier in diesem lichtlosen Steinblock und wollt mir sagen, wie ich die Geschicke meines Hauses führen soll? Schert Euch zum ...« Im letzten Moment besann sie sich, bevor sie das Unaussprechliche aussprach.
Doch Amokapua wurde ruhig. Der Ausbruch ihrer Tochter bestätigte nur, dass es keinen anderen als den schmerzhaften Weg gab. »Der Rat ist mit der Bitte an mich herangetreten, eine neue Sprecherin wählen zu dürfen.« So wie nur mit dem Willen Atua-Kores eine Königin gewählt werden konnte, brauchte es den Segen der Göttin, eine Sprecherin zu bestimmen.
Fassungslos starrte Sokai sie an, rang nach Worten. Amokapua ließ ihr die Zeit, die sie brauchte. Als ihre Tochter endlich sprach, zitterten ihre Lippen. »Wenn Ihr das jetzt erwähnt – heißt das, Ihr habt Euren Segen erteilt ...?«
»Nein«, sagte Amokapua. »Noch nicht.« Abwesend beobachtete sie, wie ein dunkles Rinnsal Weines an dem Bein eines Sessels hinunterglitt. Wie Blut von einem Richtstuhl, schoss es ihr durch den Kopf.
»Ihr erpresst mich«, sagte Sokai, mit einem Male kühl und gefasst.
»Mein Kind, du bist die Erste des Hohen Hauses Mokara und Sprecherin des Hohen Rates. Das ist viel. Versuche nicht, noch mehr zu sein.«
Zu Amokapuas Verstörung brauste ihre Tochter nicht auf. Stattdessen begann sie zu lachen, so leicht und heiter, fast wäre die bösartige Note verloren gegangen.
»Ich meine es ernst«, betonte Amokapua, »missbrauche deine Macht, und ich werde persönlich dafür sorgen, dass sie dir genommen wird.«
»Du hättest dir keinen eigentümlicheren Moment wählen können, mir deine Pläne zu offenbaren«, sagte Sokai, immer noch lächelnd. »Du bist zu spät.« Sie trat nah an Amokapua heran, beugte sich zu ihr herunter. »Du siehst erschöpft aus – bist du nicht müde?«
Tatsächlich, der Wein war ihr stärker zu Kopf gestiegen als sonst.
»Ich danke dir«, sagte Sokai, »dass du so offen mit mir warst. Jetzt weiß ich, dass ich meine Entscheidung nie bereuen werde.«
»Wovon redest du?«, fragte Amokapua bestürzt, der Raum begann sich zu drehen.
»So lange hast du mich schon zurückgehalten, Mutter.« Sokai ging um sie herum, stellte sich hinter sie. »Weißt du, was mich immer gewundert hat: Ihr Priesterinnen redet über eure Münzwürfe, als verkündeten sie den unabänderlichen Willen Atua-Kores. Dabei seht ihr doch immer nur, was ihr sehen wollt.«
»Das ist Lästerung ...« Auf einen Schlag waren Amokapuas Finger eisig kalt geworden.
»Die Münzen hätten dir gesagt, Mahuika am Leben zu lassen.«
»Nein, vielleicht, die Göttin entscheidet ...«
Amokapua fühlte Sokais Hände auf ihren Schultern. »Ich musste mich selbst vergiften, um dafür zu sorgen, dass Kaïkopura statt deiner die Münzen wirft.«
»Du hast dich vergiftet?« Ihre Zunge lag bleiern schwer in ihrem Mund.
An ihrem Ohr spürte sie den Atem ihrer Tochter. »Nicht nur mich«, flüsterte sie. »Glaubst du wirklich, wenn meine eigene Mutter – der heilige Mund Atua-Kores – vergiftet wird, dann wäre es mir nicht möglich gewesen, den Täter herauszufinden?«
Die Kälte in Amokapuas Fingern breitete sich aus, ergriff die Hände, stieg die Arme hoch.
»Ich war es, Mutter.«
Die Kälte drang in ihre Schultern, erreichte ihre Brust. Licht, flehte Amokapua ihre Göttin an, Erbarmen. Dann wurde es dunkel.
