Oskar Maria Graf in Berg
Der in Berg am Starnberger See aufgewachsene Schriftsteller Oskar Maria Graf stellt Selbsterlebtes oftmals in den Mittelpunkt seiner Romane und Erzählungen. Aus der erzwungenen Distanz des Exils hält er im Roman Das Leben meiner Mutter (1946) eine bäuerliche Welt im Umbruch fest. Graf schildet, wie Industrialisierung und Massentourismus die Welt am Starnberger See grundsätzlich verändern:
Es ging auf- und vorwärts in diesen bewegten Jahren. Selbst die abgelegensten Dörfer am Ufer des Sees verloren in kurzer Zeit ihr bäuerliches Gesicht. Abgesehen von den zahlreichen Tagestouristen und Sommergästen, die in den besseren Fischer- und Bauernhäusern ihren Urlaub verbrachten, siedelten sich jetzt immer mehr fremde Herrschaften aus allen Ländern an. Der Verdienst der Bauunternehmer, der Handwerker und Gewerbeleute riss nicht ab. Maurer und Italiener hatten viel zu tun. Die Wirte scheffelten Geld, die Metzger wussten oft nicht, woher sie das viele Fleisch nehmen sollten, und unsere Bäckerei ging glänzend. Am wohlhäbigsten aber wurden die Fischer und Bauern, die Grundstücke am Seeufer hatten.
In Berg und Leoni trat eine eigentümliche Veränderung ein. An dem stundenlangen Uferstrich von Leoni bis Ammerland machten sich neben den ehemaligen Künstlern und vornehmen Münchner Kaufleuten jetzt hauptsächlich altbayrische Adelsfamilien ansässig. Stolze Burgen und solide Villen erstanden dort.
Ganz anders war es in Berg. Da wurde zunächst auf Befehl des „Landesverwesers“ Prinzregent Luitpold nur eine ziemlich geschmacklose Gedächtniskapelle für „weiland König Ludwig II.“ im Schlosspark erbaut. Die grünen Ufergelände aber, welche am Ende des Unterdorfes anfingen und sich – das verschlafene, höhergelegene Kempfenhausen rechter Hand liegen lassend – bis nach Starnberg hinüberzogen, blieben merkwürdigerweise im ersten Jahrzehnt nach dem Tode des unglücklichen Königs ziemlich unbebaut. Verlassen und verwaist stand die ehemalige Richard-Wagner-Villa mit ihrem großen, träumerischen Park da. Endlich erwarb der russische Fürst Barjatinsky den herrlichen Sitz, machte einige Umbauten und führte Sommer für Sommer einen pompösen Hof. Vier- und sechsspännige Luxuskutschen mit teuren Edelpferden tauchten auf den staubigen Landstraßen auf und wurden allgemein bestaunt und beredet. Sehr oft sah man die zahlreichen Angehörigen und Gäste der fürstlichen Familie über die abgemähten Felder galoppieren. Es wurden laute, nächtliche Feste im stillen Park abgehalten, und es gab eine Menge Dienerschaft, die – so fremd ihnen das auch vorkommen mochte – sich sonntags unter die Leute mischten, mit ihnen tranken und den Dorfschönheiten nachstiegen. (Oskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter. Frankfurt am Main 1982, S. 202. © List Taschenbuch in der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 188f., S. 251.
Weitere Kapitel:
Der in Berg am Starnberger See aufgewachsene Schriftsteller Oskar Maria Graf stellt Selbsterlebtes oftmals in den Mittelpunkt seiner Romane und Erzählungen. Aus der erzwungenen Distanz des Exils hält er im Roman Das Leben meiner Mutter (1946) eine bäuerliche Welt im Umbruch fest. Graf schildet, wie Industrialisierung und Massentourismus die Welt am Starnberger See grundsätzlich verändern:
Es ging auf- und vorwärts in diesen bewegten Jahren. Selbst die abgelegensten Dörfer am Ufer des Sees verloren in kurzer Zeit ihr bäuerliches Gesicht. Abgesehen von den zahlreichen Tagestouristen und Sommergästen, die in den besseren Fischer- und Bauernhäusern ihren Urlaub verbrachten, siedelten sich jetzt immer mehr fremde Herrschaften aus allen Ländern an. Der Verdienst der Bauunternehmer, der Handwerker und Gewerbeleute riss nicht ab. Maurer und Italiener hatten viel zu tun. Die Wirte scheffelten Geld, die Metzger wussten oft nicht, woher sie das viele Fleisch nehmen sollten, und unsere Bäckerei ging glänzend. Am wohlhäbigsten aber wurden die Fischer und Bauern, die Grundstücke am Seeufer hatten.
In Berg und Leoni trat eine eigentümliche Veränderung ein. An dem stundenlangen Uferstrich von Leoni bis Ammerland machten sich neben den ehemaligen Künstlern und vornehmen Münchner Kaufleuten jetzt hauptsächlich altbayrische Adelsfamilien ansässig. Stolze Burgen und solide Villen erstanden dort.
Ganz anders war es in Berg. Da wurde zunächst auf Befehl des „Landesverwesers“ Prinzregent Luitpold nur eine ziemlich geschmacklose Gedächtniskapelle für „weiland König Ludwig II.“ im Schlosspark erbaut. Die grünen Ufergelände aber, welche am Ende des Unterdorfes anfingen und sich – das verschlafene, höhergelegene Kempfenhausen rechter Hand liegen lassend – bis nach Starnberg hinüberzogen, blieben merkwürdigerweise im ersten Jahrzehnt nach dem Tode des unglücklichen Königs ziemlich unbebaut. Verlassen und verwaist stand die ehemalige Richard-Wagner-Villa mit ihrem großen, träumerischen Park da. Endlich erwarb der russische Fürst Barjatinsky den herrlichen Sitz, machte einige Umbauten und führte Sommer für Sommer einen pompösen Hof. Vier- und sechsspännige Luxuskutschen mit teuren Edelpferden tauchten auf den staubigen Landstraßen auf und wurden allgemein bestaunt und beredet. Sehr oft sah man die zahlreichen Angehörigen und Gäste der fürstlichen Familie über die abgemähten Felder galoppieren. Es wurden laute, nächtliche Feste im stillen Park abgehalten, und es gab eine Menge Dienerschaft, die – so fremd ihnen das auch vorkommen mochte – sich sonntags unter die Leute mischten, mit ihnen tranken und den Dorfschönheiten nachstiegen. (Oskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter. Frankfurt am Main 1982, S. 202. © List Taschenbuch in der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 188f., S. 251.