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»Nur kurz noch, Eure Heiligkeit«, redete die Fleischwalkerin auf sie ein. Durch zusammengepresste Zähne flehte Amokapua ihre Göttin um Erbarmen an. Das Wasser in ihren Knien wollte nicht weichen, und sie bezweifelte, dass die Bemühungen der Fleischwalkerin irgendetwas daran ändern würden. Die schmerzenden Knie waren nur der Anfang, Amokapua spürte es, sie näherte sich dem Ende. Und die Angst davor wuchs mit jeder schlaflosen Nacht. Gleich, wie viel sie betete, seit ihrer Vergiftung zum Frühjahrsgebet wurde sie von einem dunklen Geist verfolgt; unaufhörlich wisperte dieser ihr ins Ohr, dass der Tod nicht ins Licht führte, dass hinter der letzten Tür nur die Finsternis wartete.
Womöglich wäre es einfacher gewesen, wenn die gegenwärtigen Verhältnisse geordneter gewesen wären. Unter der Folter der Fleischwalkerin stöhnte sie auf. Die Pfeiler, auf die Atua-Kore den Gedeih ihres Volkes gestellt hatte, bröckelten. Die Königin war schwach. Die Besitzlosen waren seit der missratenen Hinrichtung der Gefallenen launischer denn je. In den Nebelzinnen lauerte das Böse. Nein, in Anbetracht dieser Herausforderungen brauchte Atua-Kore eine klare Stimme. Und davon war Kaïkopura noch Jahre entfernt.
Die Fleischwalkerin zog so fest an Amokapuas Bein, dass sie aufschrie vor Schmerz. »Das war es schon«, rief die Fleischwalkerin beflissen, »oder wünschen Eure Heiligkeit noch einen Aderlass?«
»Nein, nein, danke dir«, ächzte Amokapua und stemmte sich von der Behandlungsliege hoch. Sogleich sprangen ihre beiden Akolythinnen herbei und griffen ihr unter die Arme. Eine Sänfte, beschloss Amokapua, sie würde sich eine Sänfte besorgen lassen.
Obwohl es von der Halle der Heilung zu ihren privaten Gemächern nur wenige Schritte waren und die Akolythinnen sie stützten, schnaufte sie, als sie ankam. »Lasst nach der erhabenen Sprecherin schicken«, teilte sie dem wachhabenden Gardisten mit.
Sie ließ sich direkt in ihr Empfangszimmer bringen. Nachdem sie sich in das weiche Polster ihres liebsten Sofas hatte sinken lassen, entließ sie die Akolythinnen. Sie musste nicht lange warten, bis ihre Tochter eintraf.
»Wisst Ihr, Mutter, was ich nie verstanden habe?«, begann Sokai, nachdem sie ihr zwei schnelle Küsse auf die Wangen gedrückt hatte, »warum wohnen die Priesterinnen des Lichts in einem Tempel ohne Fenster?«
»Als eine Mahnung, Atua-Kores Gnade nicht als selbstverständlich zu nehmen. Dass die Finsternis nie fern ist. Wir sind der Göttin auserwähltes Volk. Aber nur, wenn wir treu ihren Regeln folgen, werden wir es bleiben. Setz dich doch.«
Stattdessen trat Sokai an den Getränkeschrank, füllte zwei Gläser mit Wein. »Ich habe gleich eine Ratsbesprechung.« Sie reichte ihr eines der Gläser. »Weshalb habt Ihr mich rufen lassen?«
Amokapua war dankbar über den Wein, denn was sie zu sagen hatte, ging ihr nicht leicht über die Lippen. »Ich liebe dich, meine Tochter. Ich bewundere es, wie sehr du dich für dein Reich einsetzt. Aber ich habe auch Sorge. Du wurdest vergiftet, und du tust, als sei es nichts gewesen ...«
»Auch Ihr wurdet vergiftet«, wurde sie unterbrochen, »und habt Ihr auch nur eine meiner Bitten erhört, Euch vorsichtiger zu verhalten?«
»Ich will dir nicht widersprechen, mein Kind. Ich bitte dich nur, dein Handeln zu überdenken. Nicht alle Satrapanim sehen es gerne, wie viel Zeit du mit der Königin verbringst.«
»Sie braucht meinen Rat.«
»Gewiss. Aber das sehen nicht alle so klar wie du. Und es hilft nicht, dass du deine Verachtung so deutlich zeigst.«
Sokai hatte nach ihrem Weinglas gegriffen, schnaubend setzte sie es wieder ab. »Ihr unterstellt mir, dass ...«
»Selbst der Schamane hat es gemerkt, und hat nur wenige Minuten im selben Raum mit euch verbracht.«
»Was kümmert mich dieser Knochenbrecher.«
»Darum geht es nicht. Es geht um dein Auftreten allgemein. Zügle dich.«
»War das alles, Mutter? Ich muss zu meiner Sitzung.«
»Fast«, Amokapua trank ihr Glas aus, ein letzter Schluck Mut, »Du bist die Erste der Mokara. Während du die Geschicke es Reiches lenkst, vernachlässigst du die Pflichten gegenüber unserem Haus.«
»Unser Haus?!« Sokai schleuderte ihr Weinglas zu Boden, wo es zerschellte. Es war noch voll gewesen, in alle Richtungen spritzte der Wein. »Ihr verkriecht Euch hier in diesem lichtlosen Steinblock und wollt mir sagen, wie ich die Geschicke meines Hauses führen soll? Schert Euch zum ...« Im letzten Moment besann sie sich, bevor sie das Unaussprechliche aussprach.
Doch Amokapua wurde ruhig. Der Ausbruch ihrer Tochter bestätigte nur, dass es keinen anderen als den schmerzhaften Weg gab. »Der Rat ist mit der Bitte an mich herangetreten, eine neue Sprecherin wählen zu dürfen.« So wie nur mit dem Willen Atua-Kores eine Königin gewählt werden konnte, brauchte es den Segen der Göttin, eine Sprecherin zu bestimmen.
Fassungslos starrte Sokai sie an, rang nach Worten. Amokapua ließ ihr die Zeit, die sie brauchte. Als ihre Tochter endlich sprach, zitterten ihre Lippen. »Wenn Ihr das jetzt erwähnt – heißt das, Ihr habt Euren Segen erteilt ...?«
»Nein«, sagte Amokapua. »Noch nicht.« Abwesend beobachtete sie, wie ein dunkles Rinnsal Weines an dem Bein eines Sessels hinunterglitt. Wie Blut von einem Richtstuhl, schoss es ihr durch den Kopf.
»Ihr erpresst mich«, sagte Sokai, mit einem Male kühl und gefasst.
»Mein Kind, du bist die Erste des Hohen Hauses Mokara und Sprecherin des Hohen Rates. Das ist viel. Versuche nicht, noch mehr zu sein.«
Zu Amokapuas Verstörung brauste ihre Tochter nicht auf. Stattdessen begann sie zu lachen, so leicht und heiter, fast wäre die bösartige Note verloren gegangen.
»Ich meine es ernst«, betonte Amokapua, »missbrauche deine Macht, und ich werde persönlich dafür sorgen, dass sie dir genommen wird.«
»Du hättest dir keinen eigentümlicheren Moment wählen können, mir deine Pläne zu offenbaren«, sagte Sokai, immer noch lächelnd. »Du bist zu spät.« Sie trat nah an Amokapua heran, beugte sich zu ihr herunter. »Du siehst erschöpft aus – bist du nicht müde?«
Tatsächlich, der Wein war ihr stärker zu Kopf gestiegen als sonst.
»Ich danke dir«, sagte Sokai, »dass du so offen mit mir warst. Jetzt weiß ich, dass ich meine Entscheidung nie bereuen werde.«
»Wovon redest du?«, fragte Amokapua bestürzt, der Raum begann sich zu drehen.
»So lange hast du mich schon zurückgehalten, Mutter.« Sokai ging um sie herum, stellte sich hinter sie. »Weißt du, was mich immer gewundert hat: Ihr Priesterinnen redet über eure Münzwürfe, als verkündeten sie den unabänderlichen Willen Atua-Kores. Dabei seht ihr doch immer nur, was ihr sehen wollt.«
»Das ist Lästerung ...« Auf einen Schlag waren Amokapuas Finger eisig kalt geworden.
»Die Münzen hätten dir gesagt, Mahuika am Leben zu lassen.«
»Nein, vielleicht, die Göttin entscheidet ...«
Amokapua fühlte Sokais Hände auf ihren Schultern. »Ich musste mich selbst vergiften, um dafür zu sorgen, dass Kaïkopura statt deiner die Münzen wirft.«
»Du hast dich vergiftet?« Ihre Zunge lag bleiern schwer in ihrem Mund.
An ihrem Ohr spürte sie den Atem ihrer Tochter. »Nicht nur mich«, flüsterte sie. »Glaubst du wirklich, wenn meine eigene Mutter – der heilige Mund Atua-Kores – vergiftet wird, dann wäre es mir nicht möglich gewesen, den Täter herauszufinden?«
Die Kälte in Amokapuas Fingern breitete sich aus, ergriff die Hände, stieg die Arme hoch.
»Ich war es, Mutter.«
Die Kälte drang in ihre Schultern, erreichte ihre Brust. Licht, flehte Amokapua ihre Göttin an, Erbarmen. Dann wurde es dunkel